Presse - Intendant


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Zeit-Interview "Fernsehen muss klug machen"

Der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, über das Wechselspiel zwischen Politik und Medien, seinen Kampf um Qualität und die Grenzen der Talkshows. Interview: Giovanni di Lorenzo (Die Zeit, 1. September 2011).

Stand: 18.10.2011

Bis zum vergangenen Jahr war er der Erklärer an Angela Merkels Seite. Ob Euro-Krise, Koalitionsstreit oder Vogelgrippe, Ulrich Wilhelm galt stets als mindestens so gut informiert wie seine Chefin. Im Februar wechselte der 50-Jährige die Seiten, er leitet jetzt den Bayerischen Rundfunk

DIE ZEIT: Herr Wilhelm, Sie waren Regierungssprecher, jetzt sind Sie Chef der viertgrößten Rundfunkanstalt in der ARD. Verstehen Sie auch etwas vom Fernsehen?

Ulrich Wilhelm: (lacht) Na ja, ich habe ja nach einer soliden Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in Print-, Hörfunk- und TV-Journalismus einige Jahre lang Fernsehen gemacht, unter anderem als Reporter für den Bayerischen Rundfunk. Auch als Schüler habe ich schon hinter der Kamera gestanden. Wenn Sie's hören wollen, ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Film für den BR: Es ging um die Frage, was eigentlich in den Ferien mit den Schulsportplätzen passiert. Dürfen Jugendliche aus der Umgebung oder Vereine sie nutzen?

DIE ZEIT: Klingt so wie das Pendant zu der Geschichte, mit der viele Printjournalisten anfangen: der Hauptversammlung des Kaninchenzüchtervereins.

Ulrich Wilhelm: Ja, so habe ich angefangen. Später habe ich auch den Bonner Politikbetrieb als Journalist ab und an erlebt. Eine Episode ist mir besonders in Erinnerung: Am Jahrestag des Mauerfalls, dem 9. November 1990, konnte ich mich mit meinem Kameramann für eine größere Dokumentation schon vorab im Büro von Bundeskanzler Helmut Kohl platzieren. Der Präsident der UdSSR Gorbatschow war zu Gast, und wir filmten, wie der ganze Pulk der Kollegen reinkam, das Shakehands von Kohl und Gorbatschow aufnahm und wieder rausging. Dann ging die Tür wieder zu, und wir konnten die ersten fünf Minuten des Gesprächs exklusiv drehen.

DIE ZEIT: Was gab es da zu sehen?

Ulrich Wilhelm: Man konnte genau studieren, wie Kohl eine Stimmung schuf: Michail, magst du Tee oder Kaffee, mit Milch oder ohne? Und dann hat er ihn in das Gespräch hineingezogen. Nach ungefähr fünf Minuten wurden wir wieder rausgeschmissen. An diese Geschichte musste ich gelegentlich denken, als ich Regierungssprecher in Berlin war. Journalisten stellen sich ja immer die Frage, wie es hinter verschlossenen Türen weitergeht.

DIE ZEIT: Und? Verpassen wir sehr viel?

Ulrich Wilhelm: Natürlich gibt es auch überraschende Momente. Aber generell gilt: Ein kluger Beobachter, der sich mit dem Thema auskennt und die Interessen der Beteiligten einschätzen kann, kann sich das meiste ausrechnen. Es wäre in einer Demokratie auch ein schlechtes Zeichen, wenn alles unkalkulierbar wäre und nur von Launen der Verhandlungspartner abhinge.

DIE ZEIT: Muss ein Intendant überhaupt etwas vom Fernsehen verstehen, oder liegen seine Aufgaben eigentlich woanders?

Ulrich Wilhelm: Es geht nicht nur ums Fernsehen. Hörfunk und Online gehören genauso dazu. Ein Intendant muss all diese Angebote professionell bewerten können. Er verantwortet sie ja. Im Kern ist er für die strategische Ausrichtung des Senders zuständig. Und natürlich gibt es in der Leitung eines solchen Unternehmens auch Tage, die so mit Sitzungen und Reisen ausgefüllt sind, dass ich erstmals abends wie jedermann verfolge, was im eigenen Programm läuft.

DIE ZEIT: Wie würden Sie Ihr journalistisches Grundverständnis beschreiben?

