Überschwemmung in Indonesien (Archivbild)
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Wissenschaftler warnen vor weltweitem Klima-Notfall

Es drohe "unsägliches menschliches Leid": Um auf die Dringlichkeit des gemeinsamen Klimaschutzes hinzuweisen, warnen mehr als 11.000 Forscher vor einem weltweiten Klima-Notfall. Die Pläne der meisten Staaten seien unzureichend.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Im Pariser Klimaabkommen von 2015 haben sich fast alle Staaten der Welt das Ziel gesetzt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Dennoch war die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre noch nie so hoch wie im Mai 2019.

Würden alle Länder so weitermachen wie bisher, würde der Anstieg Ende dieses Jahrhunderts wohl bei rund drei Grad liegen. Schon jetzt bekommen wir die ersten Auswirkungen des Klimawandels zu spüren. Es geht um Schadensbegrenzung: dass die Gletscherschmelze und damit der Meeresspiegelanstieg eingedämmt werden zum Beispiel.

Länder müssen ihre Klimaschutz-Pläne regelmäßig nachschärfen

Gemäß der Pariser Vereinbarung sind die Länder dazu aufgerufen, ihre Klimaschutz-Pläne alle fünf Jahre nachzuschärfen. 2020 sollen deshalb die neuen Ziele für den Zeitraum bis 2030 vorgelegt werden. Zur Vorbereitung findet vom 2. bis 13. Dezember 2019 die Weltklimakonferenz in Madrid statt.

Mehr als 11.000 Forscher warnen vor "unsäglichem menschlichem Leid"

Den heutigen Tag, rund vier Wochen vor dem Klimagipfel, nutzten Wissenschaftler deshalb für einen Appell: Mehr als 11.000 Experten aus 153 Ländern, darunter auch 871 Forscher deutscher Universitäten und Institute, veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung im Fachmagazin "BioScience". Darin warnen sie vor einem weltweiten "Klima-Notfall": Wenn sich das menschliche Verhalten, das den Klimawandel begünstigt, nicht grundlegend und anhaltend verändere, sei "unsägliches menschliches Leid" nicht mehr zu verhindern, heißt es darin.

"Wissenschaftler haben eine moralische Pflicht, die Menschheit vor jeglicher katastrophalen Bedrohung zu warnen. Aus den vorliegenden Daten wird klar, dass wir einem Klima-Notfall gegenüberstehen." Thomas Newsome, University of Sydney, Ko-Autor

Klimawandel beschleunigt sich schneller als erwartet

Den Zusammenschluss der Tausenden von Wissenschaftlern führt William Ripple gemeinsam mit seinem Kollegen Christopher Wolf von der Oregon State University in den USA an. Er appelliert eindringlich an die Länder: "Obwohl global seit 40 Jahren verhandelt wird, haben wir weiter gemacht wie vorher und sind diese Krise nicht angegangen. Der Klimawandel ist da und er beschleunigt sich rascher als viele Wissenschaftler erwartet hatten."

Forscher fordern tiefgreifende Veränderungen

Die Forscher fordern in ihrem Beitrag Veränderungen vor allem in sechs Bereichen: den Umstieg auf erneuerbare Energien, die Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen wie Methan, einen besseren Schutz von Ökosystemen wie Wäldern und Mooren, den Konsum von mehr pflanzlichen und weniger tierischen Produkten, eine nachhaltige Veränderung der Weltwirtschaft und die Eindämmung des Bevölkerungswachstums.

"Als Zusammenschluss von Wissenschaftlern weltweit stehen wir bereit, bei einem gerechten Wandel hin zu einer nachhaltigen und gleichberechtigten Zukunft zu helfen." Aus der gemeinsamen Erklärung der Wissenschaftler am 05.11.2019

Klimaschutzziele der Länder sind bislang nicht ehrgeizig genug

Gleichzeitig haben sich fünf Experten, von denen vier auch schon für den Weltklimarat IPCC gearbeitet haben, genauer angesehen, was die Staaten bislang im Rahmen des Paris-Abkommens versprechen. Ihr Fazit zu den Klimaschutzzielen, das heute von der US-Organisation "Universal Ecological Fund" veröffentlicht wurde, ist ernüchternd: Die Pläne der meisten Länder würden nicht ausreichen, um die immer schneller voranschreitende Erderwärmung zu bremsen. Laut der Forscher seien fast drei Viertel der 184 Zusagen zum Einsparen von Treibhausgasen, die die Länder eingereicht haben, nicht ehrgeizig genug. Beim Ziel, den Ausstoß bis 2030 um mindestens 40 Prozent zu reduzieren, seien nur die 28 EU-Staaten und sieben weitere Länder auf Kurs.

