Traktor mit Mähwerk fährt bei trübem Wetter durch hüfthohen Grasbestand. Links im Bild ein Pfahl.
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Ernte im wiedervernässten Moor: Landwirt mäht Sumpfgras mit Doppelmessermähbalken

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Keine Angst vor nassen Feldern – Wann kommt die Hilfe fürs Moor?

Besonders billig und wirksam: Klimaschutz im Moor rentiert sich. Doch während der Torfkörper immer weniger wird, steht offenbar die Politik auf dem Bremspedal. Nicht nur Umweltschützer, auch Bauern fragen sich: Wann kommt die Hilfe für das Moor?

Ministerpräsident Markus Söder hat es im Sommer 2021 angekündigt, dieses Jahr sollte es fertig werden und nächstes Jahr in Kraft treten: Das bayerische Moorbauernprogramm. Es soll Klimaschutz und Landwirtschaft unter einem Hut bringen, die Landwirte dazu bewegen, dass sie ihre trockengelegten Moorböden vernässen lassen. Doch das Programm lässt auf sich warten. Derweil schwinden die Moorböden.

Neuland: Landwirtschaft im nassen Moor

Mitte Oktober, Erntezeit im wieder vernässten Moor. Ein Traktor mäht das Versuchsfeld zwischen Günzburg und Riedhausen im schwäbischen Donaumoos. Das zum Teil mannshohe Gras wird später zerkleinert und hinterher zu Pellets gepresst. Das ist der Beweis: Landwirtschaft geht auch auf nassen Böden.

Kartoffeln, Getreide und eiweißreiches Hochleistungsfutter für Milchkühe kann man da allerdings nicht erzeugen. Dafür aber Futter für trockenstehende Kühe, Fleischrinder oder Wasserbüffel und Energie – wenn man den Aufwuchs verbrennt oder in der Biogasanlage vergärt. Den aktuellen Versuchen nach kann man im nassen Moor auch Rohstoffe für Dämmplatten, Möbel und Terrassenbeläge produzieren. Landwirtschaft im wieder vernässten Moor, das ist etwas noch nie Dagewesenes. Und zugleich die Zukunft. Denn wir brauchen sie für den Klimaschutz.

Kommt Luft an den Torfkörper, geht CO2 in die Luft

Bevor die Bauern vor mehr als 200 Jahren angefangen haben, das Moor zu beackern, haben sie in ungefähr einem Meter Tiefe unterirdische Drainage-Rohre gelegt und an der Oberfläche Gräben gezogen, um den Torfkörper zu entwässern. Sonst hätten sie keine Kartoffeln pflanzen und keinen Roggen säen können.

Ist der Wasserstand abgesenkt, kommt Sauerstoff an den Torfkörper, der zu großen Teilen aus abgestorbenen Pflanzenresten besteht. Man sagt auch "Organische Substanz" dazu. Die Folge: An der Luft verrotten die Pflanzenreste, der Kohlenstoff, der in den abgestorbenen Pflanzen gebunden war, geht als Kohlendioxid, kurz CO2 in die Luft, wirkt dort als Treibhausgas und feuert die Erderwärmung an. Dabei schwindet der Torfkörper.

Entwässertes Moor: Jedes Jahr zwei Zentimeter weniger Boden

Dass der Moorboden immer weiter zurück geht, kann man im Gegensatz zum freigesetzten CO2 mit dem bloßen Auge erkennen. Im schwäbischen Donaumoos bei Riedhausen liegen die Feldwege einen guten halben Meter über dem Niveau der Felder. Anhand einer Moorbodenkarte aus dem Jahr 1992 haben Anja Schumann, die bei der Arbeitsgemeinschaft Donaumoos für die Landwirtschaft zuständig ist, und ihre Kollegen vor ein paar Jahren nachrechnen können.

Der Mächtigkeit des Moorbodens ist innerhalb von 25 Jahren von einem auf einen halben Meter zurückgegangen. "Da ist es mir auch mal so richtig bewusst geworden, was zwei Zentimeter bedeuten". Ein Bodenverlust von zwei Zentimetern im Jahr ist quasi ein Mittelwert. Experten haben auf anderen entwässerten Moorstandorten 0,5 – 4 Zentimeter Schwund pro Jahr ermittelt.

