Die Sonne spiegelt sich einem Moortümpel im Wittlislinger Ried
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Wasser in einer Vertiefung im Wittislinger Moor

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Tschüss Bekassine: Kaum Fortschritte beim Moorschutz in Bayern

Das Moor ist ein Hort der Artenvielfalt – wenn es nass ist. Eine Wiedervernässung schont also nicht nur das Klima, sie steigert auch die Biodiversität. Warum geht es dann nicht voran mit dem Moorschutz auf Naturschutzflächen?

Hätte man Moore in den letzten Jahrhunderten nicht weltweit trockengelegt, wäre es heute im Durchschnitt um 0,6 Grad kälter. Denn entwässerte Moore setzen in großen Mengen CO2 frei und heizen damit die Klimakrise an. Werden sie wiedervernässt, profitiert nicht nur das Klima, sondern auch die Artenvielfalt, das Grundwasser und zum Beispiel der Hochwasserschutz.

Wiedervernässung auf vier Beinen

Alle reden davon, dass der Moorschutz wichtig ist, trotzdem geht es mit der Wiedervernässung der Moore nicht voran. So auch im Wittislinger Moos im Landkreis Dillingen. Nur einer legt hier jetzt einfach los. Völlig unbeeindruckt von staatlichen Genehmigungsverfahren findet in den letzten Monaten eine inoffizielle Wiedervernässungsmaßnahme auf eigene Faust statt.

Naturnahes Wassermanagement gemacht vom Biber. "Das ist unser größter Klimaschützer hier", sagt Naturschützer Harald Böck. Keine Frage, auf den landwirtschaftlichen Flächen verursache der Biber manchmal Probleme, doch im Ried schaffe er Lösungen. „"Der braucht kein Gutachten, der braucht kein wasserrechtliches Verfahren, der macht das und vernässts."

Verbuscht und trocken: Das Wittislinger Ried, ein Beispiel von vielen

Harald Böck hat mit seinem Engagement nicht so viel Erfolg. Seit 1982, mehr als die Hälfte seines bisherigen Lebens, kämpft Harald Böck in seiner Freizeit für den Erhalt des rund ein Quadratkilometer großen Gebietes. Es ist - beziehungsweise war - die Heimat von etlichen bedrohten Tier- und Pflanzenarten. "Von der Botanik her dürfte es das interessanteste Gebiet im Landkreis Dillingen sein", so der Naturschützer, der sich beim Landesbund für Vogelschutz (LBV) engagiert. Und zugleich ist das Ried seit vielen Jahrzehnten ein Treiber der Klimakrise, weil Gräben und unterirdische Kanäle große Teile des Rieds entwässern.

Derzeit setzt die Fläche jedes Jahr umgerechnet gut zwei Tausend Tonnen Kohlendioxid frei. Ungefähr so viel wie 400 Durchschnittsbewohner Bayerns mit allem, also mit Flugreisen, PC im Dauerbetrieb, Heizung, Fast Fashion und der Putenbrust.

Nasse Moore speichern CO2

Wenn man das Wittislinger Ried wiedervernässt, sinkt der Treibhausgas-Ausstoß um mindestens drei Viertel, wenn es optimal läuft, ganz auf Null. Und wenn man es nicht wieder vernässt? "Dann geht das Moor kaputt", sagt Harald Böck.

Wie kann ein Moor kaputt gehen? Dazu muss man erst einmal wissen, wie ein Moor, das auch Moos oder Ried genannt wird, entsteht. Die entscheidende Voraussetzung: Der Wasserstand muss fast bis an die Bodenoberfläche reichen. Dann wachsen vor allem niedere Pflanzen wie Gräser und einzelne Kräuter, Moose, aber auch einzelne Gehölze.

Sterben sie ab, verrotten ihre Blätter, Stiele und Wurzeln nicht, weil sie ja im Wasser liegen und kein Sauerstoff an sie hinkommt. Aus diesen toten Überbleibseln, der sogenannten Organischen Substanz, entsteht dann der Moorboden, besser gesagt der Torfkörper, der jedes Jahr im groben Durchschnitt um einen Millimeter in die Höhe wächst – wenn keine Luft dazu kommt.

Trockene Moore heizen den Klimawandel an

Wenn Gräben und unterirdisch verlegte Rohre das Wasser aus der Fläche ziehen, gelangt Sauerstoff an die abgestorbenen Pflanzenreste. Damit können Mikroorganismen sie zerlegen, der in ihnen enthaltene Kohlenstoff geht als Kohlendioxid in die Luft und befeuert die Klimakrise. Der Torfkörper schwindet um einen bis mehrere Zentimeter im Jahr. Das Moor verschwindet. Momentan ist der Torfkörper im Wittislinger Ried an manchen Stellen noch mehrere Meter mächtig, an anderen Stellen nur noch einen Meter.

