Doppelte Jetstreams könnten eine Ursache für Hitzewellen sein.
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Doppelte Jetstreams könnten eine Ursache für Hitzewellen sein.

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Sind Jetstreams an Hitzewellen schuld?

Jetstreams sind Windbänder in großer Höhe. Spalten sich Jetstreams in zwei Äste auf, ist von Doppeljet-Lagen die Rede. Sie erklären laut einer Studie, warum Hitzewellen in Teilen Europas so stark zunehmen. Was ist dran?

Forschende des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) haben am 4. Juli 2022 eine Studie im Fachblatt "nature communications" veröffentlicht. Demnach seien Jetstreams, also Ausgleichswinde, der Schlüssel zum Verständnis der aktuellen und zukünftigen Hitzewellenrisiken über Westeuropa. Hauptautorin der PIK-Studie ist die Geografin und Klimaforscherin Efi Rousi: "Unsere Studie zeigt, dass diese Hitzeextreme in Europa mit doppelten Jetstreams und deren zunehmender Verweildauer über dem Gebiet Eurasiens zusammenhängen. Diese doppelten Jet-Zustände erklären fast den gesamten Aufwärtstrend der Hitzewellen in Westeuropa und etwa 30 Prozent im gesamten europäischen Raum." Eine eindeutige Erklärung für Hitzewellen wäre aus Sicht der Klimaforschenden wünschenswert, aber es regt sich Kritik an der PIK-Studie: "Wir sind skeptisch, ob Jetstreams auf extreme Wettergeschehen wie Hitzewellen direkten Einfluss haben", sagt Andreas Becker, Leiter der Abteilung Klimaüberwachung beim Deutschen Wetterdienst in Offenbach.

Mehr Hitzewellen in Europa

Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) spricht von einer Hitzewelle, wenn die Tageshöchstwerte an mindestens fünf zusammenhängenden Tagen den durchschnittlichen Tageshöchstwert um fünf Grad übersteigen. Laut PIK-Studie haben Hitzewellen über Europa drei- bis viermal schneller zugenommen als etwa in den USA oder in Kanada. Sommerliche Hitzewellen sind an sich kein neues Phänomen. "Neu ist aber, dass extreme Hitzeereignisse in Europa in den letzten Jahren häufiger und intensiver aufgetreten sind. Man denke nur an die heißen und trockenen Sommer 2018, 2019, 2020 und die jüngsten Hitzewellen in Europa - und wir rechnen damit, dass das noch schlimmer wird", so Efi Rousi vom PIK. In Ihrer Studie stellt sie einen Zusammenhang zwischen Hitze und Jetstreams her, die länger als früher über dem Gebiet Eurasiens verharren.

Jetstreams sind starke Winde in großer Höhe

Ein Jetstream ist ein Starkwindband in fünf bis zehn Kilometern Höhe. Wind dient grundsätzlich dazu, Druckunterschiede auszugleichen, die es in der Erdatmosphäre gibt. Am Äquator ist es warm, an den beiden Polen sehr kühl. Um dieses Gefälle abzumildern, weht ständig ein starker Wind. Der Ausgleichswind weht nicht geradewegs vom Äquator zum Nordpol. Auf dem Weg nach Norden wird er abgelenkt, weil sich unter ihm die Erde weiterdreht. Der Wind bildet dabei eine wellenförmige Bewegung aus. Diese Wellen umströmen die gesamte Erde zwischen dem 40. und 60. Breitengrad. Dabei entstehen Windgeschwindigkeiten von bis zu 500 Stundenkilometern.

Der Jetstream fegt in großer Höhe über die Erde hinweg. Er wird seit etwa 40 Jahren beobachtet.
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Der Jetstream fegt in großer Höhe über die Erde hinweg. Er wird seit etwa 40 Jahren beobachtet.