Ulrich Wilhelm: Ein Journalist muss sein Handwerk beherrschen. Er muss recherchieren und formulieren können, aus unabhängiger Position berichten, außerdem offen und kritisch sein. Darauf lege ich großen Wert. Journalisten erfüllen eine für die Demokratie wesensbestimmende Aufgabe. Eine besondere Rolle haben die öffentlich-rechtlichen Sender: Als wichtigstes Ziel sehe ich, eine fundierte Urteilsbildung von Millionen Bürgern zu ermöglichen. Durch präzise, verständliche, aber auch hintergründige Berichterstattung. Das betrifft alle Bereiche: Politik, Wirtschaft, Kultur bis hin zur Wissenschaft. Wir müssen umfassend und seriös berichten und an wichtigen Themen auch dranbleiben, gerade nach dem Abflauen der Themenkonjunktur. Hier gibt es eine große Gemeinsamkeit mit den Qualitätszeitungen, aber einen deutlichen Unterschied zu den privaten Fernsehanbietern. Ich mache das den Privaten gar nicht zum Vorwurf; die müssen jede Programmminute refinanzieren und immer unter dem Gesichtspunkt der Werberelevanz senden. Wir müssen das nicht, und wir sollten das auch nicht tun.

DIE ZEIT: Schaffen es die öffentlich-rechtlichen Sender denn, an wichtigen Themen dranzubleiben?

Ulrich Wilhelm: Nicht immer. Es geht hier um ein Phänomen, das alle aktuellen Medien betrifft. Ich bin überzeugt, dass die meisten Journalisten eine Themensetzung anstreben, die nachhaltig ist. Aber sie unterliegen der gewaltigen Beschleunigung auf den Nachrichten- und auch den Kapitalmärkten. Nicht nur Journalisten sind in dieser Lage, auch viele Akteure in Politik und Wirtschaft in eigentlich allen Staaten des Westens. Wir sind bei der Aufarbeitung komplexer Themen als Gesellschaft zu hektisch: Viele stürzen sich zu schnell auf ein Thema, rufen die Katastrophe aus, kommentieren ähnlich - und lassen die Sache nach ein paar Tagen zugunsten der nächsten Welle wieder fallen. Und das selbst dann, wenn ein Thema von seiner Bedeutung möglicherweise nichts eingebüßt hat. Zu selten macht man sich die Mühe, drei, sechs oder zehn Monate nach einem solchen Hype noch einmal nachzufragen, wie es eigentlich weitergegangen ist. Mich würde zum Beispiel heute interessieren, wie es den spanischen Gurkenbauern geht. Wir würden vermutlich viel lernen, wenn solche Themen intensiver nachgearbeitet würden.

DIE ZEIT: Hat der Trend zum Medienhype die Politik verändert?

Ulrich Wilhelm: Die digitale Beschleunigung beeinflusst auch die Politik. Der gefühlte Handlungsdruck steigt. Es wäre schlicht ungerecht, das allein den Medien anzulasten. Sie liefern täglich entscheidende Grundlagen für die Meinungsbildung in der Gesellschaft. Bei ihnen schlägt die Beschleunigung nur am sichtbarsten durch. Bürger und politisch Verantwortliche brauchen gleichermaßen abwägende Analysen, um gute Entscheidungen treffen zu können. Zum Problem wird das, wenn nur noch Handlungsdruck aufgebaut und schnelle Lösungen gefordert werden. Einige Entscheidungsträger gehen dann einfach in die Knie und geben wider besseres Wissen nach. Sie treffen dann eine Entscheidung, um das Thema vom Tisch zu kriegen, obwohl sie wissen, dass diese Entscheidung ein Fehler ist.

DIE ZEIT: Ist die Energiewende ein besonders drastisches Beispiel dafür?

Ulrich Wilhelm: Ich halte nichts davon, hier nur ein Beispiel herauszugreifen. Das Problem ist doch allgemeiner Natur: Durch Zeitdruck und appellative Berichterstattung wird der Diskurs verkürzt. Das ist eine Entwicklung, die mir Sorgen macht. Journalisten müssen Meinungen und Entscheidungen in größerer Ruhe überprüfen können. Gerade auch bei hektischen Entwicklungen an den Finanzmärkten.

DIE ZEIT: Sie haben nach einigen Jahren als Journalist die Seite gewechselt und als Sprecher von Edmund Stoiber und Angela Merkel gearbeitet. Hat Sie dieser Ausflug in die Politik nicht für das Journalistische deformiert?

