Ein Alzheimer-Forscher hat mutmaßlich Teile seiner Ergebnisse gefälscht, und könnte damit einen ganzen Forschungszweig zur häufigsten Demenzerkrankung in den Abgrund reißen. In einem jüngst im Magazin Science erschienen Artikel steht, die aktuell vorherrschende Hypothese, wie Alzheimer funktioniert und sich im Gehirn ausbreitet, würde auf diesen Forschungsergebnissen beruhen.
Ein plumper Fall von mutmaßlichem Wissenschaftsbetrug
Ein Forscher der University of Minnesota soll in mehreren seiner Arbeiten Bilder eines bestimmten Proteins, einer sehr speziellen Form von Beta-Amyloid, mehrfach kopiert und verwendet haben. Das sei nicht nur Schummeln, ordnet der Biochemiker und Nobelpreisträger Thomas Südhof (Stanford University), im Gespräch mit dem BR ein. Es sei auch besonders plump und mit heutigen digitalen Mitteln sehr leicht nachvollziehbar.
Genau das hat ein Fachkollege getan. Dieser hatte ursprünglich, laut dem Science-Artikel, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem experimentellen Alzheimer-Medikament untersucht. Darüber stieß er auf Forschungsergebnisse und Bilder von Sylvain Lesné und stellte fest: Hier stimmt etwas nicht. Lesné war auf BR-Anfrage nicht erreichbar, die Universität antwortet, dass sie die Vorwürfe untersucht.
Seine Kollegin und Vorgesetzte Karen Ashe zeigte sich bestürzt und antwortete schriftlich: Es sei niederschmetternd herauszufinden, dass ein Mitarbeiter sie und die Wissenschaftsgemeinschaft in die Irre geleitet haben könnte. Die Zeitschrift Nature, in der der Artikel erschien, überprüft ihn gerade und rät allen Lesenden, die Inhalte nur mit Vorsicht zu gebrauchen.
Ein Eiweiß im Kern der Hypothese
Die aufgeworfene und am Ende des Science-Artikels nur halb relativierte These, dass damit eine gesamte Forschungsrichtung zu Alzheimer in ihren Grundfesten erschüttert sein könnte, lässt sich mitnichten halten. Biochemiker und Alzheimer-Experte Christian Haass, selbst ein Verfechter der sogenannten Amyloid-Hypothese, sagte dem BR: "Bereits damals, 2006, dachten wir alle schon: Das ist komplett übertrieben, das kann so nicht sein! Und ich glaube, der Bumerang kommt jetzt zurück."
Eine der gängigen Forschungsmeinungen geht davon aus, dass am Anfang der Kettenreaktion oder Kaskade, die zu Alzheimer führt, ein Protein steht, Beta-Amyloid oder Abeta genannt. Dieses löst sich demnach von den Nervenzellen, wird nicht richtig abgebaut, verkettet sich mit anderen Amyloiden, bildet also Ketten, die sich dann falten, mit andern gefalteten Ketten verbindet und verklumpt. Diese Klumpen, sogenannte Plaques, bestehen eben aus jenem Beta-Amyloid und sind typisch für die Gehirne von Alzheimer-Patienten. Genauso wie auch abgestorbene Nervenzellen, die sich zu Bündeln verdichten.
Gescheiterte Medikamentenstudien
Kritiker sagen jedoch, dass wir noch zu wenig verstanden haben, wie die einzelnen Abläufe im Gehirn zusammenhängen und haben ein sehr schlagkräftiges Argument auf ihrer Seite. Zwei Jahrzehnte klinische Medikamentenentwicklung haben genau auf jene Amyloide gezielt. Das jüngste Mittel, ein Amyloid-Antikörper, der in den USA nach einer umstrittenen Zulassung nicht mehr vermarktet wird, konnte die Plaques sogar entfernen. Aber die Erkrankung der Patienten aufhalten konnte er nicht, genauso wie alle anderen Medikamente, die gegen das Beta-Amyloid zielen.
Manche Forscher vermuten, man müsse jetzt noch früher ansetzen, ganz am Anfangsstadium der Krankheit, bevor das Gehirn geschädigt ist. Einige weitere klinische Studien laufen gerade. Ergebnisse werden bei der großen Alzheimertagung CTAD vom 29. November bis 2. Dezember erwartet, erklärt der Psychiater Oliver Peters von der Charité Berlin und sagt: "Nur die Forschung am Menschen, nur die Forschung bei den Betroffenen selber, die klinische Forschung, wird uns am Ende des Tages die Erkenntnis liefern."
Andere hingegen kritisieren, man wisse noch immer zu wenig darüber, wie Alzheimer funktioniere und was dagegen helfe, und müsse erstmal mehr Grundlagenforschung betreiben, bevor man weiter langwierige und teure Medikamentenstudien am Menschen mache. Das sei nicht zuletzt auch eine ethische Frage, sagt Thomas Südhof.
Forschungskontroverse und knappe Gelder
Genau in diese Forschungskontroverse, die schon lange schwelt, sticht jetzt dieser eine Fall von Wissenschaftsbetrug mitsamt steiler These in einem Artikel, und sorgt für ordentlich Rumoren in der Wissenschaftsgemeinschaft, sagt Christian Haass: "Wir regen uns alle schon maßlos auf. Vor allem in Amerika befürchtet man natürlich, nachdem da behauptet wurde, dass das zig Millionen falsch investiert wurden, dass die gesamte Amyloid-Forschung gar kein Geld mehr bekommt."
Auf der Fachseite Alzforum diskutieren Wissenschaftler der verschiedenen Lager ausgiebig in Kommentaren, was der Fall für ihr Feld bedeutet. Eines ist klar: Alle fordern mehr Forschung, um die häufigste Demenzerkrankung, an der nach WHO-Schätzungen mindestens 33 Millionen Menschen weltweit leiden, zu entschlüsseln und am Ende hoffentlich ein Mittel dagegen zu finden.
Der mutmaßliche Fälschungsfall selbst sagt dabei weniger über den Stand der Alzheimer-Forschung aus als vielmehr über den Wissenschaftsbetrieb, in dem Forschende unter enormem Druck stehen, möglichst viel publizieren müssen, mit möglichst gut vermarktbaren Ergebnissen. Das entschuldigt aber natürlich keinen Wissenschaftsbetrug.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!