Seniorin wird gegen Covid-19 geimpft.
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Wie wirksam sind die Impfstoffe gegen Corona?

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#Faktenfuchs – Wie wirksam sind die Corona-Impfstoffe?

Bis zu 94,5 Prozent wirksam sollen Corona-Impfstoffe von drei Unternehmen sein. Das wurde in den vergangenen Wochen veröffentlicht. Erkranken also neun von zehn Geimpften nicht an Corona? Leider nein. Ein #Faktenfuchs.

Es war die Sensationsmeldung im November: Es gibt einen Corona-Impfstoff! Drei Impfstoffentwickler präsentierten entsprechende Ergebnisse. Danach sei der mRNA-Impfstoff von Biontech und Pfizer zu über 90 Prozent wirksam, der der Firma Moderna sogar zu 94,5 Prozent und der Vektorimpfstoff von AstraZeneca auch zu rund 90 Prozent.

Auch wir von BR24 berichteten darüber – doch Statistik-Experten des Projekts "Unstatistik" des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung sagen: Daraus dürfe man nicht schließen, dass automatisch neun von zehn Geimpften gegen das Virus geschützt seien. Ein #Faktenfuchs über die Feinheiten der Medizinstatistik.

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Wirksamkeit ist nicht gleich Wirksamkeit

Beim Blick auf die Pressemitteilungen und die Studienergebnisse der verschiedenen Impfstoffentwickler fällt schnell das Wort "Wirksamkeit" oder "wirksam" auf. Biontech und Pfizer zum Beispiel formulieren das in ihrer deutschsprachigen Pressemitteilung so: "Der Impfstoffkandidat erwies sich in der ersten Zwischenanalyse als mehr als 90 Prozent wirksam im Schutz vor Covid-19-Erkrankung in Probanden ohne nachweisliche vorangegangene SARS-CoV-2-Infektion."

Das erweckt den Eindruck, als wären neun von zehn geimpften Menschen sicher vor einer Ansteckung. Doch das kann die Studie so nicht belegen, und das will sie auch gar nicht. Die Feinheit steckt in einem Detail, sagt Katharina Schüller vom Unstatistik-Team. Nämlich der Frage: Welche Zahlen werden miteinander verglichen?

Konkret im Falle von Biontech und Pfizer bedeutet das:

Es nahmen 43.548 Freiwillige an der klinischen Studie teil. Dabei bekam etwa die Hälfte den Impfstoff, die andere Hälfte ein Placebo, also ein Mittel ohne Wirkstoff. Die Studie war "doppelblind", das heißt, weder Teilnehmende noch die Mitarbeitenden der Studie wussten, wer das Placebo und wer den Impfstoff bekommen hat.

Alle Freiwilligen bekamen jeweils zwei Dosen. Die zweite Dosis wurde nach drei Wochen verabreicht. Dann hieß es: Warten, ob sich Teilnehmende infizieren - so lange, bis 164 Personen aus dieser Studie positiv getestet wurden; das war die Zielmarke, die der Hersteller vor Beginn der Studie im sogenannten "Studienprotokoll" festgelegt hatte . Das ist üblich und soll garantieren, dass im Nachhinein nicht Daten geschönt werden.

Als 170 Fälle festgestellt worden waren, publizierten Biontech und Pfizer die ersten Ergebnisse ihrer Studie.

Relative Wirksamkeit versus absolute Wirksamkeit

Von diesen 170 positiv Getesteten stammen 162 aus der Placebo-Gruppe, hatten also nicht den Impfstoffkandidaten erhalten. Aus der geimpften Gruppe sind dagegen nur acht infiziert worden. Und wenn man diese zwei Zahlen, 162 und acht, ins Verhältnis setzt, kommt man auf die 95-prozentige "relative Wirksamkeit". Auf Englisch nennt man das "efficacy".

"Es entsteht die Suggestion, dass diese Wirkung neun von zehn Menschen schützt", sagt die Statistikerin Katharina Schüller vom Unstatistik-Team.