Ulrich Wilhelm: Nein, meine berufliche Basis ist der Journalismus. Zudem war ich kein Politiker, sondern Beamter.

DIE ZEIT: Finden Sie es legitim, dass Sie so übergangslos aus der Politik in den Journalismus zurückgekehrt sind?

Ulrich Wilhelm: Es war nicht übergangslos, sondern es gab sechs Monate Auszeit zwischen beiden Funktionen. Entscheidend ist, mit welcher persönlichen Überzeugung man einem öffentlichen Amt begegnet. Eine Rolle spielt auch, welche Akzeptanz jemand erfährt, welche Glaubwürdigkeit man hat. Letztlich ist es eine Einzelfallbetrachtung. Ich wurde von den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppierungen - auch von vielen Journalisten - ermuntert, für das Amt des Intendanten zu kandidieren, und dann mit 40 von 44 Stimmen im Rundfunkrat gewählt. Und meine Amtsführung dürfte für Ihre Frage keinen Anlass geboten haben.

DIE ZEIT: Haben Sie als frisch gewählter Intendant eine Bringschuld gegenüber irgendeinem Politiker?

Ulrich Wilhelm: Nein. Das ist mit meinem Amtsverständnis unvereinbar.

DIE ZEIT: Ist es also vorstellbar, dass der Bayerische Rundfunk die Bundeskanzlerin scharf kritisiert?

Ulrich Wilhelm: Wenn Sie unsere Programme verfolgen, können Sie das selbst feststellen.

DIE ZEIT: Sind politische Interventionen, wie es sie noch in den achtziger Jahren beim Bayerischen Rundfunk gab, heute undenkbar geworden?

Ulrich Wilhelm: Unser höchstes Gut ist die Unabhängigkeit der Berichterstattung. Sie sichert doch erst die Glaubwürdigkeit eines Mediums und seiner Journalisten. Das ist die Voraussetzung, ohne die wir unsere Kontrollfunktion in der Demokratie nicht erfüllen können.

DIE ZEIT: Ist es für die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gut, wenn die Mehrheitsverhältnisse in einem Land nicht so eindeutig sind, wie das zum Beispiel in Bayern in der Vergangenheit meistens der Fall war?

Ulrich Wilhelm: Gerne noch einmal: Die Unabhängigkeit der Berichterstattung muss stets gelten. Und zwar unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen. Im Übrigen ist die Fragestellung heute eine andere: Die westlichen Gesellschaften sind doch mit einer um sich greifenden Politikmüdigkeit konfrontiert. In den achtziger Jahren gab es in der Bevölkerung ein größeres Interesse an der Politik, damals prallten stark polarisierte gesellschaftliche Kräfte aufeinander. Aber immer hat zu gelten: Die Berichterstattung muss unabhängig sein.

DIE ZEIT: Wenn die Frage nach dem Einfluss von Politikern auf die öffentlich-rechtlichen Sender heute tatsächlich überholt sein sollte: Wie passt das zum Fall Nikolaus Brender, dessen Vertrag als ZDF-Chefredakteur nicht verlängert wurde, weil Unionspolitiker dagegen waren?

Ulrich Wilhelm: Den Anteil staatlicher Vertreter im ZDF-Verwaltungsrat nach dem ZDF-Staatsvertrag und damit die Frage, inwieweit sie bei Personalien mitentscheiden dürfen, wird das Bundesverfassungsgericht klären. In einem laufenden Verfahren ist es geboten, Zurückhaltung zu üben. Eine Klärung solcher Fragestellungen begrüße ich.

DIE ZEIT: Sie werden allgemein als unverbesserlicher Optimist geschätzt. Hält Ihr Optimismus auch an, wenn Sie an die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland denken?

Ulrich Wilhelm: Ich glaube, dass es um die Zukunft des Qualitätsjournalismus insgesamt geht. Die Qualitätszeitungen und die öffentlich-rechtlichen Medien sind doch gleich getaktet: Beide sprechen weitgehend dieselben Bevölkerungsgruppen an: Menschen, die sich über das Weltgeschehen genauso wie über die Ereignisse in ihrer unmittelbaren Nähe breit informieren wollen und neugierig darauf sind, was gute Journalisten als Thema auswählen und was sie sich einfallen lassen. Ganz plakativ gesagt: Diejenigen, die sich Tagesschau, heute und politische Magazine ansehen, die kaufen auch überregionale Zeitungen, Zeitschriften und ihre Regionalzeitung. Es ist unsere gemeinsame Herausforderung, das Interesse am Qualitätsjournalismus hochzuhalten. Jeder mit seinen Möglichkeiten.

