Blutentnahmeröhrchen mit Blutproben für einen Corona-Antikörper-Test des Tübinger Humangenetik-Labors CeGaT stehen in einem Rack (Archivbild)
Bildrechte: picture alliance/Marijan Murat/dpa

Die Zahl der durchgeführten Corona-Tests steigt (Symbolbild)

Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

#Faktenfuchs: Mehr Corona-Tests, mehr Infizierte?

Die Zahl der Sars-CoV-2-Fälle steigt wieder - auch die Corona-Tests werden mehr. Corona-Relativierer wittern einen Zusammenhang, eine Verschwörung. Doch die Tests sind nicht die Ursache für die Zunahme an Infektionen. Ein #Faktenfuchs.

Es ist eine Aussage, die seit Beginn der Pandemie kursiert: Es gebe so viele neue Corona-Fälle, weil so viel getestet werde. Mit dem Anstieg der Neuinfektionen ab Anfang August wiederholen immer mehr Personen diese Vermutung. Tatsächlich aber werden, so die Gesundheitsbehörden, vor allem Fälle von Infizierten mit mildem Krankheitsverlauf gefunden, die ansonsten womöglich unentdeckt geblieben wären. Einen Zusammenhang zwischen Infektionsgeschehen und Testzahlen gebe es jedoch nicht.

Dieser #Faktenfuchs klärt, weshalb eine steigende Zahl an Corona-Tests nicht ursächlich für den erneuten Anstieg der Corona-Infektionszahlen ist. Und inwiefern Donald Trump und Corona-Relativierer daraus falsche Behauptungen ableiten.

Spahn zu möglichem Zusammenhang: "teilweise ja"

Eigentlich war das Hauptthema der Pressekonferenz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag die Testpflicht für Reiserückkehrer aus Risikogebieten. Doch gleich die erste Frage eines Journalisten zielte auf das Verhältnis von Tests und Infektionszahlen. Spahn sagte dazu:

"Ihre sehr berechtigte Frage: 'Hat die erhöhte Zahl an positiv Testungen auch etwas mit der Ausweitung der Testkapazitäten zu tun?', muss man sicherlich mit 'teilweise ja' beantworten." Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister

Die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen den zahlreichen neuen Corona-Fällen und der Anzahl an Tests gibt, ist legitim. Sie erreicht auch BR24 in Kommentaren auf unserer Homepage, in Social Media und in Mails an die Redaktion.

Die Ausweitung der Tests soll den Gesundheitsbehörden ein möglichst genaues Bild der Pandemie ermöglichen. Zugleich ziehen manche Personen falsche Schlüsse daraus. Sie werten die Verbindung aus gestiegenen Testzahlen und zunehmenden Infektionen als Beleg für die angebliche Ungefährlichkeit des neuartigen Coronavirus.

RKI: Steigende Fallzahlen nicht mit Testaufkommen zu erklären

Spahns Aussagen am Donnerstag legten nahe, dass er einen Zusammenhang zwischen der Ausweitung der Test und den Corona-Zahlen sieht. "Ein Teil der gestiegenen Zahlen hat auch damit zu tun, dass wir mehr positive Fälle, mehr Infizierte entdecken - und das ist auch gut, damit wir Infektionsketten durchbrechen", sagte der Bundesgesundheitsminister am Donnerstag.

Spahn ist in seiner Wortwahl also vorsichtig, spricht von "teilweise", sagt "ein Teil" der entdeckten Neuinfektionen habe damit zu tun, dass man mehr teste. Das Robert Koch-Institut (RKI) differenziert diese Aussage auf BR24-Anfrage.

"Eine Ausweitung der Testindikationen oder eine Erhöhung der Testzahl kann zu einem Anstieg der Fallzahlen führen, da zuvor unentdeckte Fälle detektiert werden. Das heißt aber nicht, dass umgekehrt die steigenden Fallzahlen nur mit dem vermehrten Testaufkommen zu erklären sind." Robert Koch-Institut auf BR24-Anfrage

Asymptomatische Fälle können Risikogruppen gefährden

Wichtig also ist: Nur ein Teil der Entdeckungen von Infizierten kann sich damit erklären lassen, dass die Tests auf das Coronavirus ausgeweitet wurden - und weiterhin werden sollen. Es sind vor allem jene Fälle, bei denen infizierte Personen gefunden wurden, die entweder keine oder nur schwache Krankheitssymptome aufwiesen (asymptomatische Fälle) oder bei denen noch keine Krankheitssymptome zum Zeitpunkt des Abstriches vorlagen (präsymptomatische Fälle).

