In Bayern sterben jedes Jahr etwa 250 Menschen an ihrer Drogensucht, viele von ihnen an einer Überdosis. Das liegt daran, dass sie ihren Stoff - auch wegen der intensiven Strafverfolgung - oft unbeobachtet nehmen. Bei einer Überdosis ist also keine Hilfe da. Drogenkonsumräume könnten das verhindern.
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Mit 14 Heroin auf der Bahnhofstoilette gespritzt
Martina (Vorname geändert) kennt das Problem. Sie ist schwer drogenabhängig, seit sie 14 ist. Inzwischen kommt sie gut mit der Substitutionstherapie klar, nimmt also einen Drogenersatzstoff, der ihr zwar keinen Rausch mehr gibt, aber schwere Entzugserscheinungen verhindert.
Mehrere Jahre lang aber hat sich Martina als Jugendliche und junge Frau Heroin gespritzt - in Bahnhofstoiletten, Tiefgaragen oder in Privatwohnungen. Oft war sie dabei ganz allein. Wie gefährlich das ist, weiß sie seit langem, denn damals hat sie einmal miterlebt, wie ein Bekannter eine Überdosis erwischte und daran vor ihren Augen gestorben ist. Sie wollte eigentlich sofort den Notarzt holen, aber ein weiterer Bekannter, der mit in der Wohnung war, hat das verhindert.
Der Grund: Er habe Angst vor der Polizei gehabt: "Damals waren wir der Meinung, dass mit jedem Notarzt die Polizei mitkommt, wenn der Verdacht von einer Überdosierung besteht, und wahrscheinlich waren da noch Drogen in der Wohnung, die die Polizei dann gefunden hätte."
Drogenkonsumräume verhindern Drogentote
Olaf Ostermann vom Suchthilfeverein Condrobs ist als Fachmann davon überzeugt, dass in Bayern viele Drogentote verhindert werden könnten, wenn es Drogenkonsumräume gäbe. Er erklärt, dass ein Konsumraum ein sehr medizinisches Angebot für schwerstabhängige Menschen ist, ein Schutzraum, wo sie ihren mitgebrachten Stoff unter medizinischer Aufsicht konsumieren können.
Zum einen können die medizinischen Fachkräfte auf die Klientinnen und Klienten vorbeugend einwirken, keine zu hohe Dosis zu nehmen, sie können ihnen zeigen, wie sie steril konsumieren, damit sie sich nicht mit HIV, Hepatitis C oder anderen Infektionskrankheiten anstecken, und im Notfall sind sie auch für schnelle medizinische Hilfe da.
Zum anderen sind im Konsumraum auch Sozialpädagogen dabei, die den Suchtkranken therapeutische oder lebenspraktische Tipps geben können. "Mit einem Konsumraum könnten wir viele Drogensüchtige ins Hilfesystem holen, die wir so noch gar nicht erreichen", sagt Ostermann.
Beispiel Frankfurt: Drogentote mehr als halbiert
Dass Drogenkonsumräume die Zahlen von Drogentoten tatsächlich verringern können, sieht man am Beispiel Frankfurt. Dort gab es in der ersten Hälfte der 90er Jahre noch rund 60 bis 150 Drogentote im Jahr, wobei die Tendenz schon nach unten ging. Seit 1995 der erste von inzwischen vier Drogenkonsumräumen eingerichtet wurde, liegen die Frankfurter Zahlen meist nur noch zwischen 20 und 30 Toten im Jahr.
Bemerkenswert: Als die Konsumräume im ersten Corona-Jahr aufgrund der Abstandsregelungen weniger Konsumplätze anbieten konnten, ist die Zahl der Drogentoten gleich wieder um knapp ein Drittel gestiegen. Das kann zwar auch ein zufälliger Ausreißer sein, allerdings hat es einen derartigen Anstieg seit 2007 nicht gegeben.
Bayern erlaubt bisher keine Konsumräume
Inzwischen gibt es in Deutschland 29 solcher Konsumräume in 17 deutschen Städten und acht Bundesländern - nicht aber in Bayern. Der Grund: Die bayerische Staatsregierung findet es widersinnig, wenn man harte Drogen einerseits verbiete und es andererseits erlaube, dass Suchtkranke sie in staatlich mitfinanzierten Räumen konsumieren.