DIE ZEIT: Wie hält man dagegen?

Ulrich Wilhelm: Indem wir unseren besonderen Auftrag ernst nehmen: Die öffentlich-rechtlichen Sender sollen Information, Bildung und Kultur vermitteln. Ganz selbstbewusst können wir - gemeinsam mit den Qualitätszeitungen - von unserem Wert für die Stabilität der Demokratie sprechen. Unser Land steht vor einer ganzen Fülle von Problemen, die immer schwieriger zu bewältigen sind. Wie soll der Berg der Staatsschulden abgetragen werden? Wie gehen wir mit der Alterung unserer Gesellschaft und mit Migration um? Wie reagieren wir auf die weltweite Ressourcenknappheit? Diese komplexen Probleme müssen Medien für Menschen fundiert aufbereiten. Die Demokratie lebt davon, dass die Bürger mündig und informiert sind. Von dieser Vorstellung dürfen wir uns nicht immer weiter entfernen. Andernfalls wird die Demokratie auf tönernen Füßen stehen. Fernsehen muss klug machen.

DIE ZEIT: Ist die Schlacht noch zu gewinnen?

Ulrich Wilhelm: Wir müssen sie gewinnen. Sehr viele Menschen wollen anspruchsvolle Inhalte. Sie erwarten, dass die Medien den Dingen auf den Grund gehen. Das wird auch in Zukunft so bleiben, davon bin ich überzeugt. Deshalb setze ich darauf, dass auch Qualitätszeitungen weiter ihre Abonnenten im Print oder im Netz finden werden.

DIE ZEIT: Sie sprechen die Trivialisierung journalistischer Inhalte und die Digitalisierung an!

Ulrich Wilhelm: Es wird sicher mehr Menschen geben, die sich eine Zeitung nicht am Kiosk kaufen. Und immer weniger, die vor dem Fernseher abwarten, was ihnen geboten wird. Viele informieren sich schon heute online, gezielt und punktuell. Und die Algorithmen im Netz machen ihnen dann gezielte Vorschläge: Wer fünfmal Krimis eingeschaltet hat, bekommt vorgefiltert, wo es weitere Krimis gibt. Das wird die neue Ordnung sein.

DIE ZEIT: Aber wächst auch genügend junges Publikum nach? Der durchschnittliche Zuschauer des Bayerischen Rundfunks ist 64,5 Jahre alt.

Ulrich Wilhelm: Bei unseren Hörfunkprogrammen ist das Durchschnittsalter deutlich jünger. Ich glaube, dass es eine große Aufgabe ist, junge Leute für die Qualitätsmedien zu begeistern. Viele interessieren sich weniger für Zeitungen und politische Sendungen. Sie glauben, dass es ausreicht, sich punktuell im Internet zu informieren. Aber das ist ein Irrglaube. Wir müssen das junge Publikum gezielt im Netz abholen, auch Veranstaltungen machen und Spartenkanäle nutzen.

DIE ZEIT: Als Sie Ihr Amt antraten, haben Sie der Süddeutschen Zeitung gesagt, es komme bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht so sehr auf die Quote an, sondern auf die Qualität. Bleiben Sie dabei, auch nach sechs Monaten im Amt?

Ulrich Wilhelm: Ja, und sicher auch in Zukunft.

DIE ZEIT: Mal angenommen, der Bayerische Rundfunk bietet ein journalistisch hochwertiges Programm an, das aber eine schwache Quote hat. Was würde passieren?

Ulrich Wilhelm: Nach meiner Erfahrung ist dies kein striktes Entweder-oder. Gute Produkte finden auch ihr Publikum, das war immer so. Die Wertschätzung unserer Zuschauer zu erhalten, das ist unser Ziel. Ein öffentlich-rechtlicher Sender, der immer weniger relevante Inhalte anbietet und den Privatsendern zum Verwechseln ähnlich wird, büßt Reichweite ein. Wer nur auf Quote setzt, verliert am Ende beides: Qualität und Quote.

DIE ZEIT: Seit Jahresbeginn verliert der BR Zuschauer in der vergleichsweise noch jungen Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen. Springt da bei Ihnen nicht die Alarmanlage an?

