Gab es in Bayern unterschiedlich viel Unterricht - je nach Schulart?
Bildrechte: picture alliance

Gab es in Bayern unterschiedlich viel Unterricht - je nach Schulart?

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Haben Gymnasiasten mehr Unterricht bekommen als andere Schüler?

Manche Schulkinder sind in den vergangenen Wochen schon nach wenigen Stunden wieder heimgekommen, andere hatten fast ihren normalen Stundenplan. Woher die Unterschiede kommen. Ein #Faktenfuchs.

Nach den Pfingstferien sind alle Schülerinnen und Schüler in Bayern zumindest manchmal wieder in die Schule gegangen. Weil wegen der Abstandsregeln nie alle gleichzeitig in einem Klassenzimmer sitzen konnten, war der Unterricht abwechselnd digital und vor Ort organisiert. Für wie viele Stunden am Tag, das war sehr unterschiedlich. Auf Twitter schreibt eine Nutzerin zum Beispiel:

"Warum wurden in Bayern in den letzten Wochen alle Realschüler und Mittelschüler nur in den 4 Hauptfächern 3 bis 4 Stunden pro Tag unterrichtet, während die Gymnasiasten Unterricht in allen Fächern in regulärer Stundenanzahl erhielten?" Twitter-Nutzerin

Stimmt das so?

Eine genaue Erhebung darüber, wie viele Stunden wie stattfanden, gibt es so nicht. In einer Antwort auf eine Anfrage des Bayerischen Rundfunks schreibt das Kultusministerium, dass es auch Gymnasien gegeben habe, die ihre Stundentafel reduzieren mussten, während es vom Realschullehrerverband (brlv) heißt, dass es an manchen Schulen auch mehr Unterricht pro Tag gegeben habe. Die Beobachtung der Twitter-Nutzerin trifft so also nicht per se auf jede Schule zu. Trotzdem gab es auch auf Basis offizieller Rahmenvorgaben Unterschiede zwischen den Schularten.

Was sagt das Kultusministerium?

Das Kultusministerium hat auf Anfrage schriftlich mitgeteilt, dass wegen der Abstandsregeln Einschränkungen bei der Stundentafel nicht zu vermeiden gewesen seien:

"Es gab hierzu nach Schularten differenzierte Rahmenvorgaben, die mit Blick auf die konkrete räumliche, schülerbeförderungsbezogene bzw. personelle Situation vor Ort von der jeweiligen Schule eigenverantwortlich umzusetzen waren. Vorrang war – insbesondere in den Abschlussklassen – den Prüfungsfächern und Kernfächern einzuräumen. Sportunterricht konnte mit Blick auf den Infektionsschutz zunächst nicht durchgeführt werden." Bayerisches Kultusministerium

Wie genau die Schulen ihren Unterricht organisierten, war ihnen zu einem Großteil selbst überlassen.

Ressourcen und unterschiedliche Schulmodelle wirken sich aus

Bei der Organisation spielten viele Faktoren eine Rolle: Wie groß sind die Klassenzimmer, wie viele Räume gibt es? Wie viele Lehrkräfte gehören nicht zur Risikogruppe und können Präsenzunterricht übernehmen?

"Die Bedingungen der einzelnen Schulen vor Ort bedingen andere Organisationsmodelle, und deswegen ist es so, dass die eine Schule so aufgestellt ist und die andere anders", sagt Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). "Die Schularten sind ja jeweils unterschiedlich aufgestellt." In den Grund-, Mittel- und Förderschulen habe ein Lehrer eine Klasse, also im Schwerpunkt den Klassleiterunterricht, und Fachunterricht. Am Gymnasium und an der Realschule gebe es den Fachlehrerunterricht, das heißt, jedes Kind hat für jedes Fach einen anderen Lehrer.

Auch das Kultusministerium weist darauf hin, dass es sich an einer Mittelschule mit Klassleiterprinzip ganz anders auswirkt, wenn eine Lehrkraft ausfällt, als wenn nicht alle Lehrerinnen und Lehrer am Gymnasium Präsenzunterricht geben können.

Abi und andere Abschlüsse sind ein Faktor

Außerdem führt das Ministerium noch andere Punkte auf, weshalb sich die Kapazitäten unterscheiden können. Die Abiturienten verließen die Schulen früher als die Abschlussklassen an Mittel- und Realschulen. An den Realschulen fand außerdem noch der einwöchige Probeunterricht statt und an Mittelschulen schreiben jährlich gleich zwei Jahrgangsstufen den Abschluss: die 9. Klasse den Quali, die 10. Klasse im sogenannten M-Zweig die Mittlere Reife.

Wegen all dieser Punkte konnte es sich also sehr stark unterscheiden, wie genau die einzelnen Schulen sich für den Unterricht vor den Sommerferien aufstellten.

Wie sehen "nach Schulart differenzierte Rahmenvorgaben" aus?

