15.12.2022, Brandenburg, Brück: Ein Boxer Tracked des Herstellers Krauss-Maffei Wegmann (KMW) nimmt an einer Vorführung auf dem Truppenübungsplatz Lehnin teil.
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Konfliktforscher: Rüstung in Sicherheitspolitik einbetten

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Konfliktforscher: Rüstung in Sicherheitspolitik einbetten

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs rückt die deutsche Rüstungsindustrie wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Konfliktforscher und Experte für Waffenexporte Max Mutschler erklärt im BR24-Interview, inwiefern die Rüstungskonzerne Kriegsgewinnler sind.

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs rückt die deutsche Rüstungsindustrie wieder stark in den Fokus der Öffentlichkeit. Konfliktforscher und Experte für Waffenexporte Max Mutschler erklärt im BR24-Interview für das aktuelle “Possoch klärt” Video, inwiefern die Rüstungskonzerne Kriegsgewinnler sind.

Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine kommt nun auch in Deutschland die politische Forderung auf: Mehr Geld für Rüstung. Einerseits liefert die Bundesregierung bereits Waffen an die Ukraine, andererseits möchte sie auch in die eigene Verteidigung mehr investieren. Max Mutschler, Konfliktforscher und Rüstungsexperte vom Bonn International Centre for Conflict Studies, erklärt im BR24-Interview für das neue "Possoch klärt"-Video (Video unten), inwiefern die deutsche Rüstungsindustrie von der sogenannten Zeitenwende profitiert und vor welchen moralischen Herausforderungen sie steht.

Dominic Possoch: Sind Rüstungskonzerne die großen Kriegsgewinnler?

Max Mutschler: Das kann man durchaus so sagen. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und vor allem mit dem, was häufig hier in Deutschland unter dem Schlagwort Zeitenwende behandelt wird, sind natürlich neue, zusätzliche Aufträge an die Rüstungsindustrie verbunden. Daraus entstehen dann auch Wachstumserwartungen. Dementsprechend steigen auch die Aktienkurse.

Video: Rüstungskonzerne - die großen Kriegsgewinner? Possoch klärt!

Rheinmetall-Fabrik in der Ukraine?

Possoch: Rheinmetall möchte nun sogar eine Panzerfabrik in der Ukraine bauen. Herrscht da jetzt eine Art Goldgräber-Stimmung?

Mutschler: Ich sehe hier schon noch Probleme. Bis die Fabrik gebaut ist, bis das alles in Gang kommt mit der Produktion, das dauert ja noch einige Zeit. Das ist ja nichts, was man von heute auf morgen hochziehen kann. Das heißt, in diesem Jahr würde so etwas der Ukraine überhaupt noch nichts bringen. Und dann ist natürlich die Frage, wie sieht es in zwei oder drei Jahren aus? Kann die Situation dort schon wieder eine ganz andere sein?

Possoch: Rheinmetall scheint dennoch von dem Plan überzeugt zu sein. Eine echte Hilfe für die Ukraine?

Mutschler: Diese Verlagerung von Produktionskapazitäten, gerade eben auch von deutschem rüstungstechnologischem Know-how ins Ausland ist problematisch. Denn damit gibt man auch ein Stück weit Kontrolle ab. Und in eine weitere Zukunft gedacht - also jetzt nicht kurz-, aber mittel- und langfristig: Was sind dann dort die Produktionskapazitäten, die ausgelastet werden müssen? Wenn irgendwann die Nachfrage aus der Ukraine selber nicht mehr groß genug ist, müsste auch wiederum weiter exportiert werden. Das Ganze würde dann nicht mehr oder zumindest wesentlich weniger den deutschen Kontrollbestimmungen unterliegen.

"Militärausgaben sind schon seit vielen Jahren gestiegen"

Possoch: Profiteur von einem Angriffskrieg zu sein, kann sich schlecht auf das eigene Image auswirken?

Mutschler: Das hat natürlich diese negative Konnotation, Kriegsgewinnler. Deswegen mag man es aus der Rüstungsindustrie nicht so gerne hören. Aber wenn man sich die Fakten und Zahlen anschaut, dann ist es eben so. Was man allerdings dazu sagen muss, ist, dass die Militärausgaben schon seit vielen Jahren steigen. Und mit dem Sondervermögen und auch mit der generell beschlossenen Erhöhung des Wehretats, wie es in den nächsten Jahren kommen wird, steigen sie noch mal deutlich an. Wir haben aber auch zuvor, eigentlich seit 2014, in Deutschland deutlich Steigerrungen im Militärhaushalt und global gesehen eigentlich schon seit vielen Jahren davor. Das heißt, die Rüstungsindustrie hat auch schon vor 2022 sehr gute Geschäfte gemacht und profitiert jetzt aber tatsächlich noch zusätzlich.

Rüstungsindustrie mit "massiven Einfluss auf die Politik"

Possoch: Wie stark ist denn die Lobby der Rüstungsindustrie in Deutschland?

Mutschler: Lobbytätigkeiten ganz objektiv mit harten Daten zu erfassen, ist schwierig. Das gilt, glaube ich, für alle Branchen. Aber was ich schon sagen würde, ist: Die Rüstungsindustrie nimmt hier viel Geld in die Hand, ist gut organisiert, auch über ihre Verbands-Vertreter, und versucht natürlich ganz massiv Einfluss auf die Politik zu nehmen und in vielen Fällen auch sehr erfolgreich.

Bildrechte: Max Mutschler

Max Mutschler, Konfliktforscher und Rüstungsexperte vom Bonn International Centre for Conflict Studies

Possoch: Wo zum Beispiel gelingt das?