Ein Hinweis auf die Ungefährlichkeit des Virus ist es also nicht, wenn aktuell vermehrt Menschen mit milden Verläufen identifiziert werden sollten. Denn auch sie können das Virus übertragen. Werden diese Personen nicht erkannt, können sie sowohl Risikogruppen gefährden, als auch zu einer grundsätzlichen Verbreitung des Virus beitragen.

Infektionen und Tests - Zahlen lassen sich nicht verbinden

Zugleich betont das RKI, dass man die Anzahl der Tests nicht mit dem Anstieg der Fallzahlen ins Verhältnis setzen kann. Man kann also nicht sagen: "Je mehr getestet wird, desto mehr Corona-Fälle gibt es." Aktuell gibt es mehr Corona-Fälle, da, wie RKI und Spahn übereinstimmend berichten, sich weniger Menschen an die Abstands- und Hygieneregeln halten oder es beispielsweise am Arbeitsplatz zu Infektionen kommt.

Zwei Gründe gibt es, weshalb sich die beiden Zahlen nicht miteinander verbinden lassen:

Erstens handelt es sich laut RKI um unterschiedliche Datensätze. Es gibt die Testzahlen der Labors, bei denen es sich "um eine freiwillige Bereitstellung von Zahlen" handle. Es sind also keine absoluten Zahlen sondern Schätzungen. Bei infizierten Personen bestehe jedoch eine "Pflichtmeldung" durch die Gesundheitsämter. Die Datengrundlage ist also unterschiedlich: einmal eine gesicherte Angabe (infizierte Personen), einmal eine freiwillige und dadurch gegebenenfalls unvollständig Angabe (Zahlen aus Labors).

Aktuell arbeiten die Gesundheitsbehörden an einer Meldeinfrastruktur für Testzahlen. Im aktuellen Infektionsschutzgesetz ist die verpflichtende Meldung der Anzahl der durchgeführten Tests vorgeschrieben. Technisch ist die Umsetzung noch nicht erfolgt. Das RKI spricht dennoch von relativ genauen Zahlen, "die das Testgeschehen zuverlässig abbilden".

Zweitens ist der kausale Zusammenhang nicht klar - das zeigt sich an den Aussagen von Donald Trump, auf die wir weiter unten im Text eingehen. Denn die Infektionszahlen steigen, weil das Infektionsgeschehen in Deutschland aktuell wieder zunimmt. Die Ausweitung der Tests führt nur dazu, dass Personen mit milden Krankheitsverläufen (zum Teil ohne wahrnehmbare Symptome) identifiziert werden können.

BR-DATA: Statistische Untersuchung des Zusammenhangs

Eine Gruppe von Datenjournalist*innen der Redaktion BR-Data befasst sich seit Beginn der Pandemie mit den Zahlen zum Corona-Ausbruch. Eine Analyse zeigt: Betrachtet man den Verlauf der Pandemie, so lässt sich keine eindeutige Korrelation zwischen Tests und Fallzahlen ausmachen. Auch BR-Data bezieht die Zahlen vom RKI.

Bildrechte: BR Data mit Zahlen des Robert Koch-Institut
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Links: Fälle von Neuinfektionen in Deutschland nach Kalenderwochen. Rechts: Testzahlen nach Kalenderwochen

Aus den Zahlen geht ebenfalls hervor, dass die Aussage "Je mehr getestet wird, desto mehr Fälle gibt es" ungenau ist. Infektionszahlen und Testzahlen entwickeln sich weitgehend unabhängig voneinander. Das zeigt sich beispielsweise zwischen Kalenderwoche (KW) 16 und der Kalenderwoche 19: Hier stiegen die Testzahlen, die Infektionszahlen nahmen ab.

Besonders eindrücklich zeigt sich, dass es keine Korrelation zwischen den beiden Zahlen gibt, wenn man den Zeitraum zwischen KW 24 und KW 31 betrachtet.

In der Kalenderwoche 24, am 09. Juni, verkündete Gesundheitsminister Spahn: "Wenig zu testen ist teurer, als zu viel zu testen." Ab diesem Zeitpunkt konnte sich auch testen lassen, wer "keine Symptome" einer Covid-19-Erkrankung zeigte. Hinzu kamen Personen, die "Kontakt zu jemandem hatten, der positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde". Zusätzlich wurden Reihentestungen in Pflegeheimen und medizinischen Einrichtungen sowie Schulen und Kindertagesstätten festgelegt. (Quelle)

Der Anstieg der Infektionszahlen in der darauffolgenden Woche (KW 25) ist auf den Corona-Ausbruch in der Tönnies Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück zurückzuführen.