Bayern: Reich an Mooren - noch

Ein halber Meter Restboden, das würde für weitere 25 Jahre Ackerbau auf entwässertem Moor reichen. Danach hätte der Landwirt bloß noch Kies unter der Sohle und die Atmosphäre wäre um 35 Tonnen CO2 schwerer - pro Hektar und Jahr. Ein Hektar entwässertes Moor hat nämlich den gleichen CO2-Ausstoß wie sechs Durchschnittsbürger.

Die Moorflächen, die nur fünf Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland ausmachen, verursachen 40 Prozent der Klimaschäden der Landwirtschaft. Bayern zählt wie Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu den moorreichen Bundesländern. Es besteht also Handlungsbedarf.

Klimaschutz geht nur mit Moorschutz

In Bayern gibt es insgesamt rund 220.000 Hektar Moorflächen, 95 Prozent davon sind trockengelegt, gut die Hälfte davon wird landwirtschaftlich genutzt. Und rund ein Viertel davon soll bis 2040 wieder vernässt werden, im Staatswald, auf Naturschutzflächen und eben in der Landwirtschaft.

Das ist das Ziel der Bayerischen Staatsregierung. Damit die Moore wieder als Kohlenstoffspeicher funktionieren und nicht als CO2-Schleudern fungieren. Denn bis 2040 soll Bayern unterm Strich klimaneutral sein. Und das Moorbauernprogramm soll dazu führen, dass bis zum Jahr 2029 20.000 Hektar landwirtschaftlich genutzter Moorboden wieder vernässt werden.

Landwirte warten auf Moorbauernprogramm

Annette Freibauer von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft war an der fachlichen Ausarbeitung des Moorbauernprogramms beteiligt. Sie macht auch Versuche zur Landwirtschaft auf wiedervernässten Moorböden und bekommt immer wieder Anrufe von interessierten Landwirten. "Die fragen, wie sieht das Programm aus, könnten wir uns beteiligen?"

Stefan Köhler, der Umweltpräsident des Bayerischen Bauernverbandes bestätigt: "Natürlich sind wir interessiert, was kommt." Doch die Bauern seien auch verunsichert, so Köhler. Denn bis jetzt würden entscheidende Informationen zum Moorbauernprogramm fehlen.

Moorbauernprogramm verspätet sich

Aus dem Landwirtschaftsministerium in München ist zu erfahren, dass Landwirte, die ackerbaulich genutzte Moorböden für immer in extensiv genutztes Grünland umwandeln, fünf Jahre lang 3.300 Euro pro Hektar bekommen sollen. Der fachliche Hintergrund: Man weiß, dass ein entwässertes Moor, auf dem Ackerbau betrieben wird, deutlich mehr CO2 freisetzt als eine naturnahe entwässerte Wiese. Das hat aber erst mal noch nichts mit Wiedervernässung zu tun. "Was nächstes Jahr sonst noch kommt, müssen wir schauen", sagt dazu Gerhard Brandmeier vom bayerischen Landwirtschaftsministerium.

Stillstand im Bayerischen Donaumoos

Die Bayerische Staatsregierung stellt in den nächsten zehn Jahren extra 200 Millionen Euro allein für das Bayerische Donaumoos bereit. Trotzdem passiert in Sachen Klimaschutz so gut wie nichts auf den Moorflächen zwischen Ingolstadt, Neuburg an der Donau und Pöttmes.

Pioniergeist im Schwäbischen Donaumoos

Im Schwäbischen Donaumoos zwischen Leipheim und Gundelfingen tut sich dagegen einiges. Die Arge Donaumoos, ein Landschaftspflegeverband, und einzelne Landwirte trotzen dem Stillstand im politischen Moorschutz, sie sind quasi die Moor-Pioniere des 21. Jahrhunderts.

Auf wieder vernässten Versuchsflächen weiden Wasserbüffel, Landwirte bauen Sumpfgräser an. Landwirtschaft im nassen Moor, das ist etwas noch nie Dagewesenes. Und zugleich die Zukunft. Denn wir brauchen sie für den Klimaschutz. Doch die sogenannte Paludikultur – wörtlich übersetzt die Landwirtschaft im Sumpf – läuft natürlich nicht von heute auf morgen wie am Schnürchen.