Mutschler: Wenn ich mir die die Rüstungsexporte Deutschlands in den letzten Jahren anschaue - und ich meine jetzt vor allem vor 2022, gar nicht in Bezug auf die Ukraine -, das sind tatsächlich politische Entscheidungen, wo auch außen- und sicherheitspolitische Motive im Vordergrund stehen. Aber wir haben eine ganze Reihe von Rüstungsexporten, die im Prinzip eine rein kommerzielle Natur haben und die außen- und sicherheitspolitisch, ich sag auch mal friedenspolitisch und im Hinblick auf Menschenrechte, eigentlich eine ganz katastrophale Wirkung entfaltet haben. Ich denke an die Rüstungsexporte, die an Länder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gegangen sind. Und wenn wir in den Jemen schauen, sehen wir, wie sie da wirklich zu massiven Verletzungen des humanitären Völkerrechts beigetragen haben. Da muss man schon sagen, wenn man sich auch geltende Regelungen für deutsche Rüstungsexporte oder auch für europäische Rüstungsexporte anschaut, dann sind das Exporte, die aus meiner Sicht niemals hätten genehmigt werden dürfen. Da vermute ich schon, dass hier auch ganz massiv ökonomische Interessen und entsprechender Lobbydruck vonseiten der Rüstungsindustrie dafür gesorgt haben, dass sie eben doch genehmigt wurden.

Waffenlieferungen nur zur Abschreckung?

Possoch: Die Rüstungsindustrie sagt, die Waffen dienen nur zur Abschreckung. Ist das ein Vorwand?

Mutschler: Es ist grundsätzlich nicht illegitim, dieses Abschreckungs-Argument zu machen. Es gibt legitime Gründe für Waffen, für Rüstung und dementsprechend auch für ihren Export. Es gibt aber auch immer wieder illegitime Verwendungen. Wenn wir sehen, wie bestimmte Regime damit ihre eigene Bevölkerung unterdrücken nach innen oder, ich hatte vorher Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate im Jemen-Krieg genannt, nach außen hin Krieg führen und dabei wirklich das humanitäre Völkerrecht nicht beachten. Im Konkreten heißt das, Zivilisten zu töten, und zwar systematisch, nicht aus Versehen. Und dann ist es wirklich völlig illegitim.

Rüstungsindustrie hat "konkrete Geschäftsinteressen"

Possoch: Am Ende wird der Politik die Schuld dafür zugewiesen?

Mutschler: Die Industrie kann sich natürlich ein Stück weit zurücklehnen und sagen: Wir tun nichts Ungesetzliches. Wir haben eben mit dem Kriegswaffen-Kontrollgesetz, mit dem Außenwirtschaftsgesetz sowie mit verschiedenen anderen rechtlichen Rahmen-Werken bestimmte Regeln und die Politik muss eben genehmigen oder ablehnen. Primär sage ich auch: Ja, ich sehe da auch die Verantwortung in der Politik der Bundesregierung. Sie hat eben diese Verantwortung, diese politische Entscheidung auch zu tragen. Aber trotz allem kann man die Rüstungsunternehmen hier auch nicht komplett aus der Verantwortung entlassen. Denn es sind ihre Produkte. Es sind Produkte und Geschäfte, die sie aktiv vorantreiben. Es ist ja nicht so, dass die Rüstungsindustrie einfach nur dasitzt und wartet, bis die Bundesregierung auf sie zukommt. Nein, es läuft ja in den meisten Fällen genau umgekehrt. Wenn es sich um rein kommerzielle Exporte handelt, stellt die Rüstungsindustrie einen Antrag, weil sie ein konkretes Geschäftsinteresse hat und setzt sich dann natürlich auch mit ihrem Einfluss dafür ein, dass dem möglichst stattgegeben wird.

Possoch: Also läuft es ein wenig gemäß Berthold Brecht: Erst kommt das Fressen, dann die Moral?

Mutschler: Alles ist eine moralische Frage, würde ich sagen. Die Moral, die Ethik, die kriegen sie nicht raus. Ich halte nichts davon, da so einen Gegensatz aufzumachen, indem man sagt: Wenn man für Rüstungsexportbeschränkungen ist, ist das Moral, und wenn man für den Export von Waffen ist, dann sind das logische, rationale Interessen. Ich halte es zum Beispiel für völlig richtig, die Ukraine zu bewaffnen. Aber die Grundlage ist ja auch ein moralisches Argument. Und genauso muss es sein, wenn man sagt, man liefert diese Waffen zur Abschreckung gegen Angriffe, zur Aufrechterhaltung eines legitimen, staatlichen Gewaltmonopols. Da kriegen Sie die Ethik, die Moral gar nicht raus.

Mehr Waffen, mehr Krieg?

Possoch: Dennoch gibt es einige, die sagen, mit mehr Waffen kommt auch mehr Krieg?

Mutschler: Ich glaube, es ist hier tatsächlich wichtig, nicht zu sagen: Waffen sind immer schlecht oder Waffen sind immer gut. Beides ist falsch. Es ist wichtig, dass es auch in ein Gesamtkonzept von Sicherheitspolitik und letztendlich auch von Rüstungskontrolle eingebettet ist. Der Sinn von einer Abschreckung ist eben der, dass ich nicht nur im besten Falle einen potenziellen Gegner abschrecke, sondern, dass ich damit gleichzeitig auch nicht eine Bedrohung für diesen Gegner in dem Sinne darstelle, dass er sich wiederum zum Angriff provoziert fühlt. Sonst kommt man in so eine wechselseitige Spirale rein. Wir nennen das im Fachjargon Sicherheitsdilemma.

Possoch: Danke für das Gespräch.

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