Presse - Intendant


1

Interview medienpolitik.net "Beide Konzepte sind vorstellbar“

Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm hält in einem medienpolitik.net-Gespräch sowohl die Vorschläge für eine Indexierung des Rundfunkbeitrags als auch eine Budgetierung für sinnvoll, wenn die Vorgaben der Rechtsprechung zu Artikel 5 GG beachtet werden. Kritisch sieht er dagegen die Flexibilisierung des Auftrages. "Ferner überschreiten Überlegungen, den Rundfunk in seinem Auftrag einzuschränken, meines Erachtens klar die Grenzen“, betont Wilhelm.

Stand: 27.11.2018

BR-Intendant und ARd-Vorsitzender Ulrich Wilhelm | Bild: BR / Fabian Stoffers

Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm hält in einem medienpolitik.net-Gespräch sowohl die Vorschläge für eine Indexierung des Rundfunkbeitrags als auch eine Budgetierung für sinnvoll, wenn die Vorgaben der Rechtsprechung zu Artikel 5 GG beachtet werden. Kritisch sieht er dagegen die Flexibilisierung des Auftrages. "Ferner überschreiten Überlegungen, den Rundfunk in seinem Auftrag einzuschränken, meines Erachtens klar die Grenzen“, betont Wilhelm. Der Ausgangspunkt für eine Indexierung des Rundfunkbeitrags müsse auf jeden Fall auf Grundlage einer Bedarfsanmeldung bei der KEF basieren. Eine willkürliche politische Festsetzung würde Artikel 5 GG widersprechen. Die Finanzierung zu entpolitisieren, entspräche dem Verfassungsrecht, den Auftrag zu entpolitisieren, widerspräche dagegen dem Verfassungsrecht. Es sei das Privileg des Gesetzgebers, im verfassungsrechtlichen Rahmen zu entscheiden, welchen öffentlich-rechtlichen Rundfunk es geben soll.

medienpolitik.net: Herr Wilhelm, in diesem Jahr sind einige wichtige Entscheidungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gefallen. Bei welcher haben Sie am meisten aufgeatmet?
Wilhelm: Da fällt die Auswahl schwer. Wir hatten das Referendum in der Schweiz, bei dem sich die Bevölkerung am Ende klar für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausgesprochen hat. Das war ein wichtiges Signal für die ungebrochene gesellschaftliche Akzeptanz und die Bedeutung unabhängiger, gemeinwohlorientierter Medien, auch über die Schweiz hinaus. Dann gab es die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Rundfunkfinanzierung, mit einem für uns positiven Resultat, bei dem auch unser gesetzlicher, ungeteilter Auftrag bestätigt wurde. Zudem konnten wir die Streitigkeiten mit den Verlegern beenden, und die Länder so einen neuen Telemedienauftrag auf den Weg bringen, der für uns eine Reihe wichtiger Vorteile enthält. Darüber hinaus freue ich mich, dass das Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Medien und das Ansehen der klassischen Medien insgesamt wieder gewachsen sind. Viele Menschen schätzen, dass ARD und ZDF ihnen etwas bieten, das es an anderer Stelle so nicht gibt.

medienpolitik.net: Was hat letztendlich den Ausschlag für den Kompromiss zum Telemedienauftrag gegeben? Es gab auch Kritik, die Öffentlich-Rechtlichen seien vor der Macht der Verleger eingeknickt?
Wilhelm: Ich glaube, es ist ein guter Kompromiss, bei dem wir uns nicht verleugnet oder verbogen haben. Mit der neuen Regelung ab voraussichtlich Mai nächsten Jahres haben wir viele zusätzliche Möglichkeiten in der digitalen Welt. Zum Beispiel können wir europäische Lizenzkäufe nicht nur linear, im Fernsehen, ausstrahlen, sondern auch zeitversetzt in der Mediathek zeigen. Außerdem bringt die Reform Verbesserungen für die öffentlich-rechtlichen Mediatheken, etwa durch den Wegfall der bisherigen Sieben-Tage-Regel. Wir können künftig ausdrücklich auch Drittplattformen zur Verbreitung nutzen und uns stärker bei der Verlinkung unter anderem von Inhalten aus dem Wissenschaftsbereich engagieren. Die Brücke, über die wir schließlich gehen konnten, entstand auch durch das sehr gute Vertrauensverhältnis zum Präsidenten des BDZV, Mathias Döpfner. Beide Seiten haben sich aufeinander zubewegt. Aus diesem gegenseitigen Verständnis heraus wollen wir auch in der neuen Schlichtungsstelle etwaige Probleme soweit wie möglich streitfrei lösen. Diese wird gleichmäßig besetzt sein, mit Vertretern der Verleger und der Rundfunkanstalten, und kann im Konfliktfall Lösungsvorschläge machen.

