Presse - Intendant


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Nürnberger-Nachrichten-Interview "Bloßstellen von Menschen will ich bei uns nicht sehen"

Intendant Ulrich Wilhelm in den Nürnberger Nachrichten (4. 2. 2012) über öffentlich-rechtliche Qualität, Angebote für junge Menschen und das Verhältnis zu den Printmedien. Interview: H.-P. Kastenhuber und Peter Abspacher.

Stand: 06.02.2012

Die Idee hatte angeblich der ehemalige bayerische DGB-Chef und SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Schösser. Er hielt den eigentlich zum anderen politischen Lager zählenden Sprecher der Regierung Merkel, Ulrich Wilhelm, für den idealen Kandidaten für das Amt des BR-Intendanten. Vor einem Jahr trat Wilhelm seinen neuen Posten an. Wir sprachen mit ihm über die Zukunft der Qualität im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. 

Herr Wilhelm, der "Bayernkurier" hat kürzlich beklagt, die CSU komme im Bayerischen Rundfunk so schlecht weg. War das von Ihnen bestellt? 

Wilhelm: (lacht) CSU-Chef Horst Seehofer hat das Notwendige dazu gesagt und erklärt, dass das nicht seiner Wahrnehmung entspricht. Das spricht für sich. 

Der Makel, als ehemaliger Regierungssprecher mit CSU-Parteibuch nicht unbedingt für die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu stehen, hat vor einem Jahr Ihren Amtsantritt etwas erschwert. Da kann Ihnen das Jammern des "Bayernkuriers" über den angeblich rot-grünen BR aber doch nur recht kommen. 

Wilhelm: Diesen Makel, wie Sie es nennen, gab es von Anfang an nicht. Ich bin vom Rundfunkrat mit über 90 Prozent gewählt worden. Das ist ein breites und überparteiliches Votum. Und ich habe bereits beim Amtsantritt bekannt, dass die Unabhängigkeit die Grundlage unserer Glaubwürdigkeit ist. Jede pauschale Einordnung des Bayerischen Rundfunks ist unangemessen. Sachlicher Kritik an einzelnen Beiträgen stellen wir uns. 

Hätten Sie vor 25 Jahren schon Intendant sein wollen, als die Politik in Bayern noch stärker versuchte, Einfluss auf den BR zu nehmen? 

Wilhelm: Ein Intendant ist sehr wohl in der Lage, sich Einflussversuchen zu widersetzen. Das gilt auch für mich. 

Öffentlich-rechtliche Sender wie der BR haben einen Bildungsauftrag. Im Programm kommt aber immer mehr die Unterhaltung zum Zuge. Wie passt das zu Ihrer Forderung nach mehr Qualitätsjournalismus? 

Wilhelm: Der Bayerische Rundfunk ist unverändert das größte Kulturinstitut Bayerns. Wir bekennen uns zu hochwertigen Inhalten, auch wenn sie manchmal nur eine Minderheit interessieren. Nehmen Sie das hochklassige Kulturradio Bayern 2, BR-alpha, den einzigen Bildungskanal in der ARD, oder BR-Klassik im Hörfunk, die einzig verbliebene ARD-Klassikwelle, und unsere vielen Kulturproduktionen. Wir haben ausgeprägte Wissenschaftssendungen, wir haben ein Korrespondentennetz, wie es das bei den Privaten nicht mehr gibt. In den dritten Programmen liegt der Informationsanteil bei zwei Drittel. 

Da lag der Informations- und Bildungsanteil aber schon mal bei 100 Prozent... 

Wilhelm: Sicher nicht, da wir ja gesetzlich zu Bildung, Information, aber auch zu Unterhaltung verpflichtet sind. Sie bereichert unser anspruchsvolles Programm. Auch Sport gehört übrigens zur Grundversorgung. 

Aber Sie spüren den Druck der Quoten. Wie weit geben Sie ihm nicht doch auch nach? 

Wilhelm: Qualität und Quote sind kein Gegensatz, Qualität findet ihr Publikum. Ein Beispiel: Bayern 3 ist ein populäres Programm, das einen großen Teil der Bevölkerung erreicht. Und es hat zugelegt, indem es - im Gegensatz etwa zu Antenne Bayern - den Wortanteil erhöht hat. Auch die Tatort-Filme oder die von uns eingeführten Heimat-Krimis sind hochwertig und gleichzeitig sehr erfolgreich. Oder bei Olympischen Spielen, da verbinden wir das Sportgeschehen mit Berichten aus dem Land, das die Spiele ausrichtet. Das ist für mich öffentlich-rechtliche Darstellung. 

Aber bei der Unterhaltung folgen Sie doch oft dem schlechten Trend der Privaten... 

Wilhelm: Nein, auch da unterscheiden wir uns. Was am Nachmittag bei den Privaten unter dem Stichwort "Reality TV" läuft, halte ich für unvorstellbar in unseren Programmen. Das Bloßstellen von Menschen in ihrem Alltag will ich bei uns nicht sehen. 

Gilt das auch für das Erste? 

