Olympisches Feuer 1972 in München, verfremdet
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Noch immer sind nicht alle Fragen zum Olympia-Attentat 1972 beantwortet.

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Olympia-Attentat 72: Drahtzieher hatte Kontakt zu Münchner Paar

Bis heute sind noch viele Fragen zum Olympia-Attentat am 5. September 1972 offen. Eine monatelange Recherche von BR-Journalistinnen im Münchner Staatsarchiv zeigt nun: Eine Spur haben die Behörden damals und möglicherweise bis heute übersehen.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Die Wettkämpfe in München 1972 liefen unter dem Motto "die heiteren Spiele", alles war fröhlich und offen, die Farben in Pastell und nichts sollte an die Spiele 1936 erinnern, die noch Adolf Hitler persönlich in Berlin eröffnet hat.

Doch am 5. September, kurz nach 4 Uhr morgens, klettern acht palästinensische Terroristen über das Tor ins olympische Männerdorf und nehmen Sportler des israelischen Teams als Geiseln. Wie die Polizei versucht hat, sich ein Bild von der Lage zu verschaffen und welche Fehler dabei passiert sind, das steht in den Ermittlungsakten, die die BR-Journalistinnen Eva Deinert und Yvonne Maier anlässlich des 50. Jahrestags des Olympiaattentats ausgewertet haben. Dabei hatten sie auch Einsicht in sogenannte "Verschlussakten", die bis ins Jahr 2041 nur für Journalistinnen und Journalisten sowie Forschende zugänglich sind.

Befreiungsaktion in Fürstenfeldbruck scheitert

Am 6. September in den frühen Morgenstunden steht fest: Alle Pläne des Einsatzstabs sind gescheitert. Nachdem schon im Olympiadorf zwei israelische Sportler erschossen wurden, sterben auf dem Militärflughafen in Fürstenfeldbruck bei einer Schießerei die restlichen acht israelischen Geiseln, ein Polizist und fünf der Terroristen.

Wenige Tage nach dem Attentat ermittelt die Polizei in München einen der Verdächtigen im Zusammenhang mit dem Anschlag. Alles dazu findet sich im Staatsarchiv München in einer Akte, in der Hintergrundrecherchen zum Umfeld der Terroristen gesammelt werden. Dieser Mann heißt "Said Walli" und gilt für die Polizei als "verdächtige Person", weil er in den Tagen vor dem Anschlag in telefonischem Kontakt zu den Terroristen stand. Doch nicht nur das.

Verdächtiger hat Kontakt zu einer Münchner Familie

Heute ist klar: Said Walli ist ein Deckname. Der eigentliche Name des Verdächtigen ist Abu Daoud, er ist einer der Drahtzieher des Attentats von 1972.

Die Ermittlungsakten zeigen, dass Abu Daoud am Tag der Eröffnung der Olympischen Spiele aus seinem Hotel nicht nur die späteren Terroristen anruft, sondern auch ein Münchner Ehepaar, einen Lehrer und seine palästinensische Ehefrau.

Am 14. September befragt die Polizei das Ehepaar zu diesem Anruf. Es sagt aus, dass der Anrufer eigentlich die Schwester der Ehefrau sprechen wollte, die zufällig zu dieser Zeit in München zu Besuch gewesen sei. Laut Vernehmungsprotokoll kannten sich die beiden von früher und hätten sich daraufhin in München auch getroffen.

Bei den BR-Recherchen fällt ein Detail im Protokoll auf: Der Münchner Lehrer nennt den Anrufer bei seinem echten Namen, Abu Daoud, obwohl die ermittelnden Beamten zu "Said Walli" recherchieren. Diese Aussage bleibt in den Akten aber unkommentiert.

Die zwei Namen des Drahtziehers sind den deutschen Behörden bekannt

Interessanterweise sind beide Namen verschiedenen deutschen Behörden bekannt, aber das Wissen ist wahrscheinlich nicht zusammengetragen worden.

Erstens bekommt das das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz kurz nach dem Attentat den Tipp, dass Abu Daoud einer der Planer der Aktion gewesen sei. In den betreffenden Akten steht aber nicht, dass er den Decknamen "Said Walli" führt.

Die Notiz des Verfassungsschutzes, dass Abu Daoud einer der Drahtzieher des Anschlags ist, geht aber nur an einen bestimmten Personenkreis. Die Beamten des Kommissariats, die im Hotel zum Umfeld der Terroristen ermitteln, gehören zu diesem Zeitpunkt laut Aktenlage nicht dazu.