Dass diese Form der relativen Wirksamkeit in einer Impfstoff-Studie bestimmt wird, ist üblich. Aus dieser Bedingung der Studie kann man also nicht ableiten, dass Biontech und Pfizer, Moderna oder AstraZenica die Öffentlichkeit täuschen wollen. Doch man kann davon eben nicht eins zu eins auf die "Wirksamkeit in der Realität", die "absolute Wirksamkeit", schließen, auf Englisch: die "efficiency". Denn die verändert sich im weiteren Verlauf, sagt Katharina Schüller. Das hat mehrere Gründe - die zu erklären wir etwas ausholen müssen.

Laufzeit der Studie kann Aussage über Wirksamkeit verändern

Die Anzahl der positiv auf Covid-19 Getesteten während der Biontech- und Pfizer-Studie ist sehr gering: Von knapp 44.000 Testpersonen waren es, wie oben beschrieben, 170 Fälle.

"Nur ein sehr kleiner Anteil hat sich überhaupt angesteckt. Bei den Ungeimpften waren es 0,4 Prozent und bei den Geimpften nur etwa 0,04 Prozent." Katharina Schüller, Statistikerin, Unstatistik-Team

Anders gesagt: Mehr als 99,5 Prozent der Teilnehmenden aus beiden Gruppen steckten sich überhaupt nicht an - egal ob sie geimpft waren oder nicht.

Das bedeutet aber: Wenn man die Studie zunächst nur wenige Monate laufen lässt, könnten wenige Fälle auf der einen oder anderen Seite einen großen Ausschlag verursachen. Fiktives Beispiel: Wenn es statt acht positiv Getesteten in der Impfstoff-Gruppe sechzehn gäbe, würde das bedeuten, dass sich das relative Verhältnis zu den positiven Fällen bei der Placebogruppe stark verschiebt, obwohl die Fallzahl insgesamt, gerechnet auf rund 20.000 Teilnehmende je Gruppe, kaum höher liegt.

Das heißt wiederum: Wir wissen momentan nicht, ob nun neun von zehn Geimpften gegen das Virus geschützt sind, oder nur sieben von zehn oder noch weniger. Das wird sich erst in den nächsten Monaten genauer zeigen, denn die Unternehmen beobachten die Testpersonen noch bis zu zwei Jahre und werden weitere positive Fälle mit auswerten.

Mindestwirksamkeit liegt bei Biontech und Pfizer bei 30 Prozent

Weil das letztendliche Verhältnis zunächst nicht festgelegt werden kann, geben Unternehmen in ihren Studien ein sogenanntes "Konfidenzintervall" an, also eine Spanne, zwischen deren Polen sich das Ergebnis am Ende wohl befinden wird. Die Impfstoffhersteller Biontech und Pfizer sagen in ihrer Studie: Sie seien sich zu 99,99 Prozent sicher, dass der Impfstoff im realen Einsatz eine mindestens 30-prozentige absolute Wirksamkeit hat.

30 Prozent - das klingt zunächst wenig, aber die 99,99-prozentige Sicherheit ist in diesem Zusammenhang ausgesprochen hoch. Das heißt: Sie sind sich also sehr sicher, dass mindestens drei von zehn geimpften Menschen vor Covid-19 geschützt sind. Es könnten aber auch viel mehr sein, betont auch Katharina Schüller vom Unstatistik-Team des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung.

"Schlechter wird es auf keinen Fall." Katharina Schüller, Statistikerin

Fazit

Die Studienergebnisse der drei großen Impfstoffhersteller bedeuten nicht, dass neun von zehn Geimpften vor Covid-19 geschützt sind. Sie sagen vielmehr aus, dass von allen Personen, die im Rahmen der Studie positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, 95,3 Prozent in der Placebogruppe waren - den Impfstoff also gar nicht bekommen hatten. Doch insgesamt ist die Zahl der Infizierten in beiden Gruppen sehr gering.

Wie groß der Impfschutz tatsächlich ist, wird sich jedoch erst in den kommenden Monaten und Jahren herausstellen. Dennoch bewerten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Werte von über 90 Prozent "efficacy" für eine klinische Studie (Phase drei) als erfreulich; sie seien eine gute Grundlage für eine hohe absolute Wirksamkeit in der Realität ("efficiency"), wenn der Impfstoff für alle ausgegeben wird.

Interaktive Karte: Hier stehen die Impfzentren in Bayern

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