Den weltweit größten Datensatz zu Fischverletzungen in Wasserkraftanlagen haben die Wissenschaftler des Lehrstuhls für aquatische Systembiologie der Technischen Universität München in den vergangenen Jahren erhoben und ausgewertet. Die untersuchten Standorte: Acht mittelgroße bayerischen Wasserkraftwerke an Iller, Loisach, Fränkischer Saale, Regnitz, Alz, Roth, Schwarzach und Isar mit herkömmlicher Technik und innovativen Wasserkraft-Technologien wie VLH-Turbinen, Wasserkraftschnecken, bewegliches Kraftwerk und Schachtkraftwerk. Die aufwändigen Untersuchungen im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umwelt haben zum Teil überraschende Ergebnisse geliefert.
Schädigungen fast an jedem zweiten Fisch
Die Wissenschaftler um Professor Jürgen Geist haben im Mittel bei 40 bis 50 Prozent aller Fische, die ein Wasserkraftwerk flussabwärts passiert haben, Schädigungen gefunden: Durchtrennte Körper, eingerissene Flossen, Wirbelbrüche, zerstörte Schleimhäute, geplatzte Schwimmblasen. Je schneller sich die Turbine dreht und je größer die Fallhöhe ist, umso gravierender werden die Fische geschädigt. Dabei kann man allerdings nicht sagen, dass ein bestimmter Bautyp besonders fischschädlich ist und ein anderer besonders fischschonend. Denn das hängt den Untersuchungen zufolge unter anderem auch vom Standort und den vorhandenen Fischarten ab. So gab es je nach Anlage, Betriebsintensität und Fischart große Unterschiede. Im günstigsten Fall wurden sieben, acht Prozent der Fische geschädigt, im ungünstigsten Fall über 80 Prozent.
Der Rechen ist keine wirksame Barriere
Viel mehr Fische als vermutet sind in der Lage, an den Wasserkraftwerken durch den Rechen zu schlüpfen, der sich vor der Turbine befindet – das hat die Forscher besonders überrascht. Selbst wenn die einzelnen Stäbe am Rechen nur zwei Zentimeter weite Zwischenräume haben: 90 bis 95 Prozent Fische kommen durch. Anerkannte theoretische Modellierungen gehen von einem viel kleineren Anteil aus. Doch es gibt einfach viele kleine Arten und viele junge Fische.
Der Großteil der flussabwärts schwimmenden Fische geht durch die Turbine
Die Fische schwimmen am liebsten mit der Hauptströmung mit – und die geht durch den Rechen in Richtung Turbine. Zum Teil hätten es sogar 30 cm lange Fische geschafft, durch einen Rechen mit 2 Zentimeter lichter Stabweite durchzuschlüpfen, so Prof. Jürgen Geist. Fischtreppen und andere Umleitungen hätten die flussabwärts schwimmenden Fische kaum genutzt, der Großteil ging durch den Turbinenkorridor.
Kein Lebensraum für die Nachkommen von Huchen, Äschen und Nasen durch innovative Wasserkraftanlagen
Die modernen Wasserkraftwerke verbessern die Qualität der Lebensräume für die Fische nicht entscheidend, selbst wenn sie das manchmal versprechen. Denn das Querbauwerk an sich, also der Damm im Fluss verlangsamt die Fließgeschwindigkeit im Oberlauf des Dammes und führt zu Sedimentablagerungen, also Schlamm auf dem Gewässerboden.
Damit zerstört das Querbauwerk und damit das Wasserkraftwerk den Lebensraum zum Beispiel für seltene Fischarten wie Huchen, Äsche und Nase. Sie brauchen eine lebhafte Strömung und einen offenen kiesigen Untergrund zum Ablaichen. Das trifft auch etliche Insekten, die als Fischnahrung dienen: Köcherfliegen, Steinfliegen und Eintagsfliegen.
Forscher können beraten: Welches Kraftwerk passt zu den Fischen am entsprechenden Standort?
Das Schachtkraftwerk in Großweil an der Loisach schädigt Rotaugen, Nase, Flussbarsch und Huchen zum Beispiel besonders häufig und Bachforellen dagegen kaum. Auch wenn die Untersuchungen gezeigt haben, dass es nicht DIE fischschonende Wasserkraft-Technologie gibt und auch als fischschonend deklarierte Wasserkraftwerke die Fische stark schädigen können – anhand der gewonnenen Daten könnten die Wissenschaftler künftig Empfehlungen geben, an welchem Standort welche Wasserkraftanlage voraussichtlich zu den geringsten Fischschäden führe, so der Gewässerökologe Jürgen Geist.
Volllast ist besser als Teillast
Arbeitet ein Kraftwerk in Volllast, sterben weniger Fische , als wenn die Turbine im Teillast-Modus ist. Diese auf den ersten Blick erstaunliche Erkenntnis erklären die Experten von der TU damit, dass bei Teillast die Schaufel-Stellung an den Turbinen verändert ist und damit die Zwischenräume kleiner werden. Bei Volllast könnten die Fische deswegen leichter durchs Kraftwerk schwimmen, so die Vermutung. Das heißt: Hat ein Wasserkraftwerk zwei Turbinen, empfiehlt es sich, gegebenenfalls lieber nur eine in Volllast laufen zu lassen statt zwei Turbinen in Teillast. Weitere Verbesserungsvorschläge im Sinne des Fischschutzes sind auf der Internetseite des Landesamtes für Umwelt zu finden.
Nachts im Krankenhaus Fische geröntgt
Die Wissenschaftler der Technischen Universität München haben für ihre Untersuchungen auch einen sogenannten Sensorfisch durch die Kraftwerke geschickt. Das ist ein kleiner Kunststoff-Zylinder, der 2000 Daten pro Sekunde erfasst und Beschleunigungen und Druckveränderungen messen kann. Beschleunigungen deuten auf Kollisionen hin. Der Druckabfall in der Turbine kann zum Beispiel zum Platzen der Schwimmblase führen. Diese Verletzung sieht man den Fischen nicht an, genau wie ein gebrochenes Rückgrat. Um auch unsichtbare Verletzungen zu erkennen, haben die Gewässerökologen der TU in Zusammenarbeit mit der Ludwig-Maximilians-Universität in München die Fische geröntgt. Nachts, wenn keine Patienten in der Radiologie waren.
Fazit: Auch moderne Wasserkraft gibt’s nicht ohne Fischschäden
Wasserkraft ist eine klimafreundliche, regenerative Energiequelle, die auch dann Strom liefert, wenn es dunkel und windstill ist. Doch die langjährigen Forschungen seines Teams hätten gezeigt, dass es mit den momentan verfügbaren Technologien nicht möglich sei, die Schädigung der Fischbestände und die Schädigungen der Gewässer auf ein sehr kleines Maß herunterzufahren, so Professor Jürgen Geist.
Deswegen müsste man künftig Prioritäten setzen: Die Effizienz von Wasserkraftwerken an den Flussabschnitten optimieren, wo es bereits jetzt kaum noch Fische gibt. Und die naturnahen Flussabschnitte, an denen es bis jetzt keine Wasserkraftanlagen gibt, auch künftig den Fischen und der Natur überlassen, so die Empfehlung des Gewässerökologen.
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