Ulrich Wilhelm: Zunächst einmal haben wir das zweiterfolgreichste Dritte Programm der ARD. Ältere Zuschauer fühlen sich bei uns gut informiert und unterhalten. Ihr Anteil schwankt in den letzten Jahren. Es gab 2009 eine Verjüngung, seit 2010 ist der Altersdurchschnitt wieder gestiegen. Das liegt auch daran, dass junge Menschen zunehmend nicht mehr fernsehen, sondern Information und Unterhaltung im Internet suchen. Deshalb müssen wir sie ja, wie schon gesagt, verstärkt im Netz abholen. Dazu gehört auch, mehr Marken für junge Menschen zu etablieren. Im Fernsehen, im Hörfunk und im Netz. Alles im Rahmen unseres Auftrages.

DIE ZEIT: Aber ist es denn noch legitim, 7,54 Milliarden Euro Zwangsgebühren für die öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Hörfunksender zu erheben, wenn immer weniger Menschen zuschauen und zuhören?

Ulrich Wilhelm: Ich spreche nicht von Zwangsgebühren, sondern von Gebühren. Der Gesetzgeber, also gewählte Repräsentanten, hat diese zur Finanzierung der öffentlichen-rechtlichen Sender eingeführt. Mit diesen Mitteln kommen wir unseren vielfältigen Aufgaben nach, beim BR übrigens mit einem Budget, das auf dem Stand von 2009 eingefroren ist. Daran wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern.

DIE ZEIT: Das ändert doch aber nichts daran, dass es Zwangsabgaben sind. Noch einmal: Kann man es rechtfertigen, allgemeine Gebühren zu erheben, wenn die Quote sinkt?

Ulrich Wilhelm: Das hat mit der Quote nichts zu tun. Natürlich braucht der gebührenfinanzierte Rundfunk breite Akzeptanz in der Bevölkerung. Diese hat er auch. Unsere Hörfunkprogramme zum Beispiel haben derzeit mit über 50 Prozent Reichweite die größte Zustimmung seit über zwanzig Jahren. Ein Zweites ist: Wer kann die Versorgung der Bürger mit Informationen sicherstellen? Wenn es andere elektronische Anbieter gäbe, die das qualitativ in gleicher Weise könnten, dann hätte der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Tat ein Rechtfertigungsproblem. Aber es gibt sie nicht, es gibt nur die Qualitätszeitungen und uns. Und damit, ich kann das nur wiederholen, haben wir einen unabweisbaren Auftrag für die Funktionsfähigkeit der Meinungsbildung in der Demokratie.

DIE ZEIT: Hatten Sie als Regierungssprecher den Eindruck, dass Politiker sich dessen bewusst sind?

Ulrich Wilhelm: Selbstverständlich. Die Politik macht sich Gedanken über die Grundlagen der Meinungsbildung. Viele Bürger interessieren sich für wichtige Ergebnisse politischen Handelns, aber nicht so sehr für die Frage, wie Entscheidungen vorbereitet und diskutiert werden. Diese in einer parlamentarischen Demokratie notwendigen Prozesse gilt es transparent zu machen. Das ist eine wichtige Aufgabe der Journalisten. Auf diese Arbeit der Medien ist die Politik angewiesen, um sich einen öffentlichen Resonanzraum zu erschließen.

DIE ZEIT: Tragen die politischen Talkshows, die im öffentlich-rechtlichen Programm laufen, zum Verständnis komplexer politischer Prozesse bei?

Ulrich Wilhelm: Talkshows allein können das nicht leisten. Der Zuschauer hat zwar eine spannende Stunde erlebt, aber kann hinterher bei schwierigen Themen kaum beurteilen, wer denn nun recht hat. Für die Aufbereitung komplexer Themen brauchen wir ausführliche Nachrichten, Dokumentationen, Themenabende und Magazine. Wenn wir uns nur auf die Talkshows verließen, würden wir die Leute im Stich lassen.

DIE ZEIT: Gibt es in der ARD zu viele Talkshows?

Ulrich Wilhelm: Über diese Frage diskutieren wir natürlich in der Runde der Intendanten, kollegial und nicht in der Öffentlichkeit.

DIE ZEIT: Sind Sie zuversichtlich, dass die nächste königliche Hochzeit nicht mehr von so vielen öffentlich-rechtlichen Kanälen parallel übertragen wird wie die von William und Kate?