Tatsächlich gab es bei diesen Vorgaben Unterschiede zwischen den einzelnen Schularten. An Mittelschulen sollten es mindestens 15 Wochenstunden sein, an der Realschule circa 18 Wochenstunden (für die Abschlussklassen galten andere Vorgaben) und für das Gymnasium war keine Stundenanzahl festgelegt. Stattdessen heißt es hier, dass die Schulen auf Dinge wie Wahlunterricht, Pluskurse oder Intensivierungsstunden verzichten sollen.

Für alle Schularten hieß es von Seiten des Ministeriums, dass der Fokus auf den Haupt- und Prüfungsfächern liegen solle und Stunden bei Engpässen bei Räumen und Lehrkräften auch gestrichen werden könnten.

Warum überhaupt unterschiedliche Stundenzahlen festgelegt wurden, begründet das Kultusministerium auf Anfrage damit, dass die Schularten "unterschiedliche schulorganisatorische und pädagogische Strukturen" hätten. Sowohl das Ministerium als auch Benedikt Karl vom Philologenverband und Jürgen Böhm vom Realschullehrerverband bestätigen, dass es bei diesen Regelungen Gespräche zwischen Ministerium und Verbänden gegeben habe.

Eine Nachfrage bei einzelnen Schulen zeigte, wie sich diese Unterschiede ausformten.

Das Gymnasium

Benedikt Karl ist Sprecher des Bayerischen Philologenverbands, der die Gymnasiallehrer vertritt. Seiner Kenntnis nach versuchten die Gymnasien weitestgehend, den normalen Stundenplan durchzuziehen. Karl selbst war im vergangenen Schuljahr Lehrer am Memminger Vöhlin-Gymnasium.

"Bei uns waren die Schüler im wöchentlichen Wechsel, Präsenz und Lernen, zu Hause. Und während der Zu-Hause-Phasen haben sie über Arbeitsaufträge, die sie in der Präsenzphase bekommen haben, oder auch online weitergearbeitet." Benedikt Karl, Sprecher des Bayerischen Philologenverbands

Natürlich habe in der Woche daheim auch Kontakt mit dem Lehrer aufgenommen werden können, aber es gebe keine täglichen, institutionalisierten Videokonferenzen, sagt Karl.

Die Mittelschule

Anders war das beispielsweise an der Münchner Mittelschule an der Simmernstraße. Dort überlegte man sich verschiedene Szenarien für verschiedene Klassenstufen. So habe die Schule individuell auf die Situation der Kinder und auf die Situation der Lehrkräfte eingehen wollen, sagt Konrektorin Birgit Dittmer-Glaubig vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband. In der 8. Klasse lief es ihr zufolge beispielsweise so: "Die Kollegin hat diese Kinder drei bis vier Stunden in den Kernfächern im Präsenzunterricht unterrichtet, also die Hälfte der Klasse, die A-Gruppe. Wenn die nach Hause gegangen sind, ist sie in die Videokonferenz mit den Schülern gegangen, die das Lernen daheim hatten, also die B-Gruppe. Das hat sich bewährt, sie hat also immer in der Präsenz versucht im Unterrichtsstoff weiterzukommen, die andere Gruppe hatte eben die Übungsphase, aber täglich die Begegnung mit der Klassenlehrerin."

Mit diesem Modell schöpften die Lehrerinnen und Lehrer der Mittelschule an der Simmernstraße ihre Stundenzahl aus, und mit den Hausaufgaben hatten die Jugendlichen auch nach dem Präsenzunterricht etwas zu tun.

Die Realschule

Ähnlich haben sich viele Realschulen organisiert, heißt es vom Realschullehrerverband. Anstatt auf die volle Stundenzahl im Präsenzunterricht zu setzen, wurden die Schülerinnen und Schüler etwa 18 Stunden pro Woche vor Ort unterrichtet und danach noch digital. Jürgen Böhm, Vorsitzender des Bayerischen Realschullehrerverbands, bezweifelt, dass an Gymnasien wirklich mehr stattgefunden hat, wenn man Präsenz- und digitalen Unterricht zusammenzählt. "Man kann nicht einfach Stunden aneinander addieren. Die Frage ist: 'Was tue ich in diesen Stunden?'" Er glaube, dass die Konzentration auf gewisse Fächer in der Realschule gut funktioniert habe.

Fazit

Es stimmt, dass es Unterschiede zwischen den Schulen gab, was die Anzahl der Stunden angeht, die im Präsenzunterricht, digital bzw. per Lernen daheim stattgefunden haben. Das liegt daran, dass die einzelnen Schulen recht viele Freiheiten erhalten haben, wie sie sich genau organisieren. Unterschiede gibt es zum einen bei den vorhandenen Kapazitäten hinsichtlich der Lehrkräfte und Räumlichkeiten und den sehr unterschiedlich verteilten Ressourcen. Zum anderen hat es mit unterschiedlichen pädagogischen Überlegungen – zwischen den einzelnen Schulen und auch zwischen den Schularten – zu tun. Letztlich war es Aufgabe der einzelnen Schulen, sich zu überlegen, was das sinnvollste Angebot für ihre Schülerinnen und Schüler ist.

"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!