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Die Message muss sein: "Lass die Finger von Drogen!"
Der gesundheitspolitische Sprecher der CSU-Fraktion, Bernhard Seidenath setzt eher auf Prävention, Substitution durch Drogenersatzstoffe, die Vergabe von sauberen Spritzen und auf Notfallmedikamente wie Naloxon, wobei das nur gegen eine Überdosis von Heroin, nicht aber bei anderen Drogen hilft.
Seidenath hat sich die Szene in Frankfurt angesehen und findet die Vorstellung schwer erträglich, dass junge Leute dort zwar wissen, dass harte Drogen illegal sind, aber auf der anderen Seite mitbekommen, dass es legale Konsumräume gibt: "Die Botschaft muss sein, dass die Leute die Finger von den Drogen lassen, und diese Botschaft wird durch Konsumräume verwässert", sagt Seidenath.
Er befürchtet nämlich, dass Drogenkonsumräume junge Menschen dazu verführen könnten, Drogen auszuprobieren und so überhaupt erst in die Drogensucht abzurutschen. Im Gespräch mit BR24 konnte er jedoch keine Fakten aus den Erfahrungen mit den Konsumräumen in anderen Bundesländern nennen, die diese Befürchtung belegen könnten.
Karlsruhe: Keine Drogenneulinge im Konsumraum
Die Erfahrungen von Eric Kramer bestätigen eher das Gegenteil. Im Auftrag der AWO betreiben er und seine Kolleginnen und Kollegen seit 2019 einen Konsumladen in Karlsruhe. Sie klären mit jeder Klientin und jedem Klienten am Anfang ab, wie lange sie schon Drogen nehmen und wie ihre Konsumgewohnheiten aussehen. Das Ergebnis: Im Schnitt haben die Karlsruher Suchtkranken 19 Jahre Suchterfahrung mit harten Drogen.
Es könne also keine Rede davon sein, dass der Konsumraum Drogenneulinge zum Konsum verführe, sagt Kramer. Die dürften den Konsumraum auch gar nicht nutzen, denn es gibt klare gesetzliche Regeln und eine Hausordnung. "Natürlich können wir nicht faktisch nachprüfen, ob uns die Drogensüchtigen die Wahrheit sagen", sagt Eric Kramer "aber mit unserer langjährigen Erfahrung in der Suchthilfe würden wir es trotzdem sofort merken, wenn jemand noch keine Drogenerfahrung hat."
Keine Werbung für Konsumraum in Karlsruhe
Der Suchtfachmann Eric Kramer will Menschen schließlich vor der Drogensucht bewahren und ihr nicht Tür und Tor öffnen. Deshalb macht der Karlsruher Drogenkonsumraum auch keine Werbung. Das Angebot spricht sich also nur in der etablierten Szene herum.
Kramers Erfahrung nach ist der Konsumraum ein gelungenes Angebot. Denn wer schwer drogenabhängig ist, nehme sein Heroin, Kokain oder welche Droge auch immer auf jeden Fall - egal ob sie legal oder illegal sind, egal ob es ein Risiko für eine tödliche Überdosis gibt: "Da ist es doch besser, die Konsumenten nehmen den Stoff in einem medizinischen und sozialpädagogisch betreuten Einrichtung", so Kramer.
Suchterfahrene: Konsumräume keine Gefahr für junge Menschen
Die Suchtkranke Martina, die inzwischen selbst in der Münchner Suchthilfe arbeitet, ist ebenfalls davon überzeugt, dass ein Konsumraum keine Gefahr für die Gesundheit gesunder junger Menschen ist. "Schließlich haben sich auch andere Bundesländer aus guten Gründen zu Konsumräumen durchgerungen", sagt sie.
"Was ich wichtig fände, ist, dass einige Leute in den Kopf bekommen, dass Sucht eine Krankheit ist", sagt Martina, "und dass niemand, der krank ist, es verdient hat, in irgendeiner Ecke draußen zu versterben an etwas, wo man einfach adäquat helfen könnte, und dass derjenige nur verstirbt, weil er irgendwo allein sich verstecken muss. Und darum wären diese Konsumräume einfach sehr wichtig."
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