Zweitens: Der Name "Said Walli" ist einer anderen Behörde bekannt, nämlich seit spätestens Mitte Juli 1972 der Dortmunder Polizei, die eine Verbindung zu dortigen Neonazis gezogen hat.

Zwischenfazit: Beide Namen, der Deckname und der eigentliche Name, von einem der Drahtzieher des Olympia-Attentats waren den Behörden an verschiedenen Orten Deutschlands schon vor oder kurz nach dem Attentat bekannt. Doch diese Informationen wurden wohl nicht an allen Stellen zusammengeführt.

Zufallstreffer an der Grenze nach Frankreich

Am 14. September, als die Münchner Beamten das Ehepaar nach Said Walli befragen, ist die Schwester schon wieder abgereist, und zwar Richtung Frankreich. Doch noch am selben Tag meldet sich das Grenzschutzamt Kehl telefonisch in München. Sie haben eine ausländische Frau festgehalten, deren Visum abgelaufen ist. Sie gibt an, die letzten Wochen bei ihrer Schwester in München verbracht zu haben. Es stellt sich heraus: Sie ist die Schwester, die die Münchner Polizei gerne noch sprechen will.

In der Vernehmung in Kehl bestätigt sie, Said Walli getroffen zu haben, weil sie ihn von früher her kenne. Sie sei mit ihm spazieren gewesen und habe mit ihm eingekauft. Die Geschichte wirkt offensichtlich auf die Beamten nicht verdächtig, am Ende des Tages reist sie nach Frankreich weiter.

Helferin des Drahtziehers des Olympia-Attentats 1972

Was Abu Daoud und diese Frau wirklich während ihres Treffens in München gemacht haben, erklärt sich erst, wenn man die Autobiografie von Abu Daoud liest. Sie erscheint 1999, über 20 Jahre nach dem Attentat und zwar in französischer Sprache. Sie ist heute nur noch antiquarisch erhältlich.

In dem Buch gibt sich Abu Daoud erstmals offiziell als einer der Drahtzieher des Olympiaattentats zu erkennen und beschreibt akribisch, wie er in den Wochen und Monaten vor dem 5. September das Attentat vorbereitet hat.

Und hier taucht die Schwester plötzlich wieder auf, er nennt sie „Siham“. Sie sei die Schwester einer Palästinenserin, die mit einem Münchner Lehrer verheiratet ist (auf Französisch: "professeur"), und die sich während der Olympischen Spiele zufällig auch in der Stadt aufhalte.

Abu Daoud will, so schreibt er in der Biografie, die Connollystraße 31, die Unterkunft der israelischen Mannschaft, genauer ausspähen, doch er kommt ohne entsprechenden Ausweis nicht ins Olympische Dorf hinein. Aber seine palästinensische Bekannte, Siham, kann ein bisschen Deutsch. Gemeinsam überreden sie einen Bediensteten am Tor zum Männerdorf und werden dann hereingelassen. Dort schaut sich Abu Daoud genau an, wie die Israelis untergebracht sind.

Polizei hatte knapp eine Woche nach dem Attentat eine Spur

Das Fazit aus der Recherche: Die Münchner Polizei hatte schon knapp eine Woche nach dem Attentat eine Spur zu einem der Planer der Aktion. Sie ist dieser aber laut der Akten nicht weiter nachgegangen.

Das kann daran liegen, dass die ermittelnden Beamten schlicht die Information, dass Abu Daoud unter dem Decknamen Said Walli reiste, nicht hatten. Es verwundert aber, dass sie nicht misstrauischer wurden, angesichts der Tatsache, dass Said Walli Kontakt mit einer Münchner Familie, beziehungsweise mit der Schwester und Schwägerin hatte. Offensichtlich kam ihnen die Aussage Sihams, dass sie nur einen Bekannten aus ihrer Heimat getroffen habe, mit dem sie einkaufen war, nicht verdächtig vor.

Weiter fällt auf, dass im Dezember 1972, als auch die Münchner Polizei nachweislich die Information bekommt, dass Said Walli und Abu Daoud dieselbe Person sind, in diesem Zusammenhang nicht mehr bei dem Münchner Ehepaar nachhakt. Siham ist zu diesem Zeitpunkt sowieso nicht mehr greifbar, denn sie hat bei der Grenzschutzpolizei Kehl keine Kontaktadresse hinterlassen.

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