medienpolitik.net: Wo könnte es noch Streit geben?
Wilhelm: Subsumtion, also einen Sachverhalt einer bestimmten Rechtsnorm unterzuordnen, lässt immer Spielräume. So kann es immer wieder notwendig werden, einen Einzelfall gemeinsam anzuschauen. Von den Verlagen ist akzeptiert, dass wir weiterhin Text verwenden, um im Netz auffindbar zu bleiben. Investigativer Journalismus funktioniert sowieso nur über Text, weil man sonst nichts belegen kann. Umgekehrt haben wir uns verpflichtet, dass Videos und Audios den Schwerpunkt unserer Angebote bilden.

medienpolitik.net: Nun hat der NDR nicht auf die Beschwerde beim BVerfG, gegen die alte Entscheidung des OLG Köln, verzichtet. Ist das nicht ein Widerspruch? Sie einigen sich und klagen nach wie vor weiter darauf, dass die Tagesschau-App rechtmäßig ist.
Wilhelm: Wir haben gegenüber den Verhandlungspartnern vom BDZV klar kommuniziert, dass dies eine Entscheidung des für die Tagesschau zuständigen NDR und seiner Gremien ist. Das Argument des NDR war, dass es um das Angebot an einem konkreten Tag im Juni 2011 ging. Und das ist grundsätzlich bedeutsam, weil zum ersten Mal ein Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks depubliziert werden musste. Es wurde als so wichtig angesehen, dass, auch wenn es ein abgeschlossener, durch neues Recht überholter Sachverhalt ist, der NDR das Verbot einer gesamten Ausgabe der Tagesschau-App trotzdem höchstrichterlich und abschließend überprüfen lassen will. Und das ist zu respektieren.

medienpolitik.net: Angenommen das BVerfG gibt dieser Beschwerde Recht, würden Sie dann den Telemedienauftrag noch einmal in Frage stellen?
Wilhelm: Wenn die 16 Landtage bis Mai den Telemedienauftrag ratifizieren, gilt ein neues Recht. Für mich ist entscheidend, was mit den Verlegern vereinbart ist, und was mit dem neuen Rundfunkänderungsstaatsvertrag kommen wird. Ansonsten muss man erst einmal abwarten, wie das Gericht über die Beschwerde entscheidet.

medienpolitik.net: Das BVerfG hat jüngst sehr eindeutig Position bei der bedarfsgerechten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bezogen. Ist die Finanzierung jetzt für die nächsten Jahre sichergestellt?
Wilhelm: Damit allein noch nicht. Die konkrete Ausgestaltung eines zukunftsfähigen Finanzierungsmodells ist Aufgabe der Regierungen und Parlamente der für den Rundfunk zuständigen Bundesländer. Karlsruhe hat uns aber eine umfassende verfassungsrechtliche Garantie gegeben und die solidarische Finanzierung durch den Rundfunkbeitrag bestätigt. Vor allem mit dem wichtigen Argument, dass unser Auftrag nach wie vor zeitgemäß ist. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse ein Gegengewicht schaffen zu den freien Kräften des Marktes sowie zur vielfaltsverengenden Wirkung von Filterblasen im Netz. Er müsse ein Angebot hervorbringen, das inhaltliche Vielfalt gewährleistet. Das ist ein zentrales Argument, das durch die Wirklichkeit nicht so schnell überholt werden wird. Auf der anderen Seite gibt es weiterhin eine gesellschaftliche Diskussion über Sinn und Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen. Wir sind gut beraten, uns dieser Debatte und allen Kritikern immer wieder neu zu stellen und uns auch selbst immer wieder zu hinterfragen: Bilden wir wirklich alle Themen des Landes unvoreingenommen ab, oder nehmen wir vielleicht einen vielfaltsverengenden Blickwinkel ein? Haben wir zum Beispiel ausreichend Themen aus den ostdeutschen Ländern im Programm? Gibt es ausreichend Beiträge über die ländliche Bevölkerung, oder ist unser Angebot zu städtisch, zu akademisch? Diese Fragen müssen wir stets ernst nehmen. Trotz der wichtigen Rückenstärkung durch das Bundesverfassungsgericht dürfen wir uns nie zurücklehnen.

