Mehr als 200 Menschen sind bis Mitte April 2005 bei einem Ausbruch des tödlichen Marburg-Virus in Angola gestorben.
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Mehr als 200 Menschen sind bis Mitte April 2005 bei einem Ausbruch des tödlichen Marburg-Virus in Angola gestorben.

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Marburg-Virus: Nein, es ist keine zweite Pandemie "geplant"

Weil es im August dieses Jahres einen Ausbruch des Marburg-Virus in Westafrika gab, vermuten User auf Twitter und Telegram, eine zweite Pandemie sei bereits "in Planung". Doch ihre Argumente sind irreführend oder sogar falsch. Ein #Faktenfuchs.

Als die Behauptungen zum ersten Mal in den User-Kommentaren auf BR24 auftauchen, da wissen viele der anderen Kommentatoren wahrscheinlich noch nicht einmal, wovon die Rede ist. Unter einem Artikel zum Thema Grippe-Impfung schreiben User Behauptungen wie "Achtung!! Bill Gates und Gavi planen bereits die neue Schweinerei. Was ist dran an diesem neuen ‚Marburg Virus‘. Es gibt ja bereits dafür schon patentierte PCR Test’s (SIC)." Eine andere Userin kommentiert unter demselben Beitrag: "Da ist schon das nächste Virus geplant. Marburg."

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Der Screenshot zeigt eine Zusammenstellung der Behauptungen in den Kommentarspalten von BR24.

Was ist das Marburg-Virus?

Das Marburg-Virus gehört zur Familie der Filo-Viren und ähnelt dem Ebola-Virus. Es löst das tödliche Marburg-Fieber aus. Die Fallsterblichkeit - also der Anteil der am Marbug-Virus erkrankten Personen, die an dieser Erkrankung sterben - variierte in früheren Ausbrüchen stark, je nachdem, welcher Virusstamm sich verbreitete und welche Gegenmaßnahmen von den Verantwortlichen getroffen wurden. Bei den schlimmsten Ausbrüchen starben neun von zehn Infizierten.

Das erste Mal wurde das Marburg-Virus 1967 in einem Labor in Marburg nachgewiesen - offenbar hatten sich Labormitarbeiter bei infizierten Affen aus Uganda angesteckt. Seither gab es immer wieder kleinere Ausbrüche, vor allem in Ostafrika, die aber meist schnell eingedämmt werden konnten. (Mehr dazu hier.)

Dass gerade jetzt Gerüchte und Behauptungen rund um das Virus aufkommen, dürfte einen einfachen Grund haben: Im August dieses Jahres gab es einen neuen Ausbruch des Marburg-Virus im westafrikanischen Guinea – der aber schnell eingehegt wurde. Einige Social Media-Nutzer vermuten dahinter anscheinend mächtige Strippenzieher, die das Virus absichtlich verbreiteten, um die Pandemiemaßnahmen aufrechterhalten zu können.

Wie die Verschwörungstheoretiker "belegen", dass eine neue Pandemie geplant sei

Auch im deutschsprachigen Twitter und Telegram verbreiten sich solche Falschbehauptungen. Immer wieder wird etwa der Link zu einem vermeintlichen "Enthüllungs"-Video eines irischen "Whistleblowers" geteilt, der sich als Mitarbeiter eines Krankenhauses ausgibt und detailliert erläutert, warum er glaubt, dass das Marburg-Virus als Scheinargument dienen werde, um eine Verlängerung der Pandemiemaßnahmen und weitere Impfungen zu rechtfertigen.

Die konkreten Behauptungen variieren von Nutzer zu Nutzer. Zusammenfassend lassen sich aber drei vermeintliche "Belege" für die Theorie einer neuen "Plandemie" destillieren, die besonders häufig auftauchen:

1. Gavi, die internationale Impfallianz, der auch die Bill & Melinda Gates Foundation angehört, habe schon im April dieses Jahres vor einer möglichen Marburg-Pandemie gewarnt. Vier Monate später sei es dann tatsächlich zu dem Ausbruch in Westafrika gekommen. Die Anhänger des Narrativs fragen: Wie konnte die Gavi-Allianz das vorher wissen?

2. Verdächtig kommt einigen Kommentatoren auch vor, dass es einen PCR-Test für das Virus gibt. Auch hier wird gefragt: Wieso gibt es Testverfahren für ein Virus, das bisher kaum Todesopfer fordert?

3. Auffällig finden diejenigen, die die Verschwörungserzählung verbreiten, außerdem, dass bereits an einem Impfstoff gegen das Marburg-Virus geforscht wird – zumal er angeblich auf hochgiftigem Rizin basieren soll; ein Stoff, der auch als Biowaffe eingesetzt wird.

Die "Merkwürdigkeiten" sind eigentlich keine

Tatsächlich lassen sich all diese vermeintlichen "Merkwürdigkeiten" jedoch recht einfach erklären. Zunächst und vielleicht am wichtigsten: Darauf, dass eine Marburg-Virus-Pandemie bevorsteht – ob geplant oder nicht – gibt es derzeit keinerlei Hinweise. Der Ausbruch in Guinea konnte, auch weil die guineische Regierung viel aus der Ebola-Epidemie 2014-16 gelernt hat, schnell eingedämmt werden.

Mitte August ist das Virus bei einem bereits verstorbenen Mann nachgewiesenen worden. Kurz darauf wurden mehr als 170 Personen als Hochrisikokontakte unter Quarantäne gestellt, eine weitere Infektion wurde nicht gefunden. Einen Monat später, Mitte September, erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO den Ausbruch für beendet.

"Die nächste Pandemie": Eine Serie von Artikeln

Ebenso unbegründet ist die Vermutung, die Gavi-Allianz habe schon vor dem jüngsten Ausbruch von einer vermeintlich neuen Pandemie gewusst. Tatsächlich veröffentlichte die Impfallianz auf ihrer Webseite im April 2021 einen Artikel mit dem Titel: "The next pandemic: Marburg?" (zu Deutsch: "Die nächste Pandemie: Marburg?"). Der Artikel war Teil einer Serie, mit der die Gavi-Allianz infolge der Corona-Pandemie über weitere Pandemie-Gefahren aufklären wollte, wie eine Pressesprecherin dem BR24 #Faktenfuchs auf Anfrage mitteilt:

"Als globale Gesundheitsorganisation beobachten wir zusammen mit unseren Partnern eine große Auswahl an Krankheiten, die das Potential haben, eine Pandemie zu verursachen. Unsere Serie 'Die nächste Pandemie' wählte deshalb mehrere Infektionskrankheiten aus, die das Potential haben, Ausbrüche zu verursachen, darunter das Marburg-, Ebola-, Gelbfieber- und das Nipah-Virus, um nur ein paar zu nennen." (Iryna Mazur, Gavi-Pressesprecherin)

Alle Teile der Serie finden sich hier.

Der PCR-Test: wichtig für die Früherkennung

Auch, dass es nach mehr als 50 Jahren Forschung einen PCR-Test gibt, mit dem sich das Virus zweifelsfrei nachweisen lässt, sei nicht überraschend, sagt Stephan Becker, Leiter des Instituts für Virologie an der Universität Marburg. Er gilt als einer der profiliertesten Kenner des Marburg-Virus.

So ein Test sei "das erste, was man überhaupt macht bei solchen Ausbrüchen". Schließlich wolle man wissen, wer infiziert ist, um die Infektionsketten nachvollziehen zu können. Gerade bei ansteckenden Viren sei es sinnvoll, sich auf weitere Ausbrüche vorzubereiten. Beim "Marburg-Virus" ist der PCR-Test zudem wichtig, um eine Marburg-Infektion von anderen ähnlichen Infektionskrankheiten zu unterscheiden. Denn die Symptome können sich in der Anfangsphase ähneln, wie die WHO auf ihrer Webseite schreibt:

"Es kann schwierig sein, das Marburg-Fieber klinisch von anderen Infektionskrankheiten wie Malaria, Typhus, Shigellose, Meningitis und anderen bluthaltigen Fiebererkrankungen zu unterscheiden."

Die vermeintliche "Rizin-Impfung": eine Falschbehauptung

Die dritte Behauptung, es sei ein Marburg-Impfstoff auf Grundlage eines gefährlichen Giftstoffes in Entwicklung, ist nicht nur irreführend – sie ist falsch. Tatsächlich gebe es derzeit verschiedene Impfstoffkandidaten, so der Virologe Becker, doch keiner davon basiere auf dem tödlichen Rizin-Gift. Stattdessen haben die Verschwörungserzähler – ob aus Unkenntnis oder böser Absicht – wohl zwei unterschiedliche Projekte eines Impfstoffherstellers miteinander vermischt.

Die Firma Soligenix nämlich – die auch in einem Online-Artikel zu dem vermeintlichen "Enthüllungs"-Video des irischen Whistleblowers als Quelle genannt wird – listet auf ihrer Webseite im Bereich "Public Health Solutions" zwei Impfstoff-Projekte auf, die derzeit in der Entwicklung sind: den Impfstoff RiVax®, mit dem besonders gefährdetet Personen (etwa Soldaten im Falle eines Biowaffen-Angriffs) vor einer Rizin-Vergiftung geschützt werden können. Und die ThermoVax®-Methode, mit der Impfstoffe gefriergetrocknet werden können ohne dabei ihre Wirksamkeit zu verlieren. Man hofft, dass damit so komplizierte Kühlketten, wie die unter denen etwa der Biontech-Impfstoff anfangs gelagert werden musste, irgendwann unnötig werden. Unter anderem erforscht Soligenix auf Grundlage dieser Methode gerade einen Impfstoff gegen das Marburg-Virus. Die beiden Projekte haben aber nichts miteinander zu tun.

