In vielen Lokalzeitungen erschienen in den vergangenen Wochen Stellenanzeigen von angeblich ungeimpften Krankenschwestern und Pflegern.
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In vielen Lokalzeitungen erschienen in den vergangenen Wochen Stellenanzeigen von angeblich ungeimpften Krankenschwestern und Pflegern.

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Inserate von Ungeimpften: Eine Lücke im System?

In vielen Zeitungen sind Jobanzeigen von angeblich ungeimpften Pflegekräften erschienen. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich um abgesprochene Aktionen handelt. Doch Inserate abzulehnen, ist für Verlage nicht einfach. Eine #Faktenfuchs-Recherche.

"Krankenschwester ungeimpft, mit Intensivmedizinischer Erfahrung sucht ab dem 16.3.22 neuen Wirkungskreis", steht da. Oder auch: "Pflegefachkraft, w. 29 J, sucht neue Arbeit, ohne 2G und in Teilzeit. Sehr gerne Gastro, Verkauf od Reinigung." So oder so ähnlich lauten die Anzeigen, die in den vergangenen Wochen in vielen deutschen Lokalzeitungen und Anzeigenblättern erschienen - auch in Bayern.

  • Dieser Artikel stammt aus 2022. Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier.

Da war etwa der "Fränkische Tag" (FT). Üblicherweise gingen bei der Anzeigenabteilung der Bamberger Lokalzeitung pro Woche etwa fünf bis sechs Stellengesuche ein, sagt die Leiterin des Redaktionsmanagements, Maresa Schlemmer. Vergangene Woche waren es plötzlich 54.

Doch anders als viele andere Lokalzeitungen war man in der Redaktion vorbereitet: Ein Leser hatte die Redaktion gewarnt. In einer Bamberger Telegramgruppe, in der sich Corona-skeptische "Spaziergänger" und Demonstranten organisieren, habe es einen Aufruf gegeben. Man wolle den "Fränkischen Tag" mit Anzeigen "fluten".

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Die Nachricht erscheint in einer Corona-kritischen Telegram-Gruppe.

Ab März gilt die einrichtungsbezogene Impfpflicht

Auch viele andere Printmedien im Freistaat wurden in den letzten Tagen und Wochen mit Stellenanzeigen von Ungeimpften "geflutet". 22 Anzeigen von angeblich ungeimpften Hebammen, Physiotherapeuten und Intensivkrankenschwestern erschienen am 22. Januar im Ingolstädter "Donaukurier". 14 waren es allein im "Neumarkter Wochenblatt" vom 19. Januar.

Was auffällt: Viele der Anzeigen ähneln sich im Wortlaut. Oft ist etwa von einem neuen "Wirkungskreis" die Rede, in dem die Jobsuchenden tätig werden wollen. Und fast alle Inserenten suchen zum selben Datum: dem 15. oder 16. März.

Viele Redaktionen vermuteten deshalb schon früh, dass die Anzeigen Teil einer politischen Kampagne sein könnten - denn Mitte März tritt die im Dezember beschlossene "einrichtungsbezogene Impfpflicht" in Kraft. Damit müssen sich unter anderem Krankenschwestern, Pflegekräfte und Ärzte, aber auch Physiotherapeuten, Hebammen und Reinigungskräfte in Kliniken, Alten- und Pflegeheimen gegen Corona impfen lassen.

Viele Nummern sind unvollständig oder nicht vergeben

Im sächsischen Bautzen zumindest erhärtete sich dieser Verdacht. Ein Redakteur des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) begann damit, 126 Anzeigen abzutelefonieren, die zuvor im Oberlausitzer Kurier erschienen waren, einem kostenlosen Anzeigenblatt, das in Ostsachsen erscheint. In einem Twitter-Thread schilderte er, was er erlebte: In vielen Fällen nahm niemand ab, die Nummern waren unvollständig oder nicht vergeben. Andere waren offensichtlich ausgedacht, wie die, die 0160-1234567890 lautete.