medienpolitik.net: Wenn aber das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass die Bedeutung zunimmt, kann man davon ausgehen, dass Sie bei der laufenden Bedarfsanmeldung einen höheren Finanzbedarf anmelden werden?
Wilhelm: So war es in den 1980er und 90er Jahren. Da wurde stets für eine neue Aufgabe, zum Beispiel für die Einrichtung von Spartenkanälen, zusätzliches Geld bewilligt. Als die Info-Radios vor 25 Jahren ins Leben gerufen wurden, gab es neues Personal und neues Geld für eine neue Aufgabe. Diese Zeit ist längst vorbei. Es geht uns heute nicht um Expansion, aber wir werben für einen Ausgleich zumindest der allgemeinen Teuerung. Der Rundfunkbeitrag ist seit fast zehn Jahren nicht mehr gestiegen, er wurde 2015 sogar auf 17,50 Euro gesenkt. Seit 2009 haben sich die verfügbaren Mittel der ARD unterhalb der allgemeinen Preissteigerung bewegt. Gleichzeitig müssen wir dem digitalen Wandel sowie den veränderten Nutzungsgewohnheiten Rechnung tragen. Mediatheken, die Tageschau-App, die Sportschau-App oder die Audiothek werden an Relevanz gewinnen, wir werden neue Publika durch Abruf- und Streamingangebote auch bei uns erreichen müssen. Für mich geht es um eine Grundsatzfrage: Wenn wir weiterhin einen starken und regional vielfältigen Rundfunk wollen, dann muss dieser auch finanziell so ausgestattet sein, dass die Qualität der Inhalte erhalten bleiben kann. Ohne den Ausgleich der Teuerung müssten wir massiv ins Programm einschneiden. Das will unser Publikum nicht, das will auch die Politik nicht.

medienpolitik.net: Also sehen Sie auch die Notwendigkeit, zu sparen?
Wilhelm: Ja, selbstverständlich, und wir sparen ja in allen Häusern und auch übergreifend als ARD schon seit Jahren kräftig. Durch Kooperation innerhalb der ARD, oder mit Dritten, oder durch neuartige technische Lösungen gelingt es uns, den Spardruck immer wieder produktiv umzusetzen, um Neues zu ermöglichen. Es ist aber eine Überforderung, wenn uns durch das KEF-Verfahren solche, durch erhebliche Anstrengungen eingesparte Mittel wieder entzogen werden. Denn nach dem jetzigen Modell dürfen die öffentlich-rechtlichen Anstalten – anders als jedes Unternehmen – etwaige Rationalisierungserfolge nicht ins Programm investieren. Jeder Überschuss wird im KEF-Verfahren am Ende einer Beitragsperiode als „finanzbedarfsmindernd“ bewertet und letztlich in eine Beitragssenkung gewandelt. Es muss vielmehr darum gehen, klug zu sparen und aus eigener Kraft eingesparte Mittel an anderer, zukunftsweisender Stelle wieder einsetzen zu können.

