Screenshots von zwei Userkommentaren aus den BR24-Kommentarspalten und von Twitter. Die User wundern sich, warum es schon 2013 Coronatote gab - und warum es damals keine Ausgangsbeschränkungen oder Maskenpflicht brauchte.
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User wundern sich über Coronatote im Jahr 2013 und warum es damals keine Ausgangsbeschränkungen gab. Aber: Damals ging es um ein anderes Virus.

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MERS-Coronavirus: Warum gab es 2012/13 keine Pandemie?

2012 brach das MERS-Coronavirus aus – zu einer Pandemie kam es nicht. Im Netz verbreiten sich viele Fragen dazu: Warum brauchte es damals keine Ausgangsbeschränkungen oder Maskenpflicht? Und könnte eine MERS-Pandemie noch drohen? Ein #Faktenfuchs

Während der Lockdown in Deutschland andauert, häufen sich die Kommentare, die diesen in Frage stellen; auch in den Kommentarspalten bei BR24. Was auffällt: Immer wieder werden Parallelen zu 2012/13 gezogen. User argumentieren, es hätte auch damals schon Corona-Tote gegeben – damals aber ohne, dass es deswegen zu Ausgangsbeschränkungen oder Maskenpflicht gekommen wäre. Was hat es damit auf sich? Damals ging es um ein ganz anderes Virus – mit anderen Eigenschaften und Folgen.

MERS-Coronavirus ist nicht SARS-Coronavirus-2

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2013 bezeichnete die WHO ein Coronavirus als "Gefahr für die ganze Welt" - aber es ging dabei nicht um SARS-CoV-2, sondern um das MERS-Virus.

Tatsächlich warnte Margaret Chan, damalige Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), im Mai 2013: "Das neuartige Coronavirus ist eine Gefahr für die ganze Welt." Und es starben auch 2013 Menschen an dem Coronavirus, vor dem sie warnte. Nur: Damals war nicht der SARS-CoV-2-Erreger gemeint, der im Dezember 2019 erstmals entdeckt wurde und die Krankheit Covid-19 auslöst. Die Warnung der WHO bezog sich auf das MERS-Coronavirus.

MERS ist die Abkürzung für "Middle East Respiratory Syndrome". Das Virus wiesen Ärzte zum ersten Mal im April 2012 bei Patienten auf der arabischen Halbinsel nach. MERS ist wie Covid-19 eine Atemwegserkrankung, die tödlich sein kann. Die häufigsten Symptome sind Fieber, Husten und Atemnot.

Zunächst befürchteten Experten, dass das MERS-Coronavirus eine Pandemie auslösen könnte. Doch mit der Zeit stellte sich heraus: Das MERS-Virus verbreitet sich bei Weitem nicht so stark wie aktuell SARS-CoV-2. Laut dem Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) gab es zwischen 2012 und Dezember 2020 weltweit über 2.500 laborbestätigte Fälle. Etwa 80 Prozent der Fälle wurden laut WHO in Saudi-Arabien gemeldet.

Weltweit über 900 MERS-Todesfälle

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Schon 2013 gab es Corona-Tote behauptet ein User. Er hat damit recht, allerdings starben die Menschen nicht an Covid-19, sondern an MERS.

Gesundheitsbehörden weltweit haben bisher 936 Todesfälle gezählt, bei denen Menschen an MERS oder an Komplikationen durch die Krankheit gestorben sind (Stand: 1. Februar 2021). Ein User in den BR24-Kommentarspalten behauptete, dass es im Jahr 2013 20 Corona-Tote gab. Wenn man davon ausgeht, dass er Menschen meint, die nach einer Infektion mit dem MERS-Coronavirus gestorben sind, sind es sogar wesentlich mehr als 20. Die genau Zahl der Todesfälle für 2013 ist jedoch schwer nachzuvollziehen, da immer wieder Fälle nachgemeldet wurden, teilweise über ein Jahr später.

In Deutschland gab es bisher drei bekannte MERS-Fälle, zwei der drei Menschen starben an der Krankheit oder ihren Folgen. Alle bekannten Fälle in Europa sind laut Robert-Koch-Institut importiere Fälle oder Personen, die sich direkt bei Einreisenden angesteckt haben. Es gab also zu keinem Zeitpunkt den Fall, dass man die Ansteckungsketten nicht mehr nachverfolgen konnte, wie es bei SARS-CoV-2 passiert ist.

MERS ist wesentlich weniger ansteckend

Das liegt vor allem daran, dass das MERS-Coronavirus weniger ansteckend ist als der SARS-CoV-2-Erreger, sagt Stephan Becker dem #Faktenfuchs. Er ist Virologe an der Philipps-Universität Marburg und Koordinator des Forschungsbereichs "Neu auftretende Infektionskrankheiten" am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. "Die Ausbreitung ist geringer und auch die Übertragbarkeit nicht so hoch wie zunächst befürchtet."