Die Lehren der Ebola-Epidemie

Dass bereits an einem Impfstoff geforscht wird, obwohl es bisher keine Marburg-Epidemie gab, hat - neben der Gefährlichkeit des Virus - aber auch noch einen weiteren Grund, sagt der Virologe Stephan Becker: Nämlich den, dass die Weltgemeinschaft versucht, aus ihren Fehlern zu lernen.

Er erzählt es am Beispiel des Ebolavirus: Nach der Entdeckung 1976 gab es periodisch immer wieder Ausbrüche; bei einigen starben Hunderte Menschen. Aber immer ließ sich der Ausbruch letztlich eindämmen, mit Hygienemaßnahmen, Quarantäne und Kontaktnachverfolgung. Lange habe daher kein Mensch geglaubt, "dass Ebola mal ein größeres Problem für die öffentliche Gesundheit wird."

Bis zum Frühjahr 2014: Am 23. März 2014 unterrichtete das Gesundheitsministerium Guineas die WHO offiziell über einem Ausbruch von Ebolafieber. Das Virus breitete sich aus, am Ende starben mehr als 11.000 Menschen. Die WHO stand hinterher heftig in der Kritik, weil sie auf die Epidemie nicht ausreichend vorbereitet war und zu langsam reagierte. Damals habe man verstanden, so Stephan Becker: "Wir müssen auch gegen solche Viren was in der Hand haben. Und das muss man haben, bevor so große Ausbrüche entstehen."

Denn obwohl an einem Ebolafieber-Impfstoff zu Beginn der Ebola-Epidemie 2014 bereits seit mehr als zehn Jahren geforscht wurde, dauerte es noch über ein Jahr, bis er einsatzbereit war. Als das Vakzin dann zugelassen wurde, lag die Wirksamkeit bei 100 Prozent. Anders gesagt: Die mehr als 11.000 Todesfälle im Zusammenhang mit der Ebola-Epidemie hätten verhindert werden können, wenn die Impfstoffforschung weiter gewesen wäre.

Dieser Fehler sollte sich nicht wiederholen. Also begann die WHO damit, mehr in die Erforschung von Impfstoffen für seltene, aber hochgefährliche Infektionskrankheiten wie Ebola zu investieren. Aus diesen Bemühungen ging etwa die CEPI hervor, die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations, der neben der WHO ebenfalls die Bill & Melinda Gates Foundation sowie weitere öffentliche und private Geldgeber angehören. Die GAVI-Impfallianz gab es schon seit dem Jahr 2000, aber auch ihr gehört die WHO an.

Und die stellte 2016 erstmals eine Liste mit Viren auf, die in der Impfstoffforschung priorisiert werden sollen. Darauf findet sich unter anderem: das Marburg-Virus.

Fazit

Dafür, dass eine Marburg-Pandemie bevorsteht, gibt es keinerlei Hinweise. Im Gegenteil: Als im August dieses Jahres ein Fall in Guinea auftrat, wurde eine Ausbreitung schnell und effektiv verhindert. Auch die anderen "Auffälligkeiten", die Verschwörungstheoretiker anführen, um eine angebliche "Plandemie" zu "belegen", entbehren jeder Grundlage.

Dass die von Bill Gates mitgegründete Gavi-Impfallianz schon im April auf die Gefahren anderer gefährlicher Viren hinwies, ist kaum überraschend: Die Corona-Pandemie verschaffte endlich die nötige Aufmerksamkeit für die Gefahren von Infektionskrankheiten - ein Thema, an dem die Impfallianz seit Jahren arbeitet. Das Marburg-Virus ist jedoch nicht neu, sondern seit mehr als 50 Jahren bekannt und steht auf einer Liste von Viren, für die laut WHO prioritär Impfstoffe entwickelt werden sollen. Bei besonders schweren Ausbrüchen in der Vergangenheit starben bis zu neun von 10 Infizierten.

Dass es zur Diagnostik und Prävention eines derart gefährlichen Virus PCR-Tests gibt und Impfstoffe erforscht werden, ist nicht überraschend, sondern vorausschauend. Unter anderem sei das eine Konsequenz aus Fehlern, die die WHO bei der Ebola-Epidemie in Westafrika 2014-2016 gemacht hat, sagt ein Virologe. Keiner der Impfstoffe, die derzeit erforscht werden, basiert auf dem gefährlichen Biowaffen-Gift Rizin.

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