Nass ist alles anders

Auf der Versuchsfläche bei Günzburg wachsen seit drei Jahren auf einem Feld Rohrglanzgras und daneben Seggen. Das Rohrglanzgras wird gesät und bis zu zwei Meter hoch und sieht ungefähr so aus wie Schilf. Die Seggen sind gepflanzt worden: Gräser mit schneidenden Blättern, die oft in Horsten wachsen, sie werden nicht ganz hoch wie das Rohrglanzgras. Wenn künftig mehr Landwirte diese Sumpfgräser anbauen, brauchen sie Saatgut und Jungpflanzen. Das gibt es bisher noch kaum zu kaufen.

Die nächste Herausforderung: Die Unkrautbekämpfung muss künftig besser funktionieren. Jetzt sind die Paludi-Schläge fast unkrautfrei und man findet nur sehr vereinzelt einen Wiesenknopf oder eine Melde in den Beständen, doch im ersten Jahr war es ein Kampf, so Anja Schumann von der Arge Donaumoos. In den Seggenbeständen haben Freiwillige geholfen, das Unkraut zu rupfen. Das Rohrglanzgras musste mehrmals gesät werden. Erst nach dem dritten Mal hat sich ein dichter Bestand entwickelt.

Nahaufnahme im Moor (Symbolbild)
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Nahaufnahme im Moor (Symbolbild)

In Arbeit: Gebrauchsanleitung für Paludikultur

Der Wasserstand auf den wieder vernässten Flächen kann gesteuert werden. Das Optimum für den Klimaschutz wäre ein Wasserstand eine Handbreit unter der Bodenoberfläche. Zur Ernte wird er ein paar Tage im Voraus abgesenkt, damit die Maschinen überhaupt aufs Feld können. Doch heuer war es auch auf den wieder vernässten Flächen trocken und der Wasserstand hat das Klimaschutz-Optimum nicht erreicht.

Die Ernte ist damit verhältnismäßig einfach gewesen, die Landwirte konnten zum Teil mit normalen Traktoren aufs Feld. Annika Woortman von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft: "Aber das ist nicht Norm und davon sollte man nicht ausgehen. Also in nassen Jahren ist das wirklich sehr schwierig." Unter Umständen braucht man dann ein Raupenfahrzeug oder andere Spezialtechnik. Die noch ungelösten Fragen zur Landwirtschaft auf wieder vernässten Böden will die Landesanstalt klären und in den nächsten Jahren eine Gebrauchsanleitung für die Paludikultur herausgeben.

Paludikultur: Ein Minusgeschäft für die Bauern – wenn der Klimaschutz nicht bezahlt wird

Weidehaltung oder der Anbau von extensiven Futtergräsern und nachwachsenden Rohstoffen: Auf wieder vernässten Flächen haben die Bauern viele Möglichkeiten, die alle eine Gemeinsamkeit haben: Sie rechnen sich nicht. Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Ertrag. Die Bilanz sieht jedoch ganz anders aus, wenn man die Klimaschutzleistung miteinkalkuliert.

Anja Schumann, Agraringenieurin bei der Arge Donaumoos hat folgende Posten angesetzt: Durch die Wiedervernässung wird der CO2-Ausstoß um 10 bis 30 Tonnen pro Hektar und Jahr reduziert. Das Umweltbundesamt setzt die Kosten, die der Gesellschaft durch eine Tonne CO2- Ausstoß entstehen, auf gut 180 Euro an. "Und das haben wir jetzt ein bisschen umgerechnet, eigentlich müsste der Landwirt nur für das Wasserstandsanheben 2.000 Euro bekommen pro Hektar."

Landwirt Jochen Krauß: Offen für nasse Böden

Landwirt Jochen Krauß aus Günzburg-Riedhausen ist der Eigentümer der Versuchs-Flächen. Er hat sich bereit erklärt, sie wieder vernässen zu lassen. Der Nebenerwerbslandwirt, der Alpakas und Pferde hält, pflichtet Anja Schuman bei. 2.000 Euro pro Hektar und Jahr hält er für einen angemessenen Preis für die Wiedervernässung. Dabei sei es entscheidend, dass das Geld mindestens zehn Jahre lang bezahlt werde.