medienpolitik.net: Das war auch ein Plädoyer für das Modell der Budgetierung. Die Indexierung gehörte vor zwei Jahren zu den Vorschlägen der ARD. Würde Ihnen das Reformmodell der acht Länder zusagen?
Wilhelm: Die Vorschläge für eine Indexierung des Rundfunkbeitrags, also eine Weiterentwicklung entlang der Verbraucherpreise, haben wir bereits grundsätzlich begrüßt: Das kann ein tragfähiges Modell sein, wenn die Vorgaben der Rechtsprechung zu Artikel 5 GG beachtet werden. Auch eine Budgetierung wäre wie gesagt sinnvoll, wenn sie Anreize zum wirtschaftlichen Handeln setzt. Kritisch sehen wir dagegen die Flexibilisierung des Auftrages. Ferner überschreiten Überlegungen, den Rundfunk in seinem Auftrag einzuschränken, meines Erachtens klar die Grenzen. Wir glauben, dass die umfassende Beauftragung von Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung, mit Filmen, mit Sport zeitgemäß ist, und ich plädiere leidenschaftlich für deren Beibehaltung. Wir brauchen einen Rundfunk, der in der Mitte der Gesellschaft verankert ist, der jeden Tag ein breites Publikum erreicht, Gesamtöffentlichkeit herstellen kann und somit Teilhabe im umfassenden Sinne für viele Bürger ermöglicht. Wenn wir auf Nischen verengt werden, dann verlassen wir nach meiner Überzeugung den Boden des Verfassungsrechtes. Freiheit ist unteilbar, das gilt auch für die Presse- und die Rundfunkfreiheit. Es obliegt den Redaktionen zu entscheiden, ob man ein gesellschaftlich relevantes Thema über eine Dokumentation, ein Hör- oder Fernsehspiel, über eine Serie oder über ein Talk-Format abbildet. Nehmen wir die Serie „Weissensee“: Man hätte das zeitgeschichtliche Thema auch journalistisch aufbereiten können. Eine Spielhandlung hat aber den Vorzug, dass sich der Zuschauer mehr darauf einlässt und mehr darüber nachdenkt. Das ist für mich Rundfunkfreiheit. Wie wir ein Thema aufbereiten, wie wir es umsetzen, ist zuletzt eine Sache der Freiheit und Kreativität. Und diesen umfassenden Auftrag brauchen wir auch weiterhin.

medienpolitik.net: Im Rahmen der Flexibilisierung war vorgesehen, nur die Hauptprogramme zu beauftragen, aber beispielsweise bei den Spartenangeboten ARD und ZDF die Wahl zu lassen, ob es noch zwei Nachrichtenangebote geben soll. Hier soll keine Einschränkung vorgenommen werden, sondern der Kompetenz der Sender und der Entwicklung der Mediennutzung überlassen bleiben, wie diese Inhalte weiterverbreitet werden. Würden Sie nicht sogar an Spielraum gewinnen?
Wilhelm: Da käme es sehr auf den Wortlaut einer solchen gesetzgeberischen Lösung an. Wenn differenziert würde zwischen Bildung, Information und Kultur einerseits und Unterhaltung, Film und Sport andererseits, dann lehnen wir das wie gesagt ab. Es gibt keine Trennschärfe zwischen Unterhaltung und Information, wir haben auch keinen genau abgrenzbaren Kulturbegriff. Wenn es bei einem uneingeschränkten Auftrag bleibt und nur darum geht, welche Inhalte wir in den nächsten Jahren über Abrufplattformen, über lineare Kanäle oder über beide Distributionswege verbreiten, kann ein enger Austausch der Anstalten mit dem Gesetzgeber in Zukunft lohnend sein. So war beispielsweise bei der Abschaltung von „EinsPlus“ und „zdf.kultur“ zu Gunsten des reinen Online-Angebots von „funk“ die Verständigung zwischen uns und dem Gesetzgeber sehr schnell möglich. Letztendlich geht es darum, wie konkret unser Auftrag definiert ist, wie genau damit die Erfüllung dieses Auftrags nachzuweisen und schließlich finanziell zu rechtfertigen ist. Nehmen wir das Beispiel ARD-alpha: Natürlich gibt es Wissenschaftsplattformen, die nur mit Abrufinhalten funktionieren. Aber diese müssen auch redaktionell erstellt werden. Das macht bei ARD-alpha den wesentlichen Anteil der Kosten von rund 11 Millionen Euro im Jahr aus. Bereits heute werden die Beiträge über die unterschiedlichsten Abrufplattformen aggregiert.

