Ab 2035 sollen in der EU keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden - so hat es das Europaparlament beschlossen, einem Vorschlag der EU-Kommission folgend. Der Schritt sorgt für sehr unterschiedliche Reaktionen und hat innerhalb der Ampel-Koalition eine Kontroverse über die Linie der Bundesregierung beim Klimaschutz im Straßenverkehr ausgelöst.
So kritisierten Verkehrsminister Wissing und Finanzminister Lindner (beide FDP), dass dadurch Technologien wie synthetische Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, ausgeschlossen würden. So schrieb Lindner auf Twitter, nötig sei eine Zukunftsoption für klimafreundliche Flüssigkraftstoffe. "Als Bundesregierung sollten wir daher jetzt auf Technologieoffenheit drängen." Das Umweltministerium von Ressortchefin Steffi Lemke (Grüne) erklärte dagegen, dass die Bundesregierung den europäischen Vorschlag "vollumfänglich" unterstütze.
Lob und Kritik von Verbänden und Organisationen
Ähnlich unterschiedlich fallen die Reaktionen bei Organisationen und Verbänden aus. Greenpeace etwa begrüßte den Beschluss. Das EU-Parlament habe die "utopische Hoffnungen" beendet, synthetische Kraftstoffe könnten das "Siechtum" des Verbrennungsmotors verlängern, hieß es von der Organisation.
Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, erklärte dagegen, der Weg für technologieoffene Lösungen solle grundsätzlich immer offen gehalten werden. "Um die Klimaziele zu erreichen, braucht es auch E-Fuels", sagte Müller "Denn sie ermöglichen, den Fahrzeugbestand zu adressieren und entsprechend klimaneutral zu betreiben."
IG Metall Bayern stellt Forderungen an die Politik
Auch aus der bayerischen Wirtschaft kommen zahlreiche ablehnende Reaktionen. Als eine sehr ambitionierte Herausforderung sieht die IG Metall in Bayern das faktische Aus für die Verbrennungstechnologie ab 2035. Die Politik sei nun gefordert – so Bezirksleiter Johann Horn – den Umbau umfangreich zu unterstützen und die Jobs der betroffenen 300.000 Beschäftigten in der Autoindustrie im Freistaat zu sichern.
Bayerisches Kraftfahrzeuggewerbe: Klares Nein zum Verbrenner-Aus
Ein klares Nein zum Beschluss des EU Parlamentes kommt vom bayerischen Kraftfahrzeuggewerbe. Der Verband macht sich stark für Alternativen Mit synthetischen Treibstoffen könnten Verbrennerfahrzeuge klimafreundlicher unterwegs sein. Und das Gewerbe warnt: der Europäische Technologieausverkauf wird nicht spurlos am Autoland Bayern vorbeigehen.
Auch die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft sieht den EU-Beschluss kritisch. Das sei nicht nur innovationsfeindlich, sondern komme auch noch zur Unzeit. Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft Bertram Brossardt fordert bessere Rahmenbedingungen und nennt zum Beispiel die Ladeinfrastruktur.
Immer noch zu wenig Ladesäulen
Bundesweit wurden der Bundesnetzagentur zum 1. Mai nur gut 60.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte für Elektroautos in Deutschland gemeldet. Anfang 2021 gab es knapp 41.600. Der Verband der Automobilindustrie schätzt, dass 2030 im öffentlichen Bereich ein Bedarf von rund einer Million Ladepunkte besteht. Ohne schnellen Ausbau der Ladeinfrastruktur ließen sich E-Autos schlechter verkaufen. Zudem hinderten die Folge des Krieges in der Ukraine sowohl die Autobauer als auch die Zulieferer momentan daran, den Wandel hin zur klimafreundlichen Produktion zu planen.
Mobilitätsforscher begrüßt EU-Beschluss
Aus Sicht des Mobilitätsforschers Stefan Carsten haben die Fahrzeugbauer jetzt aber genug Zeit, auf E-Mobilität umzurüsten. Im Interview mit BR24 spricht er von einer "einmaligen Chance für Umwelt und Wirtschaft". Das führe dazu, "dass nicht alles über die Automobilindustrie argumentiert wird und dass wir stattdessen über Mobilität nachdenken müssen."
Stefan Carsten: Nichts ist nachhaltiger als E-Mobilität
Die E-Mobilität sei die "mit Abstand nachhaltigste Mobilitätsform", erklärte Carsten. Deshalb müsse sie priorisiert werden. Wasserstoff und die Brennstoffzelle, seien sehr energieintensiv und teuer. Für schwere LKWs könne das interessant sein. "Alle anderen Alternativen spielen vor dem Hintergrund Nachhaltigkeit überhaupt keine Rolle."
Video: Dr. Stefan Carsten ist überzeugt vom Beschluss des EU-Parlaments

Dr. Stefan Carsten, Mobilitätsforscher am Zukunftsinstitut in Berlin.
Forscher: Deutschland hinkt auch in der Diskussion hinterher
"Die Automobilindustrie hatte bereits einige Jahre Zeit, sich auf diese Zeitenwende vorzubereiten", sagte Carsten. Andere Volkswirtschaften hätten das bereits bewerkstelligt. Die führenden Wettbewerber säßen derzeit in Südkorea, in China und in den USA. Sie alle setzten auf E-Mobilität. "Die haben alle ganz andere Batterietechnologien und entwickeln neue Batterietechnologien, die schon in drei, vier Jahren auf den Markt kommen und die dann Reichweiten von 900 Kilometern haben werden und Ladezeiten von ungefähr fünf bis zehn Minuten beinhalten. Das heißt, wir sprechen, glaube ich, in der Diskussion in Deutschland sehr häufig über die alte Technologie und nicht über das, was bereits technisch möglich ist."
Kein Platz mehr für Raps und Biokraftstoffe
Erneuerbare Energien seien "das Zauberwort unserer Zeit", fuhr Carsten auf die Frage nach dem für die E-Mobilität benötigten Strom fort. "Wir wissen, dass wir landwirtschaftliche Flächen zuerst einmal für die Ernährungsfrage brauchen." Das habe die russische Invasion in die Ukraine gezeigt. Bekannt sei aber auch, dass landwirtschaftliche Flächen für Wind- und Solarenergie benötigt würden. "Da ist dann natürlich für Raps und Biokraftstoffe überhaupt kein Platz mehr. Das heißt, der Ausbau der Erneuerbaren Energien hat jetzt Priorität". Carstens Meinung nach sei Deutschland hier mit dem neuen Wirtschaftsministerium ganz gut aufgestellt.
EU- im EU-Parlament: Verbot von Verbrenner-Motoren ab 2035
Mit seinem Beschluss, den Verkauf von Neuwagen mit Verbrennern ab 2035 zu verbieten, folgt das EU-Parlament einem Vorschlag der EU-Kommission, die im Rahmen ihres "Fit for 55"-Programms unter anderem dafür sorgen will, dass die Neuwagenflotte der Autobauer im Jahr 2035 100 Prozent weniger Emission ausstößt als im Jahr 2021. Bevor die Regelung zum Aus für den Verbrennungsmotor aber in Kraft treten kann, muss das Parlament noch mit den EU-Staaten darüber verhandeln.
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