Warum er einen Teil seiner Flächen wieder vernässen lassen hat? Er wollte wissen, was passiert, wenn das Moor wieder vernässt wird und welche Folgen es für den Landwirt hat. "Mir stinkt das, wenn man sagt, man täte und man sollte und man könnte." Wer es nicht ausprobiere, sei hinterher vielleicht zu spät dran.

Biogas und Verbrennen sind nur Notlösungen

Auf den Weg bringen müssen die Paludi-Pioniere nicht nur die Anbauverfahren, sondern auch die Verwertungsmöglichkeiten. Direktvermarktung und einfach mal im kleinen Stil anfangen, das funktioniert vielleicht bei Wasserbüffeln, wo man Grillwurst und Gulasch verkaufen kann. Bei Rohrglanzgras und Seggen geht das auf keinen Fall. Der Ertrag kann bei bis zu zehn Tonnen Trockensubstanz pro Hektar liegen.

In Malchin in Mecklenburg-Vorpommern beheizt man mit dem Aufwuchs von wieder vernässten Mooren zwei Schulen und fast 500 Wohnungen. Untersuchungen zufolge kann man in Biogas bis zu 20 Prozent des Maissubstrats durch Paludipflanzen ersetzen, ohne dass die Energieausbeute zurückgeht. Doch die energetische Verwertung ist für die Arge Donaumoos nur eine Notlösung.

Terrassenbeläge und Möbelbaustoff

Aus den Paludi-Kulturen sollen später mal verschiedene Produkte entstehen, damit die Landwirte nicht von einem Abnehmer abhängig sind. Die Arge Donaumoos hat deswegen zum Beispiel schon Dämmplatten, Innenwand-Module, Terrassenbeläge und Möbel aus Rohrglanzgras und Seggen produzieren lassen. Das Problem dabei, so Anja Schumann: Die Verarbeitungsfirmen befinden sich zum Beispiel in Holland und Tschechien. "Also wir müssen versuchen, diese verarbeitenden Techniken zu uns nach Deutschland zu bekommen."

Die Paludikultur als Motor für die regionale Wirtschaftsentwicklung? Das klingt vielversprechend. Doch die Versuchsflächen sind zwar zu groß für den Labormaßstab, andererseits jedoch zu klein für die industrielle Verwertung. Deswegen will die Arge die Versuchsflächen so stark ausweiten, dass man dazu eine ordentlich große Verarbeitungslinie braucht. "Da sind wir gerade sehr am Forschen", sagt Anja Schumann. Immerhin signalisiere die Bauindustrie ein großes Interesse an Paludi-Baustoffen.

Moorschutz braucht Kümmerer und Rückenwind aus den Behörden

Vielleicht sollte man nicht nur Studierende der Agrarwissenschaften mit Bachelor- und Masterarbeitsthemen ins Moor holen, sondern auch Kommunikationswissenschaftlerinnen und Grafikdesigner – die rausfinden, welche Informationsmaßnahmen und Kampagnen den Moorschutz voranbringen.

Vielleicht braucht es auch strukturelle Veränderungen in den Behörden. Den Eindruck hat Anja Schumann, Agraringenieurin bei der Arge Donaumoos. Politik, Landschaftspflegeverbände und Landwirte hätten die Zeichen der Zeit erkannt. "Und wer dazwischen ist, ist der große Verwaltungswasserkopf, der einfach zu eingefahren ist." Für Stefan Köhler vom Bayerischen Bauernverband ist entscheidend, dass die Landwirte eine Moor-Ansprechperson in der Region haben, zu der sie Vertrauen aufbauen können. "Man bräuchte n´Kümmerer vor Ort, der auch die regionalen Besonderheiten kennt." Und natürlich so viel Geld, dass es sich für die Landwirte rentiert, Klimawirte zu werden.

Das bestreitet keine der beteiligten Seiten und es ist auch allen klar, dass die bisherigen Moorschutz-Maßnahmen nicht attraktiv waren. Daher herrscht Stillstand beim Moorschutz.

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