Die Stechpalme, botanisch Ilex aquifolium, ist neben dem Buchs die einzige einheimische Laubbaumart, die ihre Blätter über den Winter behält. Sie wächst meist im Wald in Form eines Strauchs und kann bis zu zehn Meter hoch werden. Es gibt männliche und weibliche Stechpalmen, die klassischen Ilex-Zweige mit den roten Früchten für die Weihnachtsdekoration finden sich nur an den weiblichen Exemplaren.
Stachelige Blätter: Schön fürs Auge – schlecht für Rehe
Dunkelgrün glänzend und strahlend rot: Stechpalmenzweige mit Früchten sind eine klassische Weihnachtsdekoration. Man kann sie im Blumenladen kaufen, einfach so als Zweig, gebunden zum Kranz oder in einer typisch englischen Kombination mit Misteln und Efeu. Für Floristinnen sind die Ilex-Blätter eine Herausforderung, denn die Blätter haben schmerzhafte Stacheln. Zumindest die Blätter, die man als Weihnachtsdeko kaufen kann. Das sind die Blätter, die unten am Baum gebildet werden.
Die Stacheln haben sich bewährt, denn die Ilex-Blätter werden im Wald gern von Rehen, Hirschen und Rindern gefressen. Weiter oben am Baum, dort wo die Weidetiere normalerweise nicht hinkommen, brauchen die Blätter keine Stacheln mehr. Da sehen sie eher aus wie ein Lorbeerblatt, das glänzt.
Winter-Deko schon bei den Kelten
Schon lange bevor es Weihnachten gab und viele Jahrhunderte vor dem Weihnachtsbaum: Bereits bei den Kelten, Germanen und Römern zierten Stechpalmenzweige die winterlichen Behausungen. Dabei dienten sie nicht nur als Schmuck, sondern auch als Abwehrzauber. Ein Stechpalmenkranz als Schutzkreis, der gute Feen und Elfen willkommen hieß und die bösen Geister fernhalten sollte.
Teile vom Ilex wurden auch als Heilmittel genutzt: Aus den zerdrückten Blättern haben die Römer einen Umschlag gemacht, der gegen Gelenkschmerzen helfen sollte. Die Beeren haben sie bei Gallenbeschwerden eingenommen – obwohl sie schwach giftig sind. Und noch im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts empfahlen Kräuterkundige einen Stechpalmenblättertee zum Beispiel bei Erkältungen, Fieber, Gicht und Rheuma.
Der immergrüne Baum, der oft wie ein Strauch aussieht, war also in vieler Hinsicht der Inbegriff des ewigen Lebens. Und genau das ist für ihn selbst irgendwann gefährlich geworden.
Stechpalmen in Bayern nur am Alpenrand
Stechpalmen mögen es eher schattig, sie kommen gern in Wäldern vor, in denen auch Eiben heimisch sind. Ihr Verbreitungsgebiet in Deutschland: Die Küstengebiete im Norden, westlich des Rheins und im Süden am Alpenrand, weil sie es im Winter mild und im Sommer feucht brauchen.
Sie können bei uns bis zu zehn Meter hoch werden – in Großbritannien bis zu 20 Meter. Und auch bei null Grad noch Photosynthese betreiben, also auch im Winter, wenn die anderen Laubbäume überhaupt keine Blätter mehr haben.
Zuviel nach England exportiert?
Gregor Aas, der Leiter des Ökologisch-Botanischen Gartens der Uni Bayreuth, geht davon aus, dass die Stechpalme in Deutschland schon immer selten war. Und sie ist dann noch seltener geworden, als man im 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts mehr Stechpalmen als Weihnachtsschmuck aus der Natur entnommen hat, als nachwachsen konnten. Die Stechpalmen sind also übernutzt worden, "weil man sie zum Teil sogar nach England exportiert hat", so Gregor Aas.
Im englischsprachigen Raum sind Stechpalmen, auf Englisch "Holly", Misteln und Efeu immer noch die Pflanzen der Weihnachtszeit. Inzwischen stammen die Zweige bei uns aus Plantagen und Gärtnereien. Denn seit 1935 darf man in Deutschland von den Stechpalmen in der freien Natur keine Zweige und Früchte mehr holen – der Baum steht schon seit mehr als 80 Jahren unter Naturschutz, damit er nicht ausstirbt.
Mehlige Früchte und stachelige Blätter
Die kleinen weißen Blüten erscheinen im Mai bei den weiblichen und den männlichen Pflanzen. Nektar für Wildbienen, Schwebfliegen und Käfer bieten sie alle. Die scharlachroten Früchte mit vier Steinen und einer mehligen Konsistenz sind nur an den weiblichen Pflanzen zu finden. Sie bleiben über den Winter meist unangetastet. Erst später, wenn der Winter zu Ende geht, werden sie gern von heimkehrenden und durchziehenden Zugvögeln gefressen, von Misteldrosseln und Rotdrosseln zum Beispiel.
Auf Gedeih und Verderb abhängig von der Stechpalme ist die Ilex-Minierfliege. Sie sticht im Frühjahr die weichen jungen Blätter an und legt ihre Eier hinein. Die Larven fressen sich dann zur Blattspitze, verursachen gelbe Flecken auf den Blättern, die man Jahre später noch sieht und schlüpfen als Fliegen im Mai – wenn sie zuvor nicht von einer Blaumeise gefressen werden. Unterm Strich leben an den Stechpalmen allerdings bei weitem nicht so viel Insektenarten wie zum Beispiel an einer Vogelbeere oder einer Schlehe.
Im Ranking ganz unten und trotzdem wichtig
Auf der Beliebtheitsliste steht die Stechpalme in der Regel ganz unten. Sie ist der Baum, von dem die wenigsten Insekten- und Milbenarten existenziell abhängig sind, und ist zum Beispiel der einzige Strauch, an dem nur eine Schmetterlingsart frisst. Trotzdem ist der Ilex genauso wichtig wie Weide, Buche oder Schlehe, also die Bäumen, die die Insekten in Massen anziehen, betont Gregor Aas vom Botanisch-Ökologischen Garten in Bayreuth.
Schließlich wüsste der Mensch im Hinblick auf die Biodiversität und das Zusammenspiel der Arten erst sehr wenig. Als Beispiel nennt Gregor Aas die Pilzarten – da wissen wir kaum etwas darüber, wieviel an und im Ilex leben. "Deswegen wär ich sehr, sehr vorsichtig, oder würde warnen davor, aufgrund solcher Zahlen zu sagen, er wäre weniger bedeutend." Eine Rangfolge zu erstellen - Weide vor Stechpalme zum Beispiel - wäre gefährlich.
Ilex profitiert vom Klimawandel
Die Stechpalme hat sich in den letzten Jahrzehnten ein wenig ausgebreitet, das zeigen wissenschaftliche Untersuchungen. Der Grund: Vermutlich liegt es an den wärmeren Temperaturen im Winter. Während Fichten und auch Buchen mit den Veränderungen durch die Klimakrise schlecht zurechtkommen, scheinen die Stechpalmen zu profitieren. Als eine der wenigen einheimischen Baumarten. "Deswegen würde ich sagen, unbedingt auf die Stechpalme Rücksicht nehmen und dort wo sie ist, sie fördern und bestehen lassen." So der Rat des Forstwissenschaftlers Gregor Aas aus Bayreuth.
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