Die Basisreproduktionszahl von MERS liegt laut WHO durchschnittlich unter 1. Diese Zahl gibt an, wie viele Personen von einer infizierten Person durchschnittlich angesteckt werden, wenn die Bevölkerung noch nicht immun ist und keine Maßnahmen ergriffen wurden, die Infektionen verhindern sollen.

Ein direkter Vergleich mit der tatsächlichen Reproduktionszahl des SARS-CoV-2-Virus ist schwierig: Weil es in der aktuellen Pandemie anders als bei MERS Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht gibt, ist ein Vergleich des tatsächlichen R-Werts zwischen MERS und SARS-CoV-2 verzerrt. Die Maßnahmen beeinflussen, wie stark sich das Virus verbreiten kann.

Wie hoch die Basisreproduktionszahl bei SARS-CoV-2 wäre, wenn es keine Maßnahmen gegeben hätte, haben Forscher in zahlreichen Studien berechnet. Der mittlere Wert lag zwischen 3,3 und 3,8. Das heißt: Jede Person würde zwischen 3 und 4 Personen anstecken, bei MERS ist es durchschnittlich weniger als eine Person, ganz ohne Masken und Abstandsregeln.

Eine Infektion breitet sich langfristig nur dann aus, wenn die Basisreproduktionszahl über 1 liegt. Das ist bei SARS-CoV-2 der Fall – beim MERS-Virus aber nicht, wie das RKI schreibt:

"Wichtig für die globale Risikoeinschätzung − auch für Deutschland − ist, dass es bislang keine Hinweise auf eine anhaltende, unkontrollierte Mensch-zu-Mensch-Übertragung gibt."

So entwickelte sich bisher aus dem MERS-Virus keine Pandemie, sondern sie lief sich tot, auch wenn Experten zunächst das Gegenteil befürchteten.

Warum ist das MERS-Virus weniger ansteckend?

Doch woran liegt das? Der Virenexperte Professor Albert Osterhaus, Mitentdecker der SARS- und MERS-Coronaviren, sagte im vergangenen Jahr dem BR, SARS-CoV-2 sei wesentlich besser an den Menschen angepasst als das verwandte MERS-Coronavirus. Stephan Becker vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung sagte nun dem #Faktenfuchs: "Der größte Unterschied ist, dass das MERS-Coronavirus nur von schwerkranken Personen übertragen wird und nicht von Menschen, die in der Inkubationszeit sind und noch keine Symptome haben."

Deswegen verbreitete es sich nicht so leicht unbemerkt. Ein weiterer Unterschied zwischen SARS und MERS sei laut Becker, dass die Rezeptoren, die das Virus braucht, um in die Zelle einzudringen, in den verschiedenen Körperregionen nicht gleich verteilt seien:

"Bei MERS sind die Rezeptoren in der Lunge. Deswegen vermehrt sich das Virus vor allem in der Lunge und wird nicht leicht übertragen: Vielleicht beim Husten, aber nicht durch normales Atmen oder durch Aerosole. Bei SARS sind die Rezeptoren auch in Nase und Rachen. Deswegen vermehrt sich auch hier das Virus, kann leichter ausgeatmet und kann leichter übertragen werden."

Häufig Ansteckung von Tier zu Mensch

Viele der Menschen, die sich mit dem MERS-Virus angesteckt hatten, hatten Kontakt zu Dromedaren. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist zwar auch möglich, aber der Mensch ist nicht der eigentliche Wirtsorganismus des Virus, sondern Dromedare. Das heißt: In den Körpern der Tiere können sich die MERS-Viren sammeln, vermehren und von ihnen kann eine neue Infektion ausgehen. Das RKI schreibt: "Die Erkrankungs- bzw. Infektionsrate bei Haushaltskontakten von Primärfällen wird als niedrig beschrieben." Das Bayerische Landesamt für Gesundheit drückt es so aus: In "wenigen Einzelfällen" sei das Virus auf Familienangehörige übergegangen, die sich vermutlich durch "engen persönlichen Kontakt bei der häuslichen Krankenpflege" infiziert hätten.