Verbindliches, aber straffreies Abkommen

Im Pariser Abkommen ist völkerrechtlich verbindlich festgelegt, welcher Staat welchen Anteil erbringen muss, um wenigstens das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Allgemein gilt, dass reiche Industriestaaten und solche, die in der Vergangenheit wahrscheinlich viel zum Klimawandel beigetragen haben, mehr Verantwortung übernehmen sollen. Werden die Zusagen nicht erfüllt, gibt es jedoch keine Strafen oder dergleichen.

"Die Zusagen sind schlicht viel zu wenig und zu spät. Sogar wenn alle freiwilligen Klimazusagen voll umgesetzt werden, erreichen sie nur die Hälfte dessen, was notwendig ist, um die Beschleunigung des Klimawandels im nächsten Jahrzehnt zu begrenzen." Co-Autor Robert Watson, bis 2002 im Vorstand des Weltklimarats

Experten kritisieren vor allem China, Indien, die USA und Russland

Mit ihrer Kritik zielen die Autoren vor allem auf vier Nationen ab, die zusammen mehr als die Hälfte der weltweiten Treibhausgase ausstoßen: China, Indien, die USA und Russland. Das bevölkerungsreichste Land China hat daran einen Anteil von rund 27 Prozent. Die Emissionen von Kohlendioxid und anderen Klimagasen dort würden sich wegen des Wirtschaftswachstums noch weiter vergrößern, vermuten die Forscher. China sagte bislang nur zu, dass die Emissionen nicht im gleichen Maße zunehmen sollen wie das Bruttoinlandsprodukt. Das gilt auch für Indien, das für sieben Prozent des globalen Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich ist.

Die USA kündigten ihre Teilnahme am Pariser Abkommen

Die USA sind für 13 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Sie stellen gerade einen Sonderfall dar: Sie kündigten ihre Teilnahme am Pariser Abkommen am 4. November 2019 offiziell. Deren ursprüngliche Zusagen bewerten die Autoren des Berichts als noch "in der Schwebe" - ihre aktuelle Politik könne sie aber nicht erfüllen. Russland, dessen Anteil bei knapp fünf Prozent liegt, habe noch keine Pläne eingereicht, schreiben die Forscher.

Die 28 EU-Staaten sind mit ihren Klimaschutzplänen auf Kurs

Die 28 Staaten der EU sind zusammen für neun Prozent des weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich. Dem Bericht zufolge liegen sie mit ihren Plänen gut in der Zeit: Bis 2030 könnte der CO2-Ausstoß 58 Prozent unter dem Wert von 1990 liegen. Daneben werden die Autoren auch Island, Liechtenstein, Monaco, Norwegen, Moldawien, die Schweiz und die Ukraine als Länder, deren aktuelle Zusagen zum jetzigen Zeitpunkt ausreichen.

Viele Absichtserklärungen werden unzureichend erfüllt

152 Klimaschutzzusagen kommen von Staaten, die zusammen rund 33 Prozent der Treibhausgase ausstoßen. 127 Absichtserklärungen seien daran gekoppelt, dass reiche Staaten technisch und finanziell bei der Umsetzung helfen würden, schreiben die Forscher. Sie bemängeln, dass es hier mit der Unterstützung nicht so gut laufe, wie man beim Abschluss des Abkommens 2015 gedacht habe.

Manche Klimaschutzpläne sind zumindest teilweise ausreichend

Als "teilweise genügend" bewerten die Experten die Pläne von Australien, Aserbaidschan, Weißrussland, Brasilien, Kanada, Costa Rica, Israel, Japan, Montenegro, Neuseeland, San Marino und Südkorea, die den Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 jeweils um 20 bis 40 Prozent reduzieren wollen. Im Hinblick auf Brasilien betonen die Autoren jedoch, dass die Politik der aktuellen Regierung nicht den Zusagen entspreche, die die Vorgängerregierung eingereicht hatte.

Bei einigen Ländern fehlen Klimaschutzziele bislang komplett

13 Länder haben noch gar keine offiziellen Klimaschutzankündigungen eingereicht: Neben Russland sind das Angola, Brunei, Iran, Irak, Kirgisistan, Libyen, Libanon, die Philippinen, Senegal, Südsudan, Türkei und Jemen. Sie stoßen zusammen neun Prozent der weltweiten Treibhausgase aus.

Klimagipfel in Madrid wird mit Spannung erwartet

Ab 2. Dezember werden wieder rund 20.000 Delegierte aus aller Welt über die Ausgestaltung des Pariser Klimaabkommens verhandeln. Auf ihrer Tagesordnung steht dann nicht nur, die Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen nachprüfbar zu machen. Gefragt sind vor allem ehrgeizigere Zusagen der Weltgemeinschaft zur Einsparung von Treibhausgasen.

Klima-Demonstration Fridays for Future auf dem Gänsemarkt in Hamburg (14.06.2019)
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Klima-Demonstration Fridays for Future auf dem Gänsemarkt in Hamburg (14.06.2019)