Ein anderer Twitter-User recherchierte einigen der Telefonnummern in den Inseraten auf dem Messenger-Dienst Telegram hinterher. Mit interessanten Ergebnissen: In mehreren Fällen stellte er fest, dass sich die Angaben im Telegram-Profil sehr von denen in den Stellenanzeigen unterschieden. Eine "Schwester Olivia" entpuppte sich als Fake-Account, der in der Vergangenheit maßnahmenkritische Inhalte teilte. Auf einem der Profilbilder ist keine Krankenschwester, sondern ein tätowierter Rammstein-Fan zu sehen.

Zahlreiche Hinweise auf Absprachen

Und nicht nur beim "Fränkischen Tag" - auch andernorts gingen den Masseninseraten Aufrufe in Telegram-Gruppen voraus. So schildert etwa die "Augsburger Allgemeine" in einem Artikel vom 25. Januar, dass auch bei ihrer Anzeigenabteilung Mitte Dezember plötzlich "30 bis 40" Stellenanzeigen von vermeintlich Ungeimpften eingegangen waren.

Zuvor hatte es in einer lokalen Telegram-Gruppe geheißen: "Jemand hatte gerade eine gute Idee für eine Protestaktion." Und ein paar Sätze weiter: "Heute oder morgen macht jeder von uns eine kleine Anzeige fertig für den Stellenmarkt in der Augsburger Zeitung am Samstag." Formulierungshilfen lieferte der Schreiber, ähnlich wie in anderen Städten, gleich mit. "T-Online" berichtete außerdem über eine Nachricht in einer bundesweiten Telegram-Gruppe für Pflegekräfte. Am 21. Januar suchte ein Mitglied dort Mitstreiter für eine Aktion in der "Heilbronner Stimme": "Es wäre schön, wenn wir mit vielen Anzeigen ein Zeichen setzen könnten."

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Telegram-Nachrichten deuten daraufhin, dass auch in Augsburg und Heilbronn koordiniert Anzeigen geschaltet wurden.

Aber: Neben den vielen falschen Anzeigen gibt es auch welche von echten ungeimpften Pflegern, die nun auf Jobsuche sind. Für sie verbinden sich mit der Anzeigenaktion womöglich zwei Interessen: eine echte Notlage mit dem Wunsch, ein politisches Zeichen zu setzen.

Der RBB-Redakteur teilte wenige Tage nach dem Erscheinen seiner ersten Recherchen mit, er habe inzwischen auch Nachrichten "von erbosten, enttäuschten, vorwurfsvollen Pflegekräften bekommen, die sich von mir zu unrecht in 'eine rechte Ecke gestellt' fühlen." Die Leute schrieben, sie hätten "reale Ängste" und hätten "aus Selbstschutz Anzeigen mit Zahlendrehern aufgegeben". Wie genau sie mit falschen Kontaktangaben einen neuen Job finden wollten, geht aus dem Tweet nicht hervor.

Nur in wenigen Fällen gibt es eine Telefonnummer

Ähnlich unübersichtlich stellt sich die Situation in Bayern dar. Die ganz überwiegende Mehrheit der Anzeigen, die in den vergangenen Tagen und Wochen im "Fränkischen Tag", im "Donaukurier", im "Traunsteiner Tagblatt", im "Nordbayerischen Kurier", der "Passauer Neuen Presse", der "Landshuter Zeitung" oder etwa der "Mittelbayerischen Zeitung" erschienen, lief über ein Chiffre. Der Verlag leitet Zuschriften von Interessenten dann an die Urheber weiter. Direkt kontaktieren und überprüfen lassen sich die Inserate also in vielen Fällen nicht.

Nur bei insgesamt acht von mehr als 80 Anzeigen, die der BR24 #Faktenfuchs gesichtet hat, findet sich überhaupt eine Telefonnummer. Ruft man die an, ergeht es einem ähnlich wie dem RBB-Redakteur: Eine der Nummern ist nicht vergeben, bei vier geht niemand ran. Immerhin: Insgesamt drei Mal nimmt jemand ab.

