Teure Benzin- und Energiepreise, teurere Lebensmittel: Der Krieg in der Ukraine bedroht auch die deutsche Wirtschaft. Das neue "Possoch klärt" (Video unten) beschäftigt sich mit der Frage, ob sich Deutschland mit den Wirtschafts-Sanktionen gegen Russland am Ende nicht selbst zu sehr schadet. Wirtschaftswissenschaftlerin und eine der fünf sogenannten Wirtschaftsweisen Prof. Veronika Grimm erklärt im Gespräch mit Moderator Dominic Possoch, welche Auswirkungen der Ukraine-Krieg noch auf die deutsche Wirtschaft haben wird.
Keine schnelle Senkung bei Energiepreisen
Dominic Possoch: Sind die aktuell hohen Energiepreise allein dem Ukraine-Krieg geschuldet?
Veronika Grimm: Die Energiepreise sind nicht nur durch den Krieg, sondern auch schon davor gestiegen. Denn die Nachfrage nach Energie ist nach der Corona-Krise weltweit zurückgekommen Allerdings wurde die Produktion von Energie nicht so schnell wiederaufgebaut. Das hat sich vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine abgespielt und Russland hat sicherlich auch diese Situation gezielt ausgenutzt. Moskau konnte den Westen noch mehr unter Druck setzen und diese wirtschaftliche Lage auszunutzen, um den Angriff umzusetzen.
Possoch: Werden die Energiepreise also auch mittelfristig hoch bleiben?
Grimm: Es ist nicht davon auszugehen, dass die Energiepreise wieder schnell sinken, einfach, weil jetzt weltweit Bestrebungen einsetzen, sich von Russland unabhängig zu machen und die Energieversorgung anderweitig zu gewährleisten. Das führt zu strukturell höheren Energiepreisen und das merkt jeder in seinem Portemonnaie: Jeder, der mit Gas heizt, jeder, der tanken gehen will. Dieser Effekt wird nicht so schnell verschwinden.
Im Video: Alles teurer: Gewinnt Putin den Wirtschaftskrieg? Possoch klärt!
Weltweite Hungerkrise durch Lebensmittelknappheit
Possoch: Wirkt sich der Krieg auch mittelfristig auf die Lebensmittelversorgung aus?
Grimm: Man merkt, dass Lebensmittelexporte aus der Ukraine und aus Russland stark reduziert sind, die auf Dauer die Lebensmittelpreise bei uns erhöhen. Weltweit wird das allerdings zu einer Hungerkrise führen. Die Schwellen- und Entwicklungsländer werden sehr viel davon merken, einfach aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit von Lebensmitteln.
Sinkendes Wirtschaftswachstum als Folge von Preissteigerungen
Possoch: Werden die Rohstoff- und Lebensmittelknappheit noch weitere wirtschaftliche Auswirkungen haben?
Grimm: Die Preissteigerungen, die jetzt zu beobachten sind, die werden auch dazu führen, dass man in den Lohnverhandlungen versucht, das Reallohnniveau wieder auf das alte Niveau zu heben. Die Menschen haben schließlich durchaus deutliche Reallohneinbußen realisiert, dadurch, dass wir recht lange eine Zeit mit hohen Inflationsraten hatten. Das wird in den Tarifverhandlungen kompensiert werden und das führt natürlich auch wieder zu preissteigernden Effekten. Dadurch steigt die Gefahr einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale. Also die Gefahr von steigenden Inflationsraten. Hier muss die Europäische Zentralbank dagegenhalten, was wiederum dazu führen wird, dass das Wirtschaftswachstum vielleicht verhaltener sein muss.
Wirtschaftsweise Grimm: „Sanktionen werden Russland deutlich härter treffen“
Possoch: Könnte es sein, dass uns die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland mittel- und langfristig genauso hart treffen?
Grimm: Nein, so wird es nicht sein. Die Sanktionen werden Russland deutlich härter treffen, wir sehen das jetzt schon. Die Sanktionen haben zum Beispiel, unmittelbar nachdem sie verhängt wurden, dazu geführt, dass der Rubel massiv entwertet wurde. Das hat sich jetzt wieder normalisiert, auch weil es Stützungskäufe des Rubels gab, und zwar durch Russland und die Unternehmen, die über die Devisen aus den Energieexporten verfügen. Die russische Wirtschaft wird dennoch sehr stark einbrechen in diesem Jahr. Man diskutiert über einen Wirtschaftseinbruch von 10 % bis 15%.
