Die Zahlen sind eindeutig: Während der ersten Kontaktbeschränkungen im Frühjahr nahm die Zeit, die Kinder mit Spielen im Internet verbrachten um 75 Prozent zu. An Werktagen waren es statt 80 knapp 140 Minuten. Die Zeit in sozialen Netzwerken stieg von knapp zwei auf mehr als drei Stunden. Das ergab eine Studie, die der Krankenversicherer DAK zusammen mit der Uniklinik Hamburg-Eppendorf im Sommer durchgeführt hat.
Lockdown könnte Verhaltensweisen verfestigen
Der erhöhte Konsum steigere auch die Suchtgefahr von Kindern, sagt Katajun Lindenberg, Professorin für Kinder und Jugendlichenpsychotherapie an der Frankfurter Goethe Universität. Sie weiß: "Wenn Kinder viel Computerspiele spielen, verändert das tatsächlich strukturell ihr Gehirn, also ihr Belohnungssystem". Allerdings sei nicht allein die Zeit vor dem Smartphone entscheidend. Kritisch werde es, wenn Kinder die Kontrolle darüber verlieren, wie viel sie auf dem Computer und Handy spielen.
Auch schon vor Corona habe sie viele Zuschriften von Eltern zu dem Thema bekommen, sagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig, CSU. Etwa 700.000 Kinder in Deutschland seien mittlerweile von Mediensucht betroffen und müssten eigentlich in Behandlung sein. Der Lockdown verstärke das Ganze: "Wenn sich Verhaltensweisen, während des ersten und jetzt des zweiten Lockdowns verfestigen, dann kann das nicht gesund sein und dann sind wir auch in der Verpflichtung, hier gegenzusteuern."
Drogenbeauftragte will Eltern und Kinder sensibilisieren
Deshalb hat sie die Kampagne "Familie. Freunde. Follower" ins Leben gerufen. Auf ihrer Homepage bekommen Eltern Tipps, um Regeln für die Mediennutzung ihrer Kinder aufzustellen. Hinzu kommen jetzt neue Materialien fürs Homeschooling und ein Erklär-Film, mit Tobi Krell, der aus der Kinderwissens-Sendung "Checker Tobi" bekannt ist, die im Kinderkanal KiKa von ARD und ZDF läuft. Der Film richtet sich an Kinder ab der vierten Klasse. Sie wolle weder die Digitalisierung noch die sozialen Medien verteufeln, betont Ludwig. Aber es sei natürlich immer eine Frage, wann es zu viel werde. Hier müssten Eltern ihren Kindern auch selbstbewusst gegenübertreten: "Ich möchte in erster Linie den Eltern den Rücken stärken, dass es okay ist, wenn man Regeln dafür aufstellt", sagt Ludwig.
Sensibilisierung nicht genug
Psychotherapeutin Lindenberg nimmt die Eltern in Schutz. Es sei absolut verständlich, dass es Eltern schwerfalle, Regeln im Lockdown konsequent durchzusetzen. Einerseits seien sie selbst belastet und müssten parallel arbeiten. Gleichzeitig fehlten auch einfach die Alternativen für die Kinder, wenn der Sportverein zu sei und es nicht möglich sei, Freunde zu treffen. "Spielen ist ja auch etwas extrem Belohnendes", findet Lindenberg. Eltern müssten gerade eine Balance finden, den Bedürfnissen ihrer Kinder nachzugehen und andererseits ihre Monitoring-Funktion zu erfüllen. Beim letzten Punkt sollte die Politik den Eltern mehr helfen, sagt Lindenberg.
Insgesamt sei die Kampagne der Drogenbeauftragten geeignet, um Erwachsene und Kinder für das Thema zu sensibilisieren, aber nicht nur die Eltern seien in der Pflicht, für klare Regeln zu sorgen, findet die Psychotherapeutin. Das reiche von klaren Altersempfehlungen der Spielehersteller, bis hin zu Alterssperren bei App-Käufen. "Das sind alles Dinge, die sich an das System richten und bei denen aus meiner Sicht noch viel zu tun ist."
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