Zuerst ging es nur um den Artenschutz

Mehlprimeln, kriechender Sellerie, Sumpf-Dreizack: drei Beispiele für die pflanzlichen Raritäten im Witttislinger Ried. Moore sind ein Hort der Artenvielfalt. Hier leben besonders viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten.

390 Pflanzenarten, davon 53 auf der Roten Liste, und 63 Brutvogelarten, dazu zum Beispiel Amphibien, wie der vom Aussterben bedrohte Kammmolch sind in den letzten Jahrzehnten im Wittislinger Ried gezählt worden. Harald Böck und seine Mitstreiter von der Arbeitsgemeinschaft "Wittislinger Ried" haben in den letzten 40 Jahren regelmäßig im Herbst die Büsche zurückgeschnitten und entfernt und den Aufwuchs gemäht. Damit die Moor-Arten Lebensraum zurückkommen. Denn in einem naturbelassenen Moor gibt es viele offene Flächen und wenig Gehölze. Die Naturschützer sind damals auf massiven Widerstand der Landwirte und Jäger gestoßen, erzählt Harald Böck. "Das war für viele Leute unbegreiflich. Natur braucht doch Büsche und Bäume. Niedermoore jedoch nicht!"

Ohne Wasser keine Renaturierung

Doch das Entbuschen und Mähen hilft nur begrenzt. Denn den ans Moor angepassten Tieren und Pflanzen fehlt das Wasser. So werden Bekassine und Kiebitz, Wollgras und Flaches Quellried immer weniger.

Anfang der 1980er Jahre hat Harald Böck noch acht Bekassinen-Brutpaare im Wittislinger Ried gezählt. Die sind inzwischen alle weg. Und die üppigen Wollgras-Bestände, zur Blüte früher eine Attraktion für Besucher – jetzt sind nur noch Restflächen vorhanden. Das liegt nicht nur an den Entwässerungsmaßnahmen, sondern auch am allgemein und überall sinkenden Grundwasserspiegel.

Wiedervernässung nutzt Klimaschutz und Biodiversität

Früher haben die Moor-Kümmerer jedes Mal Gummistiefel gebraucht, wenn sie die sauren Moorwiesen im Wittislinger Ried gemäht haben. Für Harald Böck sind die Unterschiede nicht zu übersehen: "Jetzt kann ich mit normalen Schuhen laufen." Und auch die Vegetation hat sich total verändert. In den letzten Jahren breitet sich die rauhhaarige Gänsekresse stark aus, eine Magerrasen-Pflanze, die eigentlich nicht ins Moor gehört.

Und statt Bekassine, Kiebitz und anderen Moorvögeln hört er inzwischen hauptsächlich Allerweltsvögel, wenn er durch Ried geht: Erlenzeisig, Zaunkönig, und Eichelhäher zum Beispiel. "Wenn das so weiter geht, geht alles kaputt hier." Eine Wiedervernässung sei das A und O, um das Moor zu retten.

Wie vernässt man ein Moor?

Moor vernässen ist kein Hexenwerk. Man muss nur die Entwässerung stoppen, also eventuell vorhandene Pumpen ausstellen, die Kanäle dicht machen oder Dämme anlegen. Das weiß man seit Jahrhunderten, also seit man Moore entwässert, sagt Prof. Hans Joosten, Moorforscher an der Universität Greifswald. "Natürlich weiß man immer zu wenig. Aber wir wissen ausreichend, um loszulegen." Immerhin habe man in Europa schon hunderttausend Hektar und in Deutschland schon zehntausend Hektar Moore wiedervernässt. "Wir müssen die Moore wiedervernässen." Denn wenn man abwarte, bis man alles wisse, "oder bis wir keine Angst mehr haben, dann kommen wir zu spät", appelliert Hans Joosten.

Wiedervernässung auf eigene Faust: Die Vögel sind begeistert

Solang nicht vernässt wird, gehen jedes Jahr weiter gut zwei Tausend Tonnen CO2 allein aus dem Wittislinger Ried in die Atmosphäre. Also auf gehts, hat sich Harald Böck bereits in den 90er Jahren gedacht und zusammen mit einem Mitstreiter im Frühling auf eigene Faust den Grenzgraben zwischen Wittislingen und Bergheim aufgestaut. Die landwirtschaftlichen Flächen waren nach Aussage von Harald Böck nicht betroffen, doch auf den Naturschutz-Flächen ist das Wasser gestanden. Plötzlich waren 12 verschiedene Watvögel-Arten da, unter anderem Uferschnepfe, Bekassine und Sichelstrandläufer. "Das war ganz toll!" Harald Böck ist immer noch begeistert.

Die Kommunalpolitik stoppt das Wasser

Eine ganze Zeit lang hat niemand durchschaut, warum im Moor das Wasser steht. Doch bei einer Treibjagd seien den Jägern dann die Anstauungen aufgefallen. "Hab da Mords-Rüffel gekriegt. Die haben ja gewusst, dass ich das gemacht hab. Da war ein Aufmarsch hier, mit Landrat und so, mein Gott."

Harald Böck dreht deswegen jetzt wieder weiter an den kleinen Rädchen: kartiert Brutvögel, organisiert Pflegemaßnahmen und sorgt dafür, dass im Gelände kleine Tümpel ausgebaggert werden. Die zumindest dann Wasser haben, wenn es davor viel geregnet hat.

Bayerns Klimaschutzziel: Ein Viertel der Moorflächen soll wieder nass werden

In Bayern sind genau wie im Bundesdurchschnitt 95 Prozent der Moorflächen trockengelegt. Doch das soll sich ändern. Der Moorschutz ist seit mehr als 15 Jahren Bestandteil der bayerischen Klimaschutzpolitik. Das aktuelle Ziel heißt: Bis zum Jahr 2040 soll ein Viertel der bayerischen Moorflächen wiedervernässt sein. Also insgesamt 55 000 Hektar. Das betrifft Landwirtschaft, Waldbesitzer und Naturschutzflächen.

Doch wenn es so weiter geht wie bisher dann erreicht Bayern bis 2040 sein selbst gestecktes Ziel nur zu drei Prozent. Patrick Friedl Landtagsabgeordneter der Grünen kritisiert die Staatsregierung deswegen immer wieder: "Der Moorschutz in Bayern hakt vor allem am Willen." Das liege in erster Linie am Kabinett und dem Ministerpräsidenten und in zweiter Linie am Umweltministerium, das "die große Herausforderung aus meiner Sicht nicht entschlossen genug anpackt".

Je früher man ein Hektar Moor wiedervernässt, desto länger schützt es das Klima, statt es anzuheizen. Jedes Jahr summieren sich also Tausende Hektar vertane Chancen. Pro Hektar mit der Treibhausgas-Last von vier bis sechs Durchschnittsbewohnern Bayerns.

Ministerpräsident spricht von "Action today"

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat 2021 in seiner Regierungserklärung zum Klimaschutz gesagt: Ein "Yes we can" reiche im Hinblick auf Klimaschutzmaßnahmen nicht aus. Vielmehr sei die Maxime "Action today" angebracht, also "Heute noch handeln". Und der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) hat sich in einer Pressemitteilung im Februar 2022 zitieren lassen mit dem Satz: "Moorschutz hat in Bayern eine herausragende Bedeutung."

Woran liegt es, dass der Moorschutz in Bayern diesen Bekundungen zum Trotz nicht vom Fleck kommt? Warum zögern die Staatsregierung und das Umweltministerium während gleichzeitig der Klimawandel Fahrt aufnimmt?

Der Klimawandel nimmt Fahrt auf, beim Moorschutz geht es kaum vorwärts

Zu solchen Fragen will das Bayerische Umweltministerium kein Interview geben und antwortet schriftlich mit einem allgemeinen Statement. Da heißt es unter anderem: "Erfolgreicher Moorschutz braucht Ausdauer. Planungen und rechtliche Verfahren benötigen ebenfalls Zeit." Um die Planung und Umsetzung von Moorschutzmaßnahmen deutlich voranzutreiben, habe die Staatsregierung Personal und Finanzmittel im Bereich Naturschutz bereits verstärkt.

Vorlauf wie ein Großbau-Projekt

Doch was passiert im Wittislinger Ried, das kein Naturschutzgebiet ist, obwohl es das Zeug dazu hätte? Immerhin hat es den Status Vogelschutz- und FFH- also Flora-Fauna-Habitat-Gebiet.

Seit 2014 gibt es einen Managementplan, der die nötigen Pflegemaßnahmen detailliert beschreibt. Das hydrologische Gutachten, das die Regierung von Schwaben 2016 in Auftrag gegeben hat, ist inzwischen fertig. Bis in einem Jahr sollen dann die Unterlagen vorliegen, damit die wasserrechtliche Genehmigung beantragt werden kann. "Das hätte man alles schon machen können." Harald Böck ist frustriert. So viele Bedenken und Hindernisse.

Moorforscher: Nicht noch eine Untersuchung, gleich wiedervernässen

Wie kann die Moorrenaturierung da funktionieren? Wenn man nicht hundertprozentig ausschließen kann, dass ein Keller nass wird oder das Wasser in einem Acker steht? Hans Joosten, der Moorkundeprofessor aus Greifswald sagt: Wir müssen trotzdem loslegen. "Währenddessen müssen wir natürlich lernen und müssen auch die Fähigkeit einbauen, unsere Tätigkeiten anzupassen." Adaptive Management nenne man das.

Und notfalls könne man die Wiedervernässung jederzeit stoppen. Man brauche halt ein sorgfältiges Monitoring.

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