Bildrechte: BR Data mit Zahlen des Robert Koch-Institut
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Zuwächse: Neue Fälle (blau) & Testzahlen (orange); Es zeigt sich: kein Zusammenhang

Aktuell sieht man seit der KW 28, der ersten Kalenderwoche, seit der die Neuinfektionen wieder zunehmen, dass sich die Zahl der Neuinfektionen fast verdoppelte (98 Prozent Zunahme), während die Zahl der Tests um 13 Prozent zunahm. Das ist die Entwicklung der vergangenen vier Wochen. Wählt man als Zeitraum die Kalenderwochen 24 bis 31, dann zeigt sich: Während sich die Infektionszahlen mehr als verdoppelten (104 Prozent), nahmen die Testzahlen um 75 Prozent zu.

Falschbehauptungen: Von Trump bis zu deutschen Verschwörungsideologen

Zu sagen: "Je mehr man testet, desto mehr Fälle findet man" ist also extrem verkürzt. Das Infektionsgeschehen entwickelt sich losgelöst von den Tests. Zugleich helfen mehr Tests dabei, die Fälle zu entdecken, die zuvor vielleicht unentdeckt geblieben wären. Diese Erkenntnis weisen einige Personen zurück. In Deutschland sind es vor allem Corona-Relativierer, in den USA ist es auch Präsident Donald Trump. Dieser betonte in der Vergangenheit mehrfach, dass die hohe Testzahl der Grund für die hohe Anzahl von registrierten Infizierten sei. Am 23. Juni twitterte Trump:

Diese Behauptung wiederholte er am 19. Juli in einem Interview mit dem US-Fernsehsender Fox News.

"Die Fälle steigen, weil wir weltweit die besten Tests haben und weil wir am meisten testen." US-Präsident Donald Trump (Original: "Cases are up because we have the best testing in the world and we have the most testing.")

Mehrere US-amerikanische Fact-Checking Seiten überprüften Trumps Aussagen und bezeichnen sie als "falsch" oder "irreführend".

Die Faktenchecker der Universität Pennsylvania stellten klar, dass es so viele Corona-Fälle in den USA gebe, weil sich die Krankheit ausbreite, nicht nur weil viel getestet würde (im Original: "Cases are high because of ongoing transmission, not just because of testing.")

Verschwörungen zu Tests und Infektionen

Neben Trump verbreiten in Deutschland seit Ausbruch der Pandemie Personen aus dem verschwörungsideologischen Umfeld die Behauptung, dass die Infektionszahlen nur deshalb anstiegen, weil die Testkapazitäten ausgeweitet werden.

Häufig sind diese Behauptungen mit politischen Verschwörungsideen verbunden. So schreibt eine Plattform aus dem Umfeld der "Alternativen Medien", es werde bewusst mehr getestet, um mehr Fälle zu finden - mit dem Ziel "den nächsten Krisenfall zu rechtfertigen". Belege für die Behauptung liefert der Urheber des Textes nicht.

Zahlreiche Falschbehauptungen in wenigen Sätzen

Auch auf der Messaging-Plattform Telegram spekulieren Nutzer über eigentlich sinkende Fallzahlen - und dass durch die Tests ein anderes Bild der Lage suggeriert werden solle. Als Ziel, so heißt es, solle "eine breite öffentliche Unterstützung für ein Gesetz zur Einführung der Zwangsimpfung" erreicht werden.

In diesem Absatz stehen gleich drei Falschbehauptungen. Zum einen plant das Gesundheitsministerium keine "Zwangsimpfungen". Zum anderen sinken die registrierten Zahlen nicht, sondern die Neuinfektionen steigen. Für die Aussage, die Testkapazitäten würden nur zu dem Zweck ausgeweitet, politische Maßnahmen zu rechtfertigen, liefern der oder die Urheber der Nachricht keine Belege.

Aktueller Anstieg hat laut RKI mehrere Gründe

Das Robert Koch-Institut (RKI) betont auf BR24-Anfrage, dass "Lockerungen überhaupt möglich waren, haben wir der Tatsache zu verdanken, dass es gelungen war, die Ausbreitung des Virus - auf Grund der getroffenen Maßnahmen - deutlich zu verlangsamen". Der aktuelle Anstieg der Fallzahlen habe verschiedene Gründe, darunter "viele kleinere Ausbruchsgeschehen in verschiedenen Landkreisen, die mit unterschiedlichen Situation in Zusammenhang stehen, z.B. größeren Feiern im Familien-und Freundeskreis, Freizeitaktivitäten, an Arbeitsplätzen, aber auch in Gemeinschafts-und Gesundheitseinrichtungen, Reiserückkehrern". Über die Wichtigkeit der Tests schreibt das RKI abschließend:

"Die Tests helfen dabei, das Geschehen so realistisch wie möglich abzubilden, Fälle und Ausbrüche rasch zu erkennen und eine weitere Ausbreitung zu verