Reicht Tofu? Experten raten Eltern davon ab, ihre Kinder ausschließlich vegan zu ernähren.
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Reicht Tofu? Experten raten Eltern davon ab, ihre Kinder ausschließlich vegan zu ernähren.

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#Faktenfuchs: Kann man seine Kinder vegan gesund ernähren?

Ein BR-Video über vegane Ernährung bei Kindern hat für Diskussionen gesorgt. Wir haben noch einmal nachgeforscht: Was sagt die Forschung? Experten raten davon ab: Es kann funktionieren - ist aber riskant.

Anfang September haben wir auf unserem Facebook-Kanal ein BR24-Video zu der Frage gepostet: "Wie gefährlich ist vegane Ernährung bei Babys wirklich?" Das Video hat bei unseren Usern für heftige Diskussionen gesorgt: Mehr als 800 Mal wurde es auf Facebook kommentiert. Die Kommentare reichten von "Vegane Kinderernährung ist krank" oder "Vegane Ernährung von Kleinkindern ist Körperverletzung" bis hin zu Usern, die sich fragten, warum genau – wie im BR24-Video empfohlen – Kleinkinder nur "unter ärztlicher Aufsicht" vegan ernährt werden sollten. Viele User empfinden das als eine Art Generalverdacht.

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Einer der Kommentare vom BR24-Facebook-Kanal.

Wir sind der Sache daher noch einmal ausführlicher auf den Grund gegangen: Ist vegane Ernährung gefährlich für Kinder? Was sind die Risiken? Was sollten Eltern beachten? Und müssen die Kinder wirklich vom Arzt überwacht werden?

Frage 1: Ist vegane Ernährung ungesund?

Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Richtig ist: Wer tierische Produkte ganz weglässt, dem fehlen wichtige Nährstoffe. Denn ohne tierische Lebensmittel kann zum Beispiel der Bedarf an Vitamin B12 nicht gedeckt werden. Auch die Zufuhr von Eiweiß, langkettigen Omega-3-Fettsäuren, Kalzium, Eisen, Jod, Zink, Selen und den Vitaminen D und B2 kann kritisch sein, wie die Initiative "Gesund ins Leben - Netzwerk Junge Familie" in diesem Beitrag darstellt. Die Initiative ist ein Zusammenschluss von rund 600 Institutionen, Verbänden und Fachgesellschaften, die laut ihrer Webseite "junge Familien bei der Verwirklichung eines gesunden Lebensstils unterstützen". Die oben genannten Nährstoffe sind unter anderem wichtig für die Gesundheit von Knochen und Zähnen (Kalzium), den Sauerstofftransport im Blut (Eisen), den Muskelaufbau und –erhalt (Protein) und das Nervensystem (B12).

Die meisten dieser Stoffe – mit Ausnahme von B12 – können in ausreichender Menge über pflanzliche Produkte aufgenommen werden. Eine vegane Ernährung kann also gesund sein, wenn die Betroffenen darauf achten, einem Nährstoffmangel durch eine bewusste und ausgewogene Ernährung vorzubeugen. Dafür müssen sie insbesondere ausreichend Vitamin B12 in Form von Zusatz-Präparaten zu sich nehmen.

Frage 2: Und wie ist das bei Kindern?

Grundsätzlich gilt dasselbe auch für Kinder – mit einem wichtigen Unterschied: Im Vergleich zu Erwachsenen haben Kinder einen höheren Nährstoffbedarf pro Kilogramm Körpergewicht. Daher ist im Fall einer veganen Ernährung das Risiko einer Unterversorgung größer. Hinzu kommt, dass Kinder sich noch in der Entwicklung befinden. Erhalten sie dafür nicht alle wichtigen Nährstoffe in ausreichender Menge, kann es passieren, dass Gehirn oder Nervensystem nicht richtig ausgebildet werden. Anders als bei Erwachsenen kann also schon ein vorübergehender Mangel zu irreparablen Schäden führen.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung weist in einem FAQ auf die Gefahren einer veganen Ernährung bei Kindern hin, die keine angereicherten Lebensmittel oder Nährstoffpräparate enthalte. Dazu zählen unter anderem:

  1. eine Störung der Blutbildung aufgrund von Eisen- und Vitamin-B12-Mangel;
  2. Wachstumsverzögerungen aufgrund einer unzureichenden Versorgung mit Proteinen;
  3. möglicherweise irreversible neurologische Störungen durch einen Mangel an Vitamin B12 und Jod
  4. eine gestörte Entwicklung von Gehirn und Netzhaut des Säuglings, falls die Mutter nicht ausreichend Omega-3-Fettsäuren zu sich nimmt, die zum Beispiel in Fisch enthalten sind.