Die erste Nummer, ein Festnetzanschluss, führt nach Beilngries im Landkreis Eichstätt und steht unter dem Gesuch einer "Krankenschwester ungeimpft, mit intensivmedizinischer Erfahrung". Auch sie sucht ab dem 16.3.22 einen "neuen Wirkungskreis". Ein Mann hebt ab, das Inserat habe seine Frau aufgegeben. Ob sie zu sprechen sei? Leider nicht, Spätschicht. Er könne aber so viel sagen: Sie arbeite im Krankenhaus in Ingolstadt und wolle sich nicht impfen lassen. Ob man das überprüfen dürfe? Weitere Informationen will der Mann nicht herausgeben, auch einen Rückruf seiner Frau lehnt er ab.

Das zweite Telefonat ist ergiebiger, am Telefon meldet sich eine Hebamme aus Ingolstadt. Dass sie das wirklich ist, lässt sich anhand der Telefonnummer und ihrem Namen schnell verifizieren. Sie betreibt eine Webseite, im Gästebuch finden sich begeisterte Rückmeldungen von glücklichen Paaren. Vier Kinder habe sie, erzählt die Frau, die hier anonym bleiben will. Die ganze Familie sei genesen, impfen lassen wolle sie sich nicht. Dass sie ab März nun nicht mehr in ihrem "Traumberuf" arbeiten kann, will ihr nicht in den Kopf. Zumal der Mangel an Hebammen so groß sei. "Ich lehne im Monat 15 bis 20 Frauen ab", erzählt sie. Wenn die Impfpflicht komme, werde sie erstmal Zuhause bleiben. Dringend auf Jobsuche sei sie eigentlich nicht. Ob hinter den Anzeigen also auch eine politische Botschaft stecke? Nein, sagt sie, sie sei nicht organisiert und noch nie auf einem Protest gewesen. Aber sie kenne viele der anderen, die inseriert hätten, man sei vernetzt, tausche sich aus. Dass die Anzeigen nun alle gleichzeitig im Blatt erschienen? Das war "eher Zufall".

Beim dritten Telefonat meldet sich eine Psychologin aus der Oberpfalz, die für einen sozialen Träger arbeitet. Sie sei bereits zweimal genesen und habe mehr Angst vor der Impfung als davor, sich als junger Mensch noch einmal anzustecken. Wegen der Impfpflicht, so erzählt sie es, könne sie jetzt nicht mehr in ihrem Bereich arbeiten, trotz kostspieliger freiwilliger Zusatzausbildungen: "Ich fühle mich hilflos", sagt sie. Vor allem, weil die Entscheidung jetzt so plötzlich gekommen sei. "Hätte ich das vor meiner Ausbildung gewusst, hätte ich gewusst, worauf ich mich einlasse." Als sie in der Zeitung Inserate von Ungeimpften sah, entschied sie, eine ähnliche Anzeige aufzugeben - in der Hoffnung, so vielleicht eine andere Stelle zu finden. Und ein bisschen auch, um ein Zeichen zu setzen, sagt sie.

“Prüfmaßstab” für die Verlage extrem gering

Auch viele der anderen Anzeigen scheinen zumindest von realen Personen mit aufgegeben worden zu sein, nicht von menschlichen "Bots", die reihenweise Fake-Anzeigen schalten. Nur darüber, ob die Personen auch wirklich ungeimpft sind und deshalb auf Jobsuche, sagt all das noch nicht viel aus. So sagt etwa Bernd Stawiarski, Geschäftsführer des "Oberbayerischen Volksblattes", die gehäuften Anzeigen seien im Verlag schnell aufgefallen:

"Daraufhin haben wir die Bankkonten geprüft, ob diese sich gleichen oder ob es Namensgleichheiten gibt. Das war nicht der Fall: Wir hatten überall unterschiedliche Bankkonten und unterschiedliche Inserenten." Bernd Stawiarski, Geschäftsführer des Oberbayerischen Volksblattes

Auch beim "Nordbayerischen Kurier" seien die ähnlich klingenden Anzeigen aufgefallen, sagt Stefan Sailer, Geschäftsführer des HCS Medienwerk, das die Anzeigen des Blatts vermarktet. "Für jede einzelne Anzeige gab es eine eigene Buchung: Alles unterschiedliche Namen aus der Region oder Stadt Bayreuth und Umgebung." Man habe also "keinen Grund zu der Annahme gehabt", dass es sich um Fake-Anzeigen handele.