Wilhelm: Grundsätzlich gilt in der ARD: Neun Intendanten haben die Aufgabe, einen Konsens zu finden und Kompromisse zu schließen. Zwar würde jeder Intendant das Erste etwas anders gestalten, könnte er alleine entscheiden. Aber die daraus erwachsende föderale Vielfalt ist unsere große Stärke. 

Müssen am Samstagabend über Stunden hinweg Volksmusikprogramme laufen? 

Wilhelm: Es läuft ja sehr unterschiedliches am Samstagabend. Und das ist richtig. Ein Vollprogramm muss für viele Menschen tatsächlich viel bieten. Und Programm-Macher sind schlecht beraten, ihren eigenen Geschmack zum Maß der Dinge zu machen. 

Würde zu Ihrem Verständnis von öffentlich-rechtlichem Qualitätsprogramm nicht wunderbar der Verzicht auf Werbung passen? 

Wilhelm: Ich hätte damit kein grundsätzliches Problem. Die Frage ist nur, ob der Gesetzgeber bereit wäre, die fehlenden Einnahmen auf andere Weise auszugleichen...

Die welchen Anteil am Gesamtetat ausmachen? 

Wilhelm: Zwischen zwei und fünf Prozent. Aber es gibt noch ein anderes Problem. Die werbetreibende Wirtschaft sagt, dass sie einen Teil des Publikums bei Wegfall der öffentlich-rechtlichen Werbung - vor allem der im Hörfunk - nicht mehr erreichen würde. 

Die Zuschauer bei ARD und ZDF werden immer älter. Die Jugend geht vor allem an das Medium Internet verloren. Was wollen Sie dagegen tun? 

Wilhelm: Als Vater finde ich es ja gut, wenn sich junge Leute mit Freunden treffen oder sich sportlich betätigen, statt exzessiv fernzusehen oder stundenlang vor dem Computer zu hängen. Dennoch wollen wir ihnen gute Angebote machen. Auch junge Menschen zahlen Gebühren, wenn sie einen eigenen Hausstand gegründet haben. Sie haben den gleichen Anspruch darauf, sich in unseren Programmen wiederzufinden. Wir werden sicher gezielt Angebote für junge Leute machen und die Anmutung von Sendungen verjüngen müssen. Wir werden aber auch im Internet - dort, wo das junge Publikum besonders unterwegs ist - über neuartige Formate auf sie zugehen. Wichtig ist dabei, dass wir inhaltlich Angebote machen, die andere nicht machen können: Seriöse, hintergründige Berichterstattung, und auch Unterhaltung muss da anders aussehen als bei RTL oder ProSiebenSat.1. 

Kann man darauf hoffen, dass in der seichten Unterhaltung bald so etwas wie eine Sättigung erreicht ist und das Publikum wieder stärker nach Qualität verlangt? 

Wilhelm: Im Hörfunk gibt es das ja schon. Da ist das Übermaß an Gewinnspielen und belanglosen Sendungen vom Publikum schon abgestraft worden. Sender mit hohen Wortanteilen und hochwertigen Beiträgen werden vom Markt belohnt. Das stimmt mich hoffnungsvoll. 

Der BR ist durch Gebühren finanziell abgesichert. Den Tageszeitungen macht vor allem ein starker Einbruch bei den Anzeigenerlösen zu schaffen. Muss es da sein, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender den Verlagen auch noch mit gebührenfinanzierten Online-Angeboten Konkurrenz macht? 

Wilhelm: Erstens: Finanziell werden unsere Möglichkeiten im Internet nicht in den Himmel wachsen. Auch der Bayerische Rundfunk hat seit 2009 - trotz steigender Personal-, Technik- oder Energiekosten - eingefrorene Etats. Das wird absehbar bis 2014 so bleiben. Wir müssen also sparen, beispielsweise leider den Anteil neuproduzierter Sendungen herunterfahren und die Zahl der Wiederholungen erhöhen. 

Zweitens: Zeitungen sind Wettbewerber und Partner zugleich, wir haben eine gemeinsame Verantwortung für das Funktionieren des öffentlichen Diskurses. Gemeinsam sorgen wir dafür, dass sich interessierte Bürger über alle Lebensbereiche informieren und darauf gegründet mündige Entscheidungen treffen können. Wir sollten unsere Kraft darauf verwenden, den Menschen Informations-Angebote zu machen, die sich gut ergänzen. Selbstverständlich müssen die öffentlich-rechtlichen Sender im Internet ihre Stärken präsentieren. Ein aggressives Gegeneinander in Zeiten medialer Umbrüche würde die Meinungsbildung in unserer Gesellschaft beeinträchtigen. 

Werden beide Medien die Digitalisierung überleben? 

Wilhelm: Wir erleben in der Tat eine bahnbrechende Umwälzung, wie es sie viele Jahrhunderte nicht mehr gab. Viele vergleichen es mit der Erfindung des Buchdrucks. Ich glaube, dass Medien aller Kategorien noch längst nicht den Höhepunkt der Digitalisierung gesehen haben. Nicht die Ausspielwege werden aber am Ende Grundlage des Erfolgs sein, sondern starke Marken. Das wird für die Nürnberger Nachrichten genauso gelten wie für den Bayerischen Rundfunk. 


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