Jetstreams scheinen schwächer zu werden

Bei der Hitzewelle in Nordamerika im Jahr 2021 wurde beispielsweise beobachtet, dass ein Hochdruckgebiet über einen längeren Zeitraum als sonst üblich fortbestand. Es kam also kaum zu ausgleichenden Windbewegungen in größerer Höhe. Der schwächelnde Jetstream wird von manchen Klimaforschenden als eine mögliche Ursache für lange Hitzeperioden, Trockenheit, aber auch für die umgekehrten Phänomene wie extreme Kälte, heftiger Schneefall und Starkregen angeführt. Eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung vom 28. Mai 2019 verweist zum Beispiel auf den langsamer werdenden Jetstream als eine Ursache für Extremwetterlagen: "Die Abschwächung des Jetstreams setzt sich nun ausgehend von der Stratosphäre nach unten durch, was zu Wetterextremen führt." Allerdings sind sich Wissenschaftler in dieser Frage noch uneins, ob es wirklich einen kausalen Zusammenhang zwischen Jetstreams und Extremwetterlagen gibt. "Es gibt auch Studien und Experten wie den Atmosphärenphysiker Tim Wollings, die genau das Gegenteil behaupten", so Andres Becker vom Deutschen Wetterdienst.

Doppel-Jetstreams als mögliche Ursache für die Hitze

Die Windbänder in etwa zehn Kilometer Höhe seien im Wandel begriffen, sagen die Autorinnen und Autoren der PIK-Studie: "Zustände, in denen sich der Jetstream in zwei Äste aufspaltet - so genannte Doppeljet-Lagen - halten länger an." Das ließ sich zumindest im Beobachtungszeitraum von 40 Jahren erkennen. Die zunehmende Verweildauer von Doppel-Jet-Strömen ist besonders für Westeuropa relevant, so die Forschenden. Für kleinere westeuropäische Regionen "erklären die Doppeljets fast 100 Prozent der Hitzewellen", sagt Efi Rousi vom PIK: "In dieser Region, die mit dem Ausgang der vom Nordatlantik nach Europa ziehenden Sturmbahn zusammenfällt, kommen die Wettersysteme normalerweise vom Atlantik und haben daher eine abkühlende Wirkung. Wenn es aber zum Doppeljet kommt, werden die Wettersysteme nach Norden abgelenkt und es können sich über Westeuropa anhaltende Hitzewellen entwickeln."

Beobachtungszeitraum für Jetstreams noch kurz

Andreas Becker vom Deutschen Wetterdienst bestätigt, dass die Zahl der Hitzewellen zunimmt. Er ist aber skeptisch, ob das an den so genannten Doppel-Jets liegen kann: "Wir beobachten die Jetstreams erst seit 40 Jahren und können in diesem kurzen Zeitraum noch nicht herausarbeiten, was sich verändert. Dazu kann man noch keine seriösen Aussagen treffen." Außerdem kritisiert er, dass aus der PIK-Studie - aus seiner Sicht - nicht eindeutig hervorgehe, was mit Doppeljet gemeint ist, denn es ist lediglich eine von drei Klassen auf Basis eines Clusterverfahrens eines neuronalen Netzwerkes. Bekannt ist, so Becker, "dass ein Jetwind abreißen kann, wenn er eine zu starke Rechtskurve macht. Der Strom schießt dann wieder gerade durch und darunter gibt es einen eigenen zweiten Jet. Das soll wohl die Doppeljetstruktur sein, in der Annahme dass das neuronale Netz genau diesen Prozess erfasst." Forschende sind noch immer damit beschäftigt, das Strömungsverhalten des Jetstreams zu analysieren und zu verstehen. Es lässt sich nicht voraussehen und unterliegt auch „chaotischen Schwankungen in der Atmosphäre“, räumt Mitautor der PIK-Studie Dim Coumou von der Universität in Amsterdam ein. Es fehlen also noch grundlegende Erkenntnisse zum Jetstream, die in künftige Klimamodelle einfließen müssten.

Fazit: Klar ist, dass sich Wetterlagen länger halten. Also wenn es heiß ist, dann bleibt es erst mal heiß. Unstrittig ist auch, dass Hitzewellen weltweit zunehmen. Ob aber die Windbänder, die in sehr großer Höhe über die Erde hinwegfegen, wirklich das Wettergeschehen in Bodennähe unmittelbar beeinflussen, können wohl erst längerfristige Beobachtungen eindeutig klären.

Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 10.07.2022 auf BR24 veröffentlicht. Er wurde am 18.07.2022 republiziert.

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