Und erst in diesem Fall ergebe sich für die Medienhäuser womöglich eine Pflicht, die Inserate abzulehnen, sagt Jens Fusbahn, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht. Denn Anzeigen müssten "den üblichen Pressestandards" entsprechen, sie dürfen also keine falschen Tatsachenbehauptungen verbreiten. Doch in der Realität sei eine Überprüfung des Inhaltes für die Verlage kaum zu leisten - "sodass der Prüfungsmaßstab an der Stelle extrem gering ist".

Eine Lücke im System genutzt

Natürlich könnten Verlage Anzeigen grundsätzlich auch ablehnen, sagt Fusbahn. Dafür bräuchte es aber einen guten Grund:

"Wenn da jetzt ein Aufruf zu etwas Illegalem besteht, dann muss und wird die Presse das ablehnen. Aber ansonsten wird sie das nicht ablehnen, weil sie natürlich auch die Aufgabe hat, solche Inserate zur Verfügung zu stellen. Schließlich fallen auch Anzeigen unter die grundgesetzlich geschützte Pressefreiheit." Jens Fusbahn, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

Entsprechend entschied sich etwa der "Fränkische Tag", den Großteil der Anzeigen abzudrucken - mit zwei Ausnahmen. Hier hätten sich die Verfasser allzu "unflätig" ausgedrückt, sagt Redaktionsmanagerin Maresa Schlemmer, es war wohl die Rede von einem Arbeitgeber, "der alle Tassen im Schrank hat". Die restlichen Anzeigen habe man abgedruckt, weil es keinen Grund gegeben habe, es nicht zu tun. "Weil es für uns nicht nachvollziehbar war, ob die wirklich einen Job suchen."

Die Zeitung versuchte, dem Phänomen zumindest journalistisch beizukommen. Zwei Tage nach der Anzeigenflut erschien ein Artikel, der von dem Telegram-Aufruf berichtet und in dem ein Experte die Anzeigen als "abgestimmte Aktion" und "Form der politischen Kommunikation" interpretiert. Doch "unwiderlegbare Beweise" für einen Zusammenhang zwischen dem Telegram-Aufruf und der ungewöhnlichen Häufung der Inserate konnte auch der FT nicht erbringen.

Haben sich die Verlage instrumentalisieren lassen?

Die Verlage, so scheint es, geraten durch die Massenanzeigen in eine Zwickmühle. Natürlich muss kein Verlag eine Anzeige abdrucken. Doch eine Anzeige abzulehnen, nur weil jemand ungeimpft ist oder damit womöglich eine politische Agenda verfolgt, das gehe eben auch nicht so einfach, sagt der Kommunikationswissenschaftler Ralf Hohlfeld, der an der Universität Passau lehrt.

Hohlfeld glaubt, dass die Corona-Kritiker hier eine Lücke im System gefunden hätten. Es sei eben so, "dass Nachrichtenmedien, die auf den Verkauf von Anzeigen angewiesen sind, hier eine gewisse Schwäche haben." Er plädiert deshalb dafür, den Einzelfall anzuschauen, nachzurecherchieren und zumindest die offensichtlich falschen Anzeigen abzulehnen. Und zugleich mit journalistischen Recherchen über die politische Intention hinter der Anzeigenflut aufzuklären.

Es ist ein Weg, den zumindest eine der betroffenen Zeitungen konsequent gegangen ist: Der Werbemarkt der "Augsburger Allgemeinen" telefonierte den rund 40 Inserenten hinterher. Und lehnte schließlich etwa 90 Prozent ab.

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