medienpolitik.net: Wäre es möglich, mit konkreten Projekten zu beginnen und eine gemeinsame öffentlich-rechtliche Wissenschafts- und Geschichtsplattform von ZDF und ARD-alpha zu erstellen, analog zu FUNK?
Wilhelm: Persönlich wäre ich da sehr aufgeschlossen. Aber es ändert nichts daran, dass wir die Inhalte, die wir in so eine gemeinsame Plattform zu Wissenschaft und Forschung einbringen könnten, mit gleichen Kosten erst redaktionell erstellen müssen. Umgekehrt schätzen auch Wissenschaft und Forschung, dass es mit ARD-alpha ein lineares Forum für ihre Inhalte und Veranstaltungen gibt.

medienpolitik.net: Mit dem Indexmodell soll sich auch die Rolle der KEF verändern. Sie hätten dann vielleicht mehr Freiheit bei der Ausgabe der Mittel…
Wilhelm: Den Rahmen für unsere Finanzierung steckt das Europarecht ab. Der Beihilfekompromiss der EU von 2007 betont, dass die KEF grundsätzlich für eine Kontrolle der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks benötigt wird. Das bedeutet, dass die KEF immer relevant sein wird. Das aktuelle Plädoyer des Generalanwaltes beim EuGH stärkt die Legitimität der Beitragsfinanzierung des deutschen Rundfunks und damit die Rolle der KEF erneut. Allerdings nicht alles, was heute im KEF-Verfahren enthalten ist, beruht auf gesetzlicher Grundlage, sondern zum Teil nur auf verfestigter Verwaltungspraxis. Diese Detailgenauigkeit, dass wir alle zwei Jahre viele tausend Seiten Bedarfsanmeldung abgeben, muss nicht in Stein gemeißelt sein. Wir könnten durch Budgetierung, mittels periodenübergreifender Rücklagen mit Zweckbindung mehr Freiheiten bekommen, ohne dass man gegen europäische Vorgaben verstößt. Entscheidend, auf der Basis des EU-Beihilferechts, ist die Einschätzung der KEF, dass die Einnahmen dem Bedarf entsprochen haben. Ich glaube, dass es Freiheitsgrade geben kann, die die starke Rolle der KEF weiterhin respektieren.

medienpolitik.net: Aber die KEF muss doch den Bedarf ermitteln, wenn eine bedarfsgerechte Finanzierung erfolgen soll?
Wilhelm: Der Absprungpunkt für eine Indexierung des Rundfunkbeitrags muss auf jeden Fall auf Grundlage einer Bedarfsanmeldung bei der KEF basieren. Nur so kann der Ausgangswert für eine spätere Indexierung gebildet werden. Eine willkürliche politische Festsetzung widerspricht Artikel 5 GG. Das Modell kann nur mit einem Votum der KEF beginnen. Wenn die Länder bei der Beitragsermittlung durch die KEF bleiben wollen, könnten sie höchstens bei der Budgetierung einige Veränderungen anregen. Wenn sie sich für das Indexmodell entscheiden, ermittelt die KEF auf Grund unserer Anmeldungen einen Ausgangswert, der zum Beispiel nach dem Verbraucherpreisindex der allgemeinen Teuerung fortgeschrieben wird. Bei solch einem Modell müsste die KEF dann darauf achten, dass es weder eine Unterkompensation gibt, die vor allem Artikel 5 ausschließt, noch eine Überkompensation, die das EU-Recht ausschließt. Nach dem EU-Beihilferecht darf der Betrag um 10 Prozent schwanken, ohne dass der Rundfunkbeitrag verändert werden müsste.

medienpolitik.net: Falls es zu dem indexgestützten Modell kommt, müssten Sie eine hohe Anmeldung bei der KEF einreichen, damit die Ausgangsschwelle hoch ist…
Wilhelm: Die KEF ist bisher schon sehr restriktiv mit unseren Anmeldungen umgegangen. Vieles was von uns angemeldet wird, streicht die KEF.

