Gewichte auf einer alten Waage
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Gewichte auf einer alten Waage: Das Ur-Kilogramm hat ausgedient

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Aus für das Ur-Kilo: Das Kilogramm wird neu bestimmt

Fast 150 Jahre lang bestimmte ein kleiner Metall-Zylinder in einem Tresor in der Nähe von Paris, wie viel ein Kilo wiegt. Doch jetzt hat das Ur-Kilogramm ausgedient, denn es hat abgenommen. Ab dem 20. Mai gilt eine neue Definition für das Kilo.

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Knapp vier Zentimeter hoch, vier Zentimeter Durchmesser: Dieser kleine Zylinder aus einer Platin-Iridium-Legierung bestimmt seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, was ein Kilogramm ist. Eigens zu diesem Zwecke wurde er angefertigt und seither in einem Tresor im Internationalen Büro für Maß und Gewicht (BIPM) nahe Paris aufbewahrt. Es ist das Ur-Kilogramm, das zusammen mit dem Ur-Meter im Jahr 1793 die Grundlage des modernen metrischen Systems bildete.

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Das Ur-Kilo bestimmt seit fast 150 Jahren, wie schwer ein Kilogramm genau ist

Ur-Kilogramm verliert Gewicht

Doch der Zahn der Zeit nagt am Ur-Kilo: Es hat an Gewicht verloren, ganze fünfzig Mikrogramm (µg) – etwa so viel, wie eine Wimper wiegt. Vermutlich durch den Austritt von Gasen aus dem Metall. Wo ist das Problem? Wer vermisst schon fünf Prozent eines Milligramms?

"Warum fragen die bayerischen Metzgereifachverkäuferinnen denn, seit ich denken kann, bei jedem Aufschnitt: 'Derf’s a bisserl mehrer sein?' Weil sie instinktiv gespürt haben, dass das Ur-Kilo gar kein Kilo mehr wiegt. So fair geht’s im bayerischen Lebensmittel- Einzelhandel zu." Helmut Schleich, Kabarettist

Bei der Wurst fällt der winzige Masseverlust des Ur-Kilogramms nicht ins Gewicht. Aber wer wissen möchte, wie viel ein Atom genau wiegt, oder ein Elektron? Bei dem fällt jedes Mikrogramm ins Gewicht.

Problem einer unzuverlässigen Norm

Und für die Metrologie, die Wissenschaft des Vermessens, gibt es ein grundlegendes Problem, wenn das Ur-Kilogramm sich ändert: Dieser kleine Metallkörper sollte ja sicherstellen, dass ein Kilogramm für alle Zeit gleich schwer ist.

"Wenn sich dieses Objekt verändert, dann haben wir ein Problem. Und das passiert ja auch tatsächlich. Dieses Objekt verändert sich." Jens Simon, Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig

Naturkonstanten statt Gegenstände

Ein grundlegendes Problem, wenn Objekte eine Norm absichern sollen. Und dieses Problem wird die internationale Generalkonferenz für Maß und Gewicht (CGPM), die gerade im französischen Versaille stattfindet, ein für alle Mal aus der Welt schaffen. Das Internationale Einheitensystem SI (französisch: Système international d'unités), dem sich hundert Staaten angeschlossen haben, wird heute auf neue, unveränderliche Füße gestellt: Naturkonstanten sollen zukünftig alle Maße sichern.

Denn wie der Name schon sagt: Naturkonstanten – etwa die Lichtgeschwindigkeit - sind konstant. Sie ändern sich nie: Licht ist im luftleeren Raum immer gleich schnell. Ein Ur-Meter als Artefakt, als Stab, der irgendwo als Referenz "herumliegt", ändert seine Länge aber schon, wenn er sich durch Erhitzung ausdehnt.

Kilogramm wird neu bestimmt

Und deshalb wird jetzt auch das Ur-Kilogramm ersetzt, durch eine Naturkonstante: beispielsweise die Avogadro-Konstante. Auf der Waagschale liegt dann nicht mehr der Metall-Zylinder, sondern eine etwa faustgroße, silbrige Kugel aus sehr, sehr reinem Silizium. Die Forscher haben gezählt, aus wie vielen Siliziumatomen die Kugel, die ja ein festes Gewicht hat, besteht. Und diese Zahl wird in Zukunft bestimmen, wie schwer ein Kilogramm ist. Ein Exemplar der Siliziumkugel kommt am 20. Mai 2019 ins Deutsche Museum nach München.

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Solch eine Siliziumkugel bestimmt in Zukunft, wie viel ein Kilogramm wiegt

Eins, zwei, viele: Wie viele Silizium-Atome wiegen genau 1 kg?

Warum kommt die neue Definition des Kilogramms erst jetzt? Weil es nicht ganz einfach ist, die Atome zu zählen. Das funktioniert nicht über Abzählen und Strichlisten, sondern nur umgekehrt: Über Volumen und Gewicht wird die Anzahl an Atomen errechnet:

"Sie gehen zum Beispiel in ein Bierlager. Dort haben sie einen riesigen Stapel von Bierkisten, und wenn sie wissen wollen, wie viele Kisten in so einem Stapel sind, dann zählen sie auch nicht alle, sondern sie messen die Länge und Breite und Höhe des Stapels, und die Größe einer Kiste und dividieren das miteinander." Dr. Peter Becker, ehemaliger Mitarbeiter am PTB Braunschweig.

Aber so ein "Bierkeller" voll sauber gestapelter Bierkisten ist in der atomaren Welt nicht leicht zu finden. Daher die silbrige Siliziumkugel: ein Kristall, in dem die einzelnen Siliziumatome absolut regelmäßig angeordnet sind, mit exakten, immer gleichen Abständen zueinander. Erst damit ist ihre Anzahl berechenbar. Diesen superreinen Kristall herzustellen, war die Herausforderung.

Im Alltag alles beim Alten

Und was ändert sich von nun an beim Metzger? Nichts. Im Alltag bleibt alles beim Alten – das Kilo wiegt auch morgen noch genau ein Kilo. Das war eine Voraussetzung: Es sollte nur neu festgelegt werden, wie das jetzige Kilogramm bestimmt ist. Damit man zukünftig nicht mehr das schwächelnde Ur-Kilo in die Waagschale werfen muss.

Auch andere Einheiten werden neu definiert

Und nicht nur das Ur-Kilogramm wird heute ersetzt. Auch andere Einheiten wie Kelvin (Temperatur), Ampere (elekrische Stomstärke), Mol (Stoffmenge) und Candela (Leuchtkraft) werden zukünftig über Naturkonstanten bestimmt. Sekunde und Meter wurden bereits vor Längerem neu definiert. Die Sekunde etwa ist inzwischen festgelegt durch eine bestimmte Zahl von Schwingungen in der Elektronenhülle des Cäsiumsatoms.

Weltmetrologietag am 20. Mai 2019 – Start für die neuen Maße

In Kraft treten sollen die neuen Maßstäbe für die Messeinheiten am 20. Mai 2019, dem Weltmetrologietag: Genau 144 Jahre, nachdem die ersten 17 Staaten der Meterkonvention beigetreten sind. Damals hat nach der französischen Revolution das neue metrische System die alten Maße wie Elle und Klafter abgelöst und das Ur-Kilo geschaffen.

Eine exakt ein Kilogramm schwere Siliziumkugel, fotografiert in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt
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Eine exakt ein Kilogramm schwere Siliziumkugel, fotografiert in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt