Vor fünf Jahren war der Stanford-Biologe Paul Ehrlich an einer Studie beteiligt, die deklarierte, wir würden uns mitten im sechsten Massensterben der Welt befinden. Bei den vorigen fünf wurde das Leben auf der Erde fast vollständig ausgelöscht. Eines löste der Meteorit aus, der vor 65 Millionen Jahren im Golf von Mexiko einschlug und die Dinosaurier - gemeinsam mit vielen anderen Arten - ausrottete.
Noch schlimmer als gedacht
Die Studie sorgte damals für viel Wirbel. Jetzt - fünf Jahre später - werden viele wieder aufhorchen: Denn es ist noch viel schlimmer als gedacht. Die neue Studie, die diese Woche im Fachblatt “Proceedings of the National Academy of Sciences” veröffentlicht wird, geht davon aus, dass wir Menschen mit unseren Auswirkungen noch viel mehr Spezies ausgelöscht haben, als uns bewusst war - und dass viele Spezies am Rand zur Auslöschung stehen.
Aussterben im 20. Jahrhundert
Forscher gehen davon aus, dass allein im 20. Jahrhundert 543 Arten Landwirbeltiere ausgestorben sind. Neuen Erkenntnissen zufolge können es fast genauso viele allein in den nächsten zwei Jahrzehnten werden. Und am Ende leiden nicht nur die Tiere darunter, sondern auch wir.
“Was wir in den nächsten zwei Jahrzehnten mit der momentanen Krise des Aussterbens machen, wird sich auf das Schicksal von Millionen Arten auswirken." Biologe und Studienautor Gerardo Ceballos, National Autonomous University of Mexico's Institute of Ecology
515 Arten massiv bedroht
Die Forscher schauten sich besonders bedrohte Landwirbeltiere an: Von ihnen stehen momentan 515 Arten (das sind 1,7 Prozent von allen analysierten Tierarten) am Rand der Auslöschung. Das bedeutet, es gibt weniger als 1.000 Exemplare von ihnen. Die Hälfte von ihnen bestehen sogar aus nur 250 oder weniger Exemplaren. Die meisten der extrem bedrohten Arten leben in tropischen und subtropischen Gebieten, die nachweislich unter dem Eingriff des Menschen leiden.
Nashörner und Frösche
Zu ihnen gehört zum Beispiel das Sumatra-Nashorn, eine der meist gefährdeten Säugetierarten der Welt. Im nördlichen Sumatra in Indonesien gibt es noch etwa 80 Tiere. Sie werden wegen ihrer Hörner gejagt. Zusätzlich sind sie durch die Zerstörung ihres Lebensraums bedroht. Ebenfalls vom Aussterben bedroht ist der Atelopus varius, eine mittelamerikanische Amphibienart aus der Familie der Kröten. Er war weit verbreitet in Costa Rica und Panama, bis ein aus Asien eingeführter Pilz seine Population dezimierte.
Chaos im Ökosystem
Von diesen 515 Arten sind die Bestände seit dem Jahr 1900 um 237.000 Populationen geschrumpft. Sinkt der Bestand weiter, kann sich eine Art auf Dauer nicht im Ökosystem halten. Und das wirkt sich wiederum auch auf andere Arten aus. Als Beispiel führen die Experten die Überjagung des Seeotters im 17. Jahrhundert an, dem größten Feind der Seetang fressenden Seeigel. Weil die vielen (nicht vom Otter verspeisten) Seeigel so viel Seetang fraßen, starb Stellers Seekuh - oder auch Riesenseekuh genannt - aus, die sich ebenfalls von dem Tang ernährte.
Angst vor Kettenreaktion
Gerade vor diesem Dominoeffekt warnen die Forscher. 84 Prozent der Arten mit unter 5.000 Exemplaren leben in der gleichen Umgebung wie Arten mit weniger als 1.000 Exemplaren. Stirbt eine Art, könnte es eine Kettenreaktion geben, die das Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringt und andere Arten ebenfalls an den Rand der Auslöschung treibt. Daher wollen die Forscher, dass alle Arten mit weniger als 5.000 Tieren auf die Rote Liste gefährdeter Arten der IUCN, der Weltnaturschutzunion, kommen und dort als “vom Aussterben bedroht” gelistet werden. Das ist eine weltweite Datenbank, die den aktuellen Status von Tieren, Pflanzen und Pilzen führt.
Schuld des Menschen
Nun ist es wichtig, dass genau geschaut wird, welche Arten in welchen Gebieten betroffen sind, um herauszufinden, was genau sie vom Aussterben bedroht. Der Mensch spielt dabei eine große Rolle: Steigende Bevölkerungszahlen, Zerstörung des Lebensraums, Wildtierhandel, Umweltverschmutzung und der daraus resultierende Klimawandel sind nur ein paar Beispiele. Das Ökosystem ist auf Artenvielfalt angewiesen, auf die Beziehungen der einzelnen Arten untereinander - egal, ob im Korallenriff, dem Mangroven-Dschungel oder in der Wüste. Sie bauen aufeinander auf und sind abhängig voneinander.
Verbot von Wildtierhandel
Die Forscher schlagen vor, den weltweiten Wildtierhandel verbieten zu lassen. Denn illegale Jagd und Gefangenschaft von (seltenen) Tieren für medizinische Zwecke, als Haustiere oder Nahrungsquelle löschen nicht nur Arten aus, sondern bringen auch uns Menschen in Gefahr.
Bestes Beispiel nach Ansicht der Forscher ist die Corona-Pandemie: Momentan geht man davon aus, dass das neuartige Coronavirus in Fledermäusen entstand, das dann über ein anderes Säugetier auf einem Wildtiermarkt auf den Menschen übergegangen ist. Es wäre nicht das erste Mal, dass Infektionskrankheiten von Tieren auf den Menschen oder domestizierte Tiere übertragen worden sind. Das nennt man Zoonose. Beispiele sind Influenza, Pest, Ebola oder Aids - etwa 70 Prozent aller Infektionskrankheiten kommen aus dem Tierreich.