medienpolitik.net: Wäre es Ihnen lieber, wenn alles beim Alten bliebe?
Wilhelm: Beide Konzepte sind vorstellbar, solange unser Auftrag verfassungskonform bleibt und wir bedarfsgerecht finanziert werden.

medienpolitik.net: Einige Medienpolitiker wie Heike Raab oder Rainer Robra haben vor einer Entpolitisierung der Entscheidung über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewarnt, wenn es zu der Indexierung kommt. Sehen Sie die Gefahr auch?
Wilhelm: Die Rundfunkfinanzierung darf nach dem Verfassungsrecht nicht politisiert werden, während umgekehrt die Bestimmung des Auftrages immanent politisch ist. Es geht im Kern darum, wie groß und wie leistungsfähig dieses öffentliche Gut sein soll. Es ist das Privileg des Gesetzgebers, im verfassungsrechtlichen Rahmen zu entscheiden, welchen öffentlich-rechtlichen Rundfunk es geben soll.

medienpolitik.net: Haben Sie sich deshalb Anfang des Jahres geweigert, Vorschläge für eine Veränderung des Auftrages zu unterbreiten?
Wilhelm: Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, zu bestimmen, was die Gesellschaft von den Anstalten bestellt. Denken Sie an ARTE, 3sat, Phoenix, KiKA, oder Klassikwellen und Infowellen im Hörfunk – diese zu beauftragen, war über die Jahrzehnte immer eine gesetzgeberische Entscheidung und Abwägung. Es geht bei dieser Frage immer um einen Interessenausgleich in der Gesellschaft: Welche Gruppe bekommt ihr Anliegen und ihre Interessen mit einem öffentlich-rechtlichen Programm abgebildet, und welche muss verzichten? Gibt es einen Sportkanal, einen Nachrichtenkanal oder einen Klassikkanal? All dies sind hoch politische Entscheidungen. Aber die Rundfunkfinanzierung selbst darf keine Frage des politischen Ermessens, sondern sie muss staatsfern sein. Nur unter ganz engen Bedingungen kann vom KEF-Votum abgewichen werden. Die Finanzierung zu entpolitisieren, entspräche dem Verfassungsrecht. Den Auftrag zu entpolitisieren, widerspricht dagegen unserem Verfassungsrecht.

medienpolitik.net: Aber bisher wurde zumeist im Zusammenhang mit dem Beitrag auch über den Auftrag entschieden. So haben die Länder die aktuelle Arbeitsgruppe Auftrag und Strukturoptimierung eingesetzt, nachdem die KEF eine erhebliche Steigerung des Beitrages ab 2021 prognostiziert hatte. Besteht bei der Entkoppelung nicht die Gefahr, dass alle vier Jahre automatisch der Beitrag festgesetzt wird, ohne Debatte über den Auftrag?
Wilhelm: Den Ländern bleibt es immer frei, über den Auftrag zu sprechen.

medienpolitik.net: Aber der Druck fehlt. Und die Politik priorisiert natürlich die Themen…
Wilhelm: Eine Medienordnung hat immer auch mit gesellschaftlicher Ordnung zu tun. Medien bestimmen immer mit über die Gesellschaft. Es ist eine immanent politische Aufgabe, zu entscheiden, welche Art von Medien gewollt ist. So war es bei der Zulassung von privatem Rundfunk oder bei der Frage, ob und wie Plattformen oder Intermediäre reguliert werden sollen. Wollen wir einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder nur einen ganz klein ausgeprägten, wie in den USA? Heute ist unser wirksamster Schutz, dass der Markt eher die Vielfalt verengt. Aber wenn die gesellschaftliche Entwicklung in 20 Jahren eine andere wäre, und man hätte im Markt verlässlich vielfältige Angebote, dann wäre der Druck aus der Realität angekommen. Persönlich glaube ich das nicht, weil sich der Markt auf die höchst lukrativen Dinge stürzt und anspruchsvolle Minderheitenangebote am Markt nicht verlässlich refinanziert werden können. Dieser Mechanismus fällt durch die Indexierung nicht weg.

