Mann am Steuer, der vor Wut schreit
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Auch im Straßenverkehr geht es bei hohen Temperaturen hitziger zu.

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Macht uns die Hitze aggressiver?

Hohe Temperaturen lassen bei vielen auch die Emotionen hochkochen. Ob das dann öfter zu Gewalttaten führt, ist bislang unter Forschern umstritten. Eines scheint aber klar: Gewalt bei Hitze ist häufiger - die Hitze ist daran aber nur indirekt schuld.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

An Tagen wie diesen mit Temperaturen weit über dreißig Grad verwandelt sich so manches sonst sanfte Gemüt in einen Hitzkopf: Autofahrer hupen bei unangenehm hohen Temperaturen länger als sonst, bei Verkäufern im Laden sinkt die Hilfsbereitschaft und Polizisten greifen in Trainingssituationen bei Hitze sogar häufiger zur Waffe - all das belegen bereits Studien.

Doch bringt der Klimawandel neben der Zunahme von Hitzewellen auch eine Häufung von Gewalt mit sich? Dieser Frage sind US-Forscher in einigen Studien nachgegangen. Craig Anderson, Gewaltforscher an der Iowa State University, beschäftigte sich 2019 mit diesem Thema. Seine Ergebnisse dazu wurden im Fachmagazin "Current Climate Change Reports" veröffentlicht.

US-Studien belegen Zusammenhang von Hitze und Gewalt

Für ihre Untersuchungen werteten Craig Anderson und sein Team mehrere Studien aus und kamen zu dem Schluss: Die schnelle Klimaerwärmung schafft mehr Gelegenheiten für aggressive und gewalttätige Situationen.

Die Wissenschaftler aus Iowa führten dabei unter anderem eine Studie an, bei der Daten aus 60 Ländern ausgewertet wurden. Sie ergab: Mit jedem Grad Celsius Klimaerwärmung könnte die Mordrate um sechs Prozent steigen. Allein in den USA könnte ein Temperaturplus von gut einem Grad Celsius zu 25.000 zusätzlichen schweren bis tödlichen Gewalttaten pro Jahr führen, heißt es in einer anderen Untersuchung.

Deutscher Konfliktforscher: Hitze allein führt nicht zu mehr Gewalt

Für Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld, ist der Zusammenhang zwischen Hitze und Gewalt hingegen weniger eindeutig. Hitze sei zwar durchaus ein "Verstärker" in bestimmten Stimmungslagen, doch für sich genommen sei dieser Effekt gering, betonte Zick.

Außerdem sei die Datenlage dazu "uneindeutig". Man müsse immer "in Wechselwirkungen denken", sagte der Bielefelder Forscher. Damit meint der Konfliktforscher, dass andere Faktoren bei Gewaltausbrüchen zusätzlich eine Rolle spielen.

Gedränge, Alkohol und Schlafmangel provozieren Gewalt

Im Sommer trinken Menschen mehr Alkohol, schlafen aufgrund der Hitze weniger und im Freibad drängen sich Sonnenanbeter und Wasserratten, sodass es ganz schnell zu Gewaltausbrüchen kommen kann. Das belegen auch Zahlen und Fakten:

"Immer Hitze, immer Testosteron", sagte Matthias Oloew, Sprecher der Berliner Bäderbetriebe, über die zeitweise notwendige Schließung von Berliner Schwimmbädern aufgrund von Hitze und Gewalt bei sich drängenden Badegästen. Auch Daten der Berliner Stadtverwaltung zeigen, dass sich die Wärme besonders in Kiezen staut, wo sich ohnehin schon die sozialen Probleme ballen. Auch hier schlägt das Miteinander auf engstem Raum aufgrund des "Gedrängefaktors" oft in Gewalt um.

Empfindung der Temperatur ist entscheidend für Aggression

Allerdings muss Hitze nicht immer für Aggressionsschübe sorgen. Entscheidend seien stabil hohe Temperaturen über einen längeren Zeitraum, sagte Andreas Zick, Konfliktforscher an der Uni Bielefeld. Empfindet man das Klima als unangenehm, werde das auf das Umfeld übertragen. Das gelte aber nur bis zu einer gewissen Schwelle: Extreme Hitze hemme Aggression eher wieder - sie lähme schließlich, so Zick.

Klimawandel: Der Mensch kann sich anpassen

Ralph Schliewenz vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen hält aus psychologischer Sicht nichts von den Prognosen "mehr Morden durch Hitze". Die Menschheitsgeschichte stimme ihn optimistisch:

"Wir werden lernen, wir werden uns anpassen." Ralph Schliewenz vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen

Der Psychologe verwies auch darauf, dass in allen Klimazonen Menschen lebten und unser Körper konstant eine Temperatur von 37 Grad Celsius halten könne, etwa durch vermehrtes Schwitzen. "Kopf einschalten, denken, sich dem Problem stellen", appellierte er.

Klimadaten werden in Forschung künftig größere Rolle spielen

Kriminalitäts- und Klimadaten werden künftig in der Forschung mehr miteinander verknüpft, davon ist Konfliktforscher Zick überzeugt.

"Wahrscheinlich werden wir in Zukunft mehr Daten sehen, weil wir erst jetzt feststellen, dass diese Faktoren eine Rolle spielen." Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld

Bisher habe man bei der Analyse von Gewalttaten vor allem das Alter, das Geschlecht und das Einkommen des Täters berücksichtigt.

Indirekte Folgen des Klimawandels als Ursache für Gewalt

US-Forscher Anderson sieht noch weitere Probleme, die durch den Klimawandel auftreten und das Aggressionspotenzial der Menschen erhöhen könnten: Umweltkatastrophen und damit einhergehende Flüchtlingsbewegungen. Die wirtschaftliche Unsicherheit führe dann zu mehr Gewalt, meinte Anderson in seiner Studie.

Weniger Gewalt: Tipp vom Konfliktforscher

Konfliktforscher Zick hat einen Tipp, Aggression und Gewalt in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Er rät zu einer freundlicheren Gestaltung "enger Räume". Bahnhöfe etwa, an denen es gleichzeitig laut, voll und heiß werden kann. Damit man auch dort einen "kühlen Kopf" bewahrt.

Sonnenstrahlen scheinen durch einen Baum. Von unten betrachtet.
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Die "Hundstage" bringen extreme Temperaturen. In den kommenden Tagen könnte die 40-Grad-Marke geknackt werden.

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