Tatsächlich gibt es bereits mehrere Fälle, in denen eine vegane Ernährung ohne entsprechende Nahrungsergänzung zu schweren gesundheitlichen Schäden bei Kindern geführt hat. So sagt etwa der Münchner Arzt Stefan Eber, er habe seit 2015 mehr als hundert Fälle von Kindern mit B12-Mangel betreut. Etwa einer von zehn dieser Fälle sei auf eine vegane Ernährung zurückzuführen.

Bei Säuglingen kommt noch ein besonderes Problem hinzu: Ernähren sich die Mütter vegan und supplementieren kein oder nicht ausreichend B12, können sie diesen Mangel an ihre Babys weitergeben. Wenn die Mutter kein Vitamin-B12-Supplement nimmt, setzt sich der Vitaminmangel des Kindes auch nach der Geburt über das Stillen fort. Bei Säuglingen kann ein B12-Mangel zu schweren Entwicklungsstörungen, Apathie, Blutbildungsstörungen, Gedeihstörungen und neurologischen Auffälligkeiten führen.

Mathilde Kersting, Leiterin des Forschungsdepartments Kinderernährung am Universitätsklinikum Bochum, sagt, diese Fälle seien in der Fachliteratur keine Seltenheit. Immer wieder sorgen solche Fälle auch für Schlagzeilen in den Medien: So wurde kürzlich ein Elternpaar in Australien verurteilt, das sein Kind über Jahre nur vegan ernährt hatte – bis es mit schweren Mangelerscheinungen ins Krankenhaus kam.

Frage 3: Wie verbreitet sind Mangelerscheinungen bei Kindern aufgrund veganer Ernährung?

Das lässt sich nicht genau sagen. Denn: Die meisten Studien zu dieser Frage stammen aus den Jahren 1980–1990. Oft wurden darin nur kleine Gruppen untersucht. In Deutschland gab es zum Beispiel nur eine sehr kleine Studie mit Säuglingen. "Die derzeitige Datenlage erlaubt somit keine validen Rückschlüsse auf die heutige Ernährungspraxis und den Gesundheitsstatus bei vegetarisch ernährten Kindern in Deutschland", so das Fazit von Mathilde Kersting und anderen Autoren eines aktuellen Aufsatzes zur "Praktischen Beratung und Betreuung bei vegetarischer Ernährung". Das sogenannte "Konsensus-Papier" wird von verschiedenen Forschungseinrichtungen mitgetragen.

Die dünne Faktenlage könnte sich allerdings bald verändern. Ein Team von Ernährungswissenschaftlern untersucht derzeit im Rahmen der Ve-Chi-Diet-Studie die Körpergröße und das Gewicht von 1-3-jährigen Kindern, die vegan, vegetarisch oder mit Mischkost ernährt werden. Erste Teilergebnisse der Studie, die allerdings nicht repräsentativ ist, wurden im April bereits veröffentlicht. Darin kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass sich Körpergröße und –gewicht der vegan und vegetarisch ernährten Kinder nicht wesentlich von dem der übrigen unterscheiden.

Zwar lagen in der Auswertung einzelne vegan ernährte Kinder unter den Standardwerten der Weltgesundheitsorganisation für die Körpergröße. Dies könnte den Autoren zufolge für eine langfristig geringe Energie- und Proteinzufuhr sprechen. Die Mehrheit der veganen Kinder in der Studie (mehr als 95 Prozent) lag allerdings über diesen Standardwerten. In den anderen beiden Gruppen (vegetarisch bzw. mit Mischkost) gab es diese Ausreißer nach unten etwas seltener bzw. gar nicht.

Die Auswertungen der Nährstoffzufuhr zeigen Studienleiter Markus Keller zufolge zudem, dass vegane Kinder bei einigen Nährstoffen gut, bei anderen weniger gut abschnitten. Dasselbe gelte aber auch für die vegetarischen und die Mischkostkinder.

Die erste Ve-Chi-Studie wurde teilweise dafür kritisiert, dass sie zwar Körpergewicht und -größe der Kinder untersucht – eine Unterernährung also ausschließt – aber keine Aussage dazu trifft, ob den Kindern womöglich andere wichtige Nährstoffe wie B12 fehlen. In einer Folgestudie werden deshalb nun auch ältere Kinder untersucht und Urin- und Blutproben entnommen.

Frage 4: Was empfehlen Ernährungsexperten?

In der Frage, ob eine vegane Ernährung für Babys und Kleinkinder empfehlenswert ist, sind Experten uneins. Angelsächsische Experten scheinen dies mit weniger Sorge zu betrachten als deutsche – die eher davon abraten. So weist etwa die US-amerikanische Academy of Nutrition and Dietetics (A.N.D.), der weltweit größte Zusammenschluss von Ernährungsfachleuten, darauf hin, dass eine "gut geplante", rein pflanzliche Ernährung in allen Lebensstadien "ausreichend" ist – und gegenüber anderen Diäten sogar bestimmte Vorteile aufweisen kann (Link).