Possoch: Dennoch spürt auch die deutsche Wirtschaft die Auswirkungen der Sanktionen. Wie lange kann sich Deutschland das noch leisten?
Grimm: Ich glaube, wir haben da eigentlich gar keine Wahl. Wir sind mit einer anderen sicherheitspolitischen Lage konfrontiert: Die Handelsbeziehungen mit Russland, so wie sie einmal vor Kriegsausbruch waren, die werden wir so schnell nicht wieder etablieren können. Und das ist der Fall, weil wir uns jetzt unabhängig machen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir auch ohne eine Abhängigkeit von Russland insbesondere im Energiebereich sicher aufgestellt sind und das wird zu strukturell höheren Kosten führen. Das heißt, es ist gar nicht die Frage, wie lange wir uns das leisten wollen, sondern wir müssen uns eine neue Sicherheitsarchitektur leisten. Das betrifft die Energieabhängigkeit, aber das betrifft natürlich auch die Verteidigungsfähigkeit. Es ist alles daranzusetzen, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt oder dass Russland die Entwicklung nicht als einen Sieg interpretieren kann, weil natürlich davon auszugehen ist, dass sonst weitere Pläne verfolgt werden auch mit Waffengewalt.
Veronika Grimm
Gasembargo ist "schwierige Abwägung"
Possoch: Mit einem Embargo gegen russisches Gas könnte man Russland noch einmal deutlich treffen. Ist das eine realistische Option bei weiteren Sanktionen?
Grimm: Wenn wir jetzt unmittelbar auf russische Energieträger vollumfänglich verzichten müssten, dann würden wir in eine Rezession rutschen. Das wäre ein massiver Wirtschaftseinbruch. Jetzt ist die Frage: Was könnte uns das nützen? Natürlich würde das bedeuten, dass Russland die Zahlungen, die aus den Exporten resultieren – das sind 20 Milliarden Euro seit Kriegsbeginn – nicht mehr einnehmen könnte. Das wiederum würde die Möglichkeit für Russland, seine Wirtschaft am Laufen zu halten und dann am Ende auch den Krieg am Laufen zu halten, massiv einschränken. Das ist eine sehr, sehr schwierige Abwägung.
Funktioniert das deutsche Wirtschaftsmodell noch?
Possoch: Die Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Gas ist gewaltig. Stellt der Ukraine-Krieg unser deutsches Wirtschaftsmodell langfristig in Frage?
Grimm: Ja, natürlich: Die alte Weltordnung ist durch den Angriff Russlands auf die Ukraine in Frage gestellt worden. Es gab ganz deutlich eine Zeitenwende, die sich auch schon länger abgezeichnet hat. Wir haben bisher unsere Energieversorgung sehr stark von Russland abhängig gemacht. Unsere Handelspolitik, also unsere Wirtschaft, lebt aktuell davon, dass wir viel in den asiatischen Raum, insbesondere nach China exportieren. Da müssen wir uns neu aufstellen. Wir müssen mehr auf eine Sicherheitsordnung achten, die uns auch robust macht mit Blick auf diese Abhängigkeiten und wir müssen vor allem die Abhängigkeiten reduzieren.
Können erneuerbare Energien profitieren?
Possoch: Könnte hiervon in Deutschland der Umstieg auf erneuerbare Energien profitieren?
Grimm: Wir hatten verschiedene Transformationsprozesse ja schon so angelegt, dass wir in der Industrie, der Schwerindustrie zum Beispiel, Gas, Öl und Kohle durch erneuerbare Energieträger wie Wasserstoff ersetzen. Das müssen wir jetzt viel schneller machen. Das wird uns aber ohne die Brückentechnologie Gas vor riesige Herausforderungen stellen. Dennoch liegt darin eine große Chance: Wir werden dadurch schneller im großen Umfang erneuerbare Energien haben und russische Energieträger ersetzen können.
Possoch: Danke für das Gespräch.
- Zum aktuellen "Possoch klärt! Wie hart treffen die Sanktionen Deutschland?"
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