Der Bayerischer Wald ist als Nationalpark vor Rodungen geschützt.
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Unberührter Forst - wie hier im Nationalpark Bayerischen Wald - ist in Europa immer seltener zu finden. Rodungen nehmen in vielen Ländern zu.

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Gefährden schwindende Waldflächen Europas Klimaziele?

In der EU sind mehr als ein Drittel der Landfläche von Bäumen bewachsen. Doch einer aktuellen Studie zufolge sind die Waldflächen in einigen europäischen Ländern stark geschrumpft. Gefährdet dieser Verlust die europäischen Klimaziele?

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Es ist ein ehrgeiziger Plan, das EU-Klimaschutzprogramm, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende 2019 vorstellte. Und ob der Plan aufgeht, steht noch in den Sternen der Europaflagge - die bekanntlich die Solidarität der Völker Europas symbolisieren. Denn Bedingungen für das Gelingen des „Green Deal“ ist die tatkräftige Unterstützung durch alle 27 EU-Mitgliedstaaten.

Was will der „Green Deal“?

Gemäß des europäischen Klimaschutzprogramms „Green Deals“ soll Europa bis zum Jahr 2050 eigentlich der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden. Nötig dafür ist dabei nicht nur die Abkehr von Kohle, Öl und Gas und der Umbau von Wirtschaft und Verkehr. Insbesondere die nachhaltige Bewirtschaftung des Waldes sei ein Schlüsselfaktor für mehr Klimaschutz, so die EU-Kommission. Unerlässlich dafür sei es, die Biodiversität zu wahren und Wälder massiv aufzuforsten.

Studie zu Holzeinschlag in der EU

Zweifel am Gelingen des „Green Deals“ lässt eine Studie der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission aufkommen, die heute (01.07.2020) im Fachmagazin Nature veröffentlicht wurde. Das Team um Studienleiter und Fernerkundungs-Spezialist Guido Ceccherini entdeckte bei der Auswertung detaillierter Satellitenaufnahmen aus 700 km Höhe, dass zunehmend mehr Waldflächen in der EU gefällt werden. Demnach lag der Holzeinschlag zwischen 2016 und 2018 um 49 Prozent höher als im Zeitraum 2011 bis 2015.

CO2-Kompensation durch Wälder in Gefahr

Die Bemühungen um Aufforstung werden nach den Erkenntnissen der Forscher um Guido Ceccherini demnach von einigen europäische Ländern eher durchkreuzt.

"Wenn die Waldernte in einem solchen Umfang weiter anhält, könnte die EU-Vision einer waldbasierten Klimaschutzminderung nach 2020 beeinträchtigt werden." Guido Ceccherini, Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission

Hielte der festgestellte Trend an, könnten die Wälder also weniger CO2-Emissionen kompensieren. Dann müssten in anderen Bereichen CO2-Einsparungen erfolgen, um bis 2050 die zugesagte Klimaneutralität der EU zu erreichen, mahnen die Forscher.

Genaue Satellitenbilder

Nach Angaben der Wissenschaftler nähmen Bäume derzeit etwa 10 Prozent des in der EU ausgestoßenen Kohlendioxids (CO2) auf. 38 Prozent der Landfläche in der EU sind mit Wald bedeckt. Die Veränderungen der Wälder untersuchten die Forscher in 26 EU-Staaten (ohne Malta und Zypern, aber mit Großbritannien) in den Jahren 2004 bis 2018 auf der Basis von Satellitenbildern. Die grundlegende digitale Karte hatte eine Auflösung von 30 Metern, sodass auch kleinere Rodungsflächen gut erkennbar waren.