Ulrich Wilhelm: Ja, da bin ich zuversichtlich. Die ARD ist in den laufenden Gesprächen mit dem ZDF jedenfalls zu einer Vereinbarung bereit. Auch wenn ich gerne zugebe, dass die Parallelübertragung im Ersten, gegen die ich mich ausgesprochen hatte, die weitaus meisten Zuschauer und das beste Echo hatte.

DIE ZEIT: Sie sagen, dass es so etwas wie eine Schicksalsgemeinschaft zwischen Qualitätszeitungen und öffentlich-rechtlichem Fernsehen gibt. Warum machen Sie uns dann mit der kostenlosen Tagesschau-App Konkurrenz?

Ulrich Wilhelm: Die Tagesschau-App entspricht exakt dem öffentlich-rechtlichen Auftrag: Es geht um Nachrichten, um aktuelle Berichterstattung. Die App entspricht eins zu eins dem Onlineauftritt von tagesschau.de, der hauptsächlich aus Beiträgen besteht, die in Hörfunk oder Fernsehen laufen. Ein schwacher öffentlich-rechtlicher Rundfunk kann niemandem recht sein. Er führt nicht zu einer Stärkung der Verlage, sondern schwächt das Gesamtsystem der Qualitätsmedien. Selbstverständlich verstehe ich, dass die Verlage neue Geschäftsmodelle im Internet aufbauen - auch um junge Menschen anzusprechen. Neue Entwicklungen zu verschlafen, das ist die eigentliche Bedrohung für Verlage. Natürlich muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Internet junge Menschen mit Qualitätsinhalten ansprechen. Das ist sein Auftrag. Hier treffen wir uns mit den Verlagen; aber die Angebote ergänzen sich und sind meiner Meinung nach gerade nicht austauschbar und verwechselbar.

DIE ZEIT: Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Springer AG, ist einer der Beschwerdeführer. Er sagt: »Die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Systems bewegt sich in der digitalen Welt auf dünnem Eis.«

Ulrich Wilhelm: Ich schätze Mathias Döpfner sehr als Gesprächspartner in den Fragen einer neuen dualen Medienordnung. In diesem Punkt bin ich aber anderer Auffassung: Solange wir im Kernbereich des öffentlich-rechtlichen Auftrags bleiben, bewegen wir uns auch in der digitalen Welt auf dickem Eis. Wir geraten nur dann auf dünnes Eis, wenn wir uns davon entfernen und Angeboten von privater Seite zum Verwechseln ähnlich würden. Grundsätzlich sind unsere Angebote im Netz gesetzlich legitimiert und zugleich stark begrenzt und reglementiert.

DIE ZEIT: Können Sie die Verleger denn gar nicht verstehen?

Ulrich Wilhelm: Die Mehrheit der Verleger hat sich an der Klage gegen die Tagesschau-App nicht beteiligt. Ich halte es für wichtig, und zwar im Interesse der ganzen Gesellschaft, dass die wirtschaftliche Grundlage der Zeitungen auch im digitalen Zeitalter erhalten bleibt. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass es Raum für Verständigung, für Kompromisse und auch für Kooperationen mit den Verlagen gibt, zum Beispiel bei der Überlassung von Nachrichtenfilmen. Wir können auch mit den Verlagen darüber sprechen, den Video- und Audioanteil der App noch stärker herauszuarbeiten. Klar ist: Wir beschäftigen keinen einzigen Mitarbeiter, der extra für diese App Texte verfasst. Und die Sache muss auch nicht eskalieren.

DIE ZEIT: Haben Sie eine persönliche Hasssendung im Fernsehen, eine, die Sie nicht ertragen können?

Ulrich Wilhelm: Was ich nicht ertrage, muss ich nicht schauen. Zum Beispiel sehe ich mir nachmittags die Scripted-Reality-Sendungen mancher privater Kanäle nicht an.

DIE ZEIT: Und ein Lieblingsformat?

Ulrich Wilhelm: Viele. Den Weltspiegel und Quer oder Lebenslinien mag ich sehr gern, auch den Tatort und Polizeiruf. Außerdem Was nun? im ZDF. Ich bin ein großer Brennpunkt-Anhänger, und Die Sendung mit der Maus ist natürlich klasse! Westernfilme sehe ich außerordentlich gern, und Kultur- und Kunst-Sendungen wie Capriccio oder Reisewege. Aber auch How I met your mother oder Spin City mit Michael J. Fox. Auch wenn das, ich gebe es zu, bei den Privaten lief.


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