Alge des Jahres 2019: die blutrote Schneealge Chlamydomonas nivalis. Hier werden gerade auf dem Doktorbreen-Gletscher in Spitzbergen Proben der kälteliebenden Algen genommen.
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Alge des Jahres 2019: die blutrote Schneealge Chlamydomonas nivalis. Hier auf dem Doktorbreen-Gletscher in Spitzbergen.

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Die blutrote Schneealge ist Alge des Jahres 2019

Haben Sie schon einmal ein blutrotes Schneefeld gesehen? Hier ist kein Tier und auch kein Mensch zu Schaden gekommen - dahinter steckt die Schneealge Chlamydomonas nivalis. Die Alge des Jahres 2019 ist so besonders wie geheimnisvoll.

1818 staunten britische Seeleute auf der Suche nach einer Nord-West-Passage über Schneefelder in "dunkler Karmesinfarbe". Kapitän John Ross entdeckte, dass der Schnee "den Fels herunter, an einigen Stellen bis zu einer Tiefe von zehn bis zwölf Fuß von dem färbenden Stoff durchdrungen" war. Die Schiffsoffiziere betrachteten Proben davon unter dem Mikroskop und erkannten dunkelrote, samenkornartige Gebilde. Also kein Blut, sondern ein "vegetabilisches Produkt", wie sie es nannten. Heute weiß man, dass die Alge Chlamydomonas nivalis den Schnee blutrot färbt - mithilfe des Farbstoffs Astaxanthin, einem Carotinoid.

"Damals ein Mythos, oft lebhaft zu Seemannsgarn versponnen und auch heute noch voller Fragen." Schneealgenexperte Thomas Leya über die blutrote Schneealge Chlamydomonas nivalis, Alge des Jahres 2019

Die Alge des Jahres bleibt auch 2019 geheimnisvoll

Auch wenn das Phänomen des sogenannten Roten Schnees nun 200 Jahre alt und längst geklärt ist, so liegt doch noch Vieles über die rote Schneealge im Dunkeln. Fest steht, dass Chlamydomonas nivalis fast überall auf der Welt im ewigen Schnee vorkommt: in der Arktis, in der Antarktis und im Hochgebirge. Bei den mikroskopisch kleinen roten Gebilden im Schnee handelt es sich um beinahe leblose Dauerstadien, sogenannte Zysten. Forscher vermuten, dass die blutrote Schneealge an ihren kalten Lebensraum gebunden ist und bei höheren Temperaturen abstirbt. Noch konnte dies niemand belegen, aber: "Bislang hat noch kein Wissenschaftler diesen zu den Grünalgen zählenden Organismus im Labor kultivieren können", bestätigt Schneealgenexperte Thomas Leya. Er unterhält an der Potsdamer Außenstelle Bioanalytik und Bioprozesse des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie (IZI-BB) eine der weltweit bedeutendsten Schneealgensammlungen.

Das Geheimnis der blutroten Algenblüte

Thomas Leya ist Mitglied der Sektion Phykologie, in der die Algenforscher der Deutschen Botanischen Gesellschaft organisiert sind, die die blutrote Schneealge jetzt zur Alge des Jahres 2019 gewählt haben. Er wundert sich noch über eine andere Tatsache: "Die vermehrungsfähigen Stadien der blutroten Schneealge müssten eigentlich aufgrund des enthaltenen Fotosynthese-Farbstoffes, des Chlorophylls, grün sein."

Wie die Alge ganze Schneefelder rot färbt, konnte noch nicht abschließend geklärt werden: "Wir wissen zwar, wie Roter Schnee aussieht, aber wir wissen nicht wirklich, wie diese mikroskopische Alge es schafft, im Frühsommer, wenn noch mehrere Meter Neuschnee liegen, solche Massen an Zellen hervorzubringen, die es für das Phänomen des Roten Schnees benötigt. Dabei handelt es sich ja um eine regelrechte Algenblüte", sagt Thomas Leya. Um dieses Rätsel zu lösen, müsste man ein mehrere Meter dickes Schneefeld im Jahresverlauf in allen Schichten beproben und die verschiedenen Zellstadien regelmäßig untersuchen.

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Weder Spuren von Blut noch von Rost im Schnee: Die blutrote Schneealge Chlamydomonas nivalis kann ganze Schneefelder einfärben.

Chlamydomonas nivalis auf Spitzbergen und in den Alpen

Auch, wie sich die blutrote Schneealge auf der ganzen Welt ausbreiten konnte, ob ihre Verbreitung jeweils nur lokal ist oder ob der Wind sie weiterträgt, ist noch nicht erforscht. "Genetisch unterscheiden sich die blutroten Schneealgen Spitzbergens kaum von denen aus den Rocky Mountains oder den Alpen. Auch Zellen aus der Antarktis unterscheiden sich kaum von denen anderer Gebiete der Erde, sodass man wohl von einem weltweiten Genfluss ausgehen kann", berichtet der Algenforscher Leya.

Blutrote Schneealge verwehrt sich der Forschung

Die kälteangepassten Schneealgen ließen sich vielleicht industriell nutzen - in der Medizin, Lebensmitteltechnik oder Kosmetik zum Beispiel. Aber die rote Schneealge macht es den Forschern bis heute nicht leicht: "Solange wir davon keine lebenden Reinkulturen haben, wird sich ihr Leben weiterhin im Verborgenen abspielen", resümiert Schneealgenexperte Thomas Leya.

Weitere Arten des Jahres 2019

Jedes Jahr werden mehr als dreißig verschiedene Arten des Jahres verkündet. Neben der Alge des Jahres gibt es zum Beispiel auch das Tier des Jahres, das Insekt des Jahres, den Vogel des Jahres, die Spinne des Jahres, den Baum des Jahres, die Blume des Jahres, die Giftpflanze des Jahres und sogar das Zootier und die Mikrobe des Jahres.