Mögliche Gründe für Waldschwund

Als Erklärmuster für den massiven Holzeinschlag formulieren die Forscher drei Hypothesen: Ersten sei der Bestand der europäischen Wälder Alterung unterworfen, was die Fällung einer größeren Anzahl von "reifen" Bäumen notwendig mache. Dieser Grund könne aber höchstens 10 Prozent des beobachteten Anstiegs erklären. Zweitens könnten Waldbrände oder Sturmschäden zu Holzverlusten führen, das sei aber schon von vornherein von den Wissenschaftlern herausgerechnet worden. Damit bliebe nur die weltweit gestiegene Nachfrage nach Holz übrig – dies würde durch Zahlen der UN sowie der EU bestätigt.

Mehr Holzeinschlag in Ländern mit intensiver Forstwirtschaft

Entsprechend fände sich ein besonders großer Anstieg der Abholzungsfläche in jenen Ländern, in denen intensive Forstwirtschaft betrieben wird, um die Papierindustrie oder etwa Biomassekraftwerke zu versorgen, sagen die Forscher. So machen Rodungen in Schweden und Finnland mehr als 50 Prozent des Anstiegs aus. Auf Polen, Spanien, Frankreich, Lettland, Portugal und Estland entfielen zusammen rund 30 Prozent.

Gegenbeispiel Deutschland

Gegen den Trend kann sich in der Studie Deutschland positionieren: Hier haben die Waldflächen zwischen 2016 bis 2018 im Vergleich zum Zeitraum 2004 bis 2015 sogar um 7 Prozent zugenommen. Nur Belgien (18 Prozent) und die Niederlande (9 Prozent) hatten höhere Zuwachsraten.

Kritische Einordnung der Studienergebnisse

Die Nature-Studie der Wissenschaftler um Guido Ceccherini wird von Experten aus dem Bereich der Forstwirtschaft zum Teil mit Erstaunen aufgenommen - und auch durchaus kritisch gesehen. Die Ergebnisse aufgrund von Satellitenaufnahmen seien zwar mit Unsicherheiten behaftet, böten aber eine unersetzliche einheitliche Datengrundlage, sagt Marcus Lindner, Leitender Wissenschaftler im Forschungsbereich Resilienz, European Forest Institute (EFI), Bonn. Allerdings:

„Die aufgezeigte Zunahme von Holznutzungen in europäischen Wäldern erscheint sehr drastisch, die Zahlen sind in der Tat überraschend und werfen Fragen auf.“ Marcus Lindner, Leitender Wissenschaftler im Forschungsbereich Resilienz, European Forest Institute, Bonn

Überprüfung notwendig

Die stärksten Veränderungen seien im Westen der Iberischen Halbinsel, in den Baltischen Ländern sowie besonders ausgeprägt in Schweden und Finnland ausgewiesen. Insbesondere die massive Zunahme der berechneten Holzeinschläge in Nord-Europa sei dabei überraschend, da nationale Statistiken deutlich geringere Zuwächse aufwiesen. Hier seien detaillierte Vergleiche notwendig, um die gefundenen Trends zu überprüfen.

„In der Summe ist zu erwarten, dass sich die Waldflächenanteile in Europa weiter erhöhen. Die Frage ist eher, wie viel Holz und Kohlenstoffvorrat unsere Wälder zukünftig im Mittel speichern können.“ Marcus Lindner, Leitender Wissenschaftler im Forschungsbereich Resilienz, European Forest Institute, Bonn

Fragen bleiben offen

Auch Jürgen Bauhus, Professor für Waldbau und Sprecher des Instituts für Forstwissenschaften der Universität Freiburg, ist der Meinung, dass die Dokumentation zur Anwendung und Qualitätsprüfung der Methode in der Natura-Studie noch viele Fragen offen lasse.

Die Studie zeige, so Bauhus, dass die Klimaschutzleistung der europäischen Wälder keine konstante Größe sei, sondern in hohem Maße von den Auswirkungen des Klimawandels abhängig. Wälder und ihre Nutzung müssten dringend resilienter und anpassungsfähiger gestalten werden, damit sie auch in Zukunft die gewünschten Klimaschutzleistungen erbringen könnten.