Dieser Einschätzung schließen sich auch die australische, kanadische und – mit Einschränkungen – die portugiesische Ernährungsorganisation sowie der britische Nationale Gesundheitsdienst NHS an. Auf die ausländischen Ergebnisse angesprochen, weist Expertin Mathilde Kersting allerdings darauf hin, dass all diese Stellungnahmen eine Reihe von teils aufwendigen zusätzlichen Ernährungsmaßnahmen enthielten - das wiederum hielten viele deutsche Experten für riskant.

In Deutschland raten daher sowohl das "Netzwerk Gesund ins Leben - Netzwerk junge Familien" – als auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) vor einer veganen Ernährung ab: Diese sei ungeeignet für Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder.

Auch eine Stellungnahme der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin aus dem Jahr 2018, die die Ergebnisse von 16 Studien aus westlichen Ländern verglichen hat, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. In der Zusammenfassung heißt es, dass "vegetarisch ernährte Kinder aufgrund ihres im Vergleich zu Erwachsenen deutlich höheren Nährstoffbedarfs pro Kilogramm Körpergewicht ein erhöhtes Risiko einer Mangelversorgung" haben.

Auch Ernährungsexpertin Kersting von der Uniklinik in Bochum sagt, sie würde eine vegane Ernährung bei Kindern nicht empfehlen. Es sei zwar nicht unmöglich, sein Kind vegan gesund zu ernähren – der Aufwand sei für die Eltern aber sehr hoch. Sie müssten sicherstellen, dass der Nährstoffmangel bestimmter Stoffe über pflanzliche Produkte ausgeglichen wird und bestimmte Stoffe in genau der richtigen Menge supplementiert werden. "Bei dem heterogenen Marktangebot von Lebensmitteln und Präparaten ist dies selbst für versierte Ernährungsfachkräfte und Ärzte extrem schwierig", schreiben Kersting und ihre Co-Autoren in einem Konsensus-Papier, das von drei Institutionen mitgetragen wird. Die Professorin rät Eltern daher, das Risiko gar nicht erst einzugehen.

Wer sich dennoch dafür entscheide, sollte laut den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung unbedingt folgende vier Punkte beachten:

  1. Vitamin-B12-Nahrungsergänzung
  2. eine nährstoffreiche Ernährung: welche Nährstoffe bei Veganern kritisch sind und wie sie diese ersetzen können, erklärt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in diesem FAQ.
  3. regelmäßige ärztliche Kontrollen
  4. eine fachgerechte Ernährungsberatung. Geeignete Ansprechpartner finden sich zum Beispiel hier.
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Kommentare vom BR24-Facebook-Kanal

Frage 5: Müssen Vegan-Ernährer die Ernährung ihres Kindes wirklich von einem Arzt überwachen lassen?

Bei einigen BR24-Usern hat diese Empfehlung für Empörung gesorgt. Schließlich würden viele nicht-vegane Kinder mit "Milchschnitte und co." ernährt, ohne dass je jemand eine "Überwachung" der Eltern fordere. Eine Userin namens "Silvia" schreibt: "Jeder, der sich mit veganer Ernährung wirklich beschäftigt, wirklich jeder weiß, dass B12 substituiert werden muss."

Mathilde Kersting von der Uni-Kinderklinik Bochum hält die Empfehlung dennoch für berechtigt: "Es geht dabei nicht darum, die Eltern zu gängeln. Aber jeder Speiseplan ist anders und Kind ist nicht gleich Kind." Sie empfiehlt den Eltern deshalb, zusammen mit einer Ernährungsfachkraft die individuelle Ernährung des Kindes zu überprüfen.

Sollte sich dabei herausstellen, dass das Kind von einem oder mehreren Nährstoffen trotz optimierter Lebensmittelauswahl nicht ausreichend erhält, kann der Arzt über das weitere Vorgehen entscheiden. Neben dem B12-Haushalt kann es sinnvoll sein, insbesondere die ausreichende Zufuhr von Jod, Calcium, Vitamin D und Proteinen regelmäßig zu überprüfen.

Fazit: Eine vegane Ernährung bei Säuglingen, Kleinkindern und Jugendlichen ist möglich – aber nicht unbedingt empfehlenswert. Zumindest deutsche Experten raten davon ab, weil es für die Eltern deutlich schwieriger und aufwendiger ist, sicherzustellen, dass ihr Kind wichtige Nährstoffe wie B12, Jod, Eisen, aber zum Beispiel auch ausreichend Protein erhält. Bei Kindern ist dies noch wichtiger als bei erwachsenen Veganern, weil der Nährstoffbedarf pro Kilogramm Körpergewicht deutlich höher ist. Je eingeschränkter die Nahrungsmittelauswahl ist, desto größer ist die Gefahr, dass es zu Mangelerscheinungen kommt. Im schlimmsten Fall können Mängel in der kritischen Wachstumsphase zu irreparablen Schäden führen. Wollen Eltern ihr Kind dennoch vegan ernähren, sollten sie sich unbedingt professionell beraten lassen.