Masken auch bei MERS-Fällen empfohlen

In den Kommentaren im Netz wird auch die Frage aufgebracht, warum es wegen MERS keine Maskenpflicht gab. Eine allgemeine Maskenpflicht ist wegen der beschriebenen geringeren Ansteckungsgefahr nicht nötig. Aber wer mit einem MERS-Verdachtsfall Kontakt hat, soll laut RKI Atemschutzmasken, und zwar "mindestens FFP2" verwenden. Medizinisches Personal, das mit MERS-Verdachtsfällen zu tun hat, soll außerdem eine Schutzbrille tragen "in allen Situationen, in denen mit dem Verspritzen von Blut, Sekreten oder Exkreten zu rechnen ist".

MERS-Virus ist trotzdem gefährlich

Das MERS-Virus ist zwar weniger ansteckend, aber wenn man sich infiziert, ist es vermutlich umso tödlicher. Schaut man sich den Krankheitsverlauf von MERS an, sieht man: Die Sterberate ist laut derzeitigem Stand der Forschung wesentlich höher als bei SARS-CoV-2. Laut WHO starben 35 Prozent der Patienten, die mit dem MERS-Coronavirus infiziert waren. Es kann allerdings sein, dass die Zahl verzerrt ist, weil möglicherweise mild verlaufende MERS-Fälle nicht entdeckt wurden. Wie bei SARS-CoV-2 ist die Sterblichkeit bei MERS bei älteren Menschen deutlich höher als bei jungen Menschen.

In absoluten Zahlen starben aber wesentlich weniger Menschen an MERS (laut ECDC 936 Todesfälle) als an Covid-19 (laut WHO 2.460.792 Todesfälle, Stand 22.02.2021). Das liegt, wie bereits erklärt, daran, dass das MERS-Coronavirus weniger ansteckend ist und es insgesamt auch viel weniger Fälle gibt (MERS: etwa 2.580 bekannte Fälle, SARS-CoV-2: über 110 Millionen).

Eine künftige Pandemie ist nicht ausgeschlossen

Dass das MERS-Virus sich bisher nicht gut an den Menschen angepasst hat, heißt nicht, dass das zwingend so bleibt. Wie man nun auch am SARS-CoV-2 Erreger sieht: Viren können mutieren. Experten befürchten auch bei MERS Mutationen, die eine höhere Ansteckungsgefahr und eine Pandemie zur Folge haben könnten. Der Virologe Stephan Becker sagt: "Das Virus müsste sich so verändern, dass es sich leichter im Nasen-Rachen-Raum vermehren könnte, damit es auch leichter übertragen wird." Bisher sei das aber nicht passiert.

MERS zählt laut dem Forschungsverbund RAPID (kurz für: Risikobewertung bei präpandemischen respiratorischen Infektionserkrankungen) zu den "derzeit bedrohlichsten, sogenannten 'präpandemischen' Infektionserregern". Die WHO führt MERS-CoV nach wie vor in der Liste der "pandemischen, epidemischen Krankheiten".

Impfstoffe werden bereits getestet

Falls das MERS-Virus mutieren und sich möglicherweise leichter verbreiten sollte, gibt es aber laut Becker einen Vorteil gegenüber der aktuellen Pandemie:

"Wenn es doch dazu kommen sollte, wäre man ein gutes Stück weiter als zu Beginn der aktuellen Corona-Pandemie mit SARS-CoV-2: Zu MERS wird seit Jahren geforscht. Die ersten Schritte der klinischen Entwicklung von Impfstoffen sind getan. Nun müssen sie weiter getestet werden."

Auch im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung läuft aktuell ein großes Forschungsprogramm zu MERS: Unter anderem erforscht Christian Drosten am Beispiel von MERS, wie man den Ausbruch präpandemischer Viren früher erkennen und ihre Umwandlung zu Pandemieerregern verhindern kann.

Denn auch wenn es kein MERS- oder SARS-Virus sein sollte, so wird die aktuelle Pandemie wohl nicht die letzte sein, sagt Becker:

"Wir müssen damit rechnen, dass wir in Zukunft wieder eine Pandemie sehen werden. Wann das kommt, weiß man nicht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es kommt, ist relativ hoch."

Fazit

Dass es 2012/13 beim Ausbruch des MERS-Coronavirus nicht zu einer Pandemie kam, liegt daran, dass das Virus weniger ansteckend ist als zunächst befürchtet wurde. Viele Infizierte hatten damals Kontakt zu Dromedaren, dem eigentlichen Wirt des Virus. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist selten. Bis Februar gab es weltweit über 2.500 laborbestätigte Fälle, davon endeten 936 tödlich. Eine künftige Pandemie ist aber nicht auszuschließen: Das MERS-Virus könnte mutieren und dadurch ansteckender werden. Generell halten Experten die Wahrscheinlichkeit, dass es in Zukunft weitere Pandemien geben wird, für relativ hoch – ob durch MERS-, SARS- oder andere Viren.

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