medienpolitik.net: Bei der gegenwärtigen Diskussion sehe ich keine klare Antwort der Politik auf die Frage, welchen Rundfunk wir haben wollen.
Wilhelm: Das ist sicher die entscheidende Frage: Soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk leistungsfähig und in der Mitte der Gesellschaft bleiben, oder soll er finanziell und damit auch qualitativ schrumpfen? Das ist zwischen den in den Landtagen vertretenen Parteien streitig. Aber die gleiche Diskussion existiert beispielsweise auch bei öffentlichen Krankenhäusern. Soll es private Krankenhäuser als Standard geben, oder auch öffentliche? Wie ist es mit privaten und öffentlichen Schulen? Das sind Fragen der Gesellschaftsgestaltung.

medienpolitik.net: Um die Gesellschaftsgestaltung geht es Ihnen anscheinend auch bei dem Vorschlag einer europäischen Plattform. Wir erleben in Europa in Ansätzen eine Erosion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ist angesichts der Situation, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk behaupten muss, die Kraft dazu noch vorhanden, so einen Schritt zu gehen, während man eigentlich um das Überleben kämpft?
Wilhelm: Mein Vorschlag betrifft ja nicht nur den Rundfunk, sondern die gesamte Gesellschaft: Es geht um eine europäische digitale Infrastruktur mit Inhalten der unterschiedlichsten Institutionen, aus Kultur, Wissenschaft, Bildung, den Medien, den Buchverlagen, die allen Bürgern zur Verfügung steht und eine Alternative zu den Plattformen der US-Giganten darstellt. Eine solche Plattform könnte ein wirksames Gegenmittel gegen die wachsende Polarisierung, gegen die Zerrissenheit unserer Gesellschaften sein.

medienpolitik.net: Aber müsste der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht eine Art Kernzelle sein?
Wilhelm: Wir wären sicher einer der dazu berufenen Inhalteanbieter. Aber wenn der Content nur von uns käme, dann wären es letztlich nur Mediatheken, und die gibt es ja heute schon. Es muss eine Infrastruktur sein, die von Millionen Menschen in ihrem Alltag genutzt wird, so wie man heute permanent Google, Facebook und YouTube nutzt – allerdings mit einem Algorithmus, der transparent ist und in unseren europäischen Werten wurzelt. Die Algorithmen der US-Anbieter beruhen hingegen auf einem Geschäftsmodell, das zugespitzte Inhalte im Netz verlässlicher verbreitet als ausgleichende Botschaften. Je emotionaler, je polarisierter, je aufputschender eine Information ist, desto sicherer findet sie den Weg zum Nutzer. Und das verändert unsere Gesellschaften. Wenn die Weltsicht von Millionen Menschen durch bevorzugt polarisierende Inhalte geprägt wird, befördert dies demokratiegefährdende Tendenzen. Unser Kontinent hat in den vergangenen siebzig Jahren bewiesen, dass er mit den europäischen Werten des Zusammenhalts, der Pluralität und des Ausgleichs Frieden und Wohlstand schaffen kann. Um das zu erhalten, benötigen wir eine Infrastruktur, die nicht Hass verstärkt, sondern Zusammenhalt.

medienpolitik.net: Wann könnte der Prototyp einer solchen Plattform starten?
Wilhelm: Ich kann eine solche Plattform ja nur anregen, die Umsetzung bedarf freilich einer Entscheidung der Politik. Es hängt also davon ab, ob die Politik so entschieden die Initiative ergreifen würde. In Amerika ist das Silicon Valley auch durch Industriepolitik entstanden. Haftungsprivilegien für Plattformen und viele Projekte der zivilen und militärischen Forschung haben entschieden geholfen, Google und Facebook zu dem zu machen, was sie heute sind. Europa muss daher die Startups, die dem etwas entgegensetzen wollen, unterstützen, sonst wird sich nichts ändern. Das technologische Knowhow ist jedenfalls in Europa klar vorhanden, hier sehen wir nicht schlechter aus als die USA.

Übernahme von medienpolitik.net mit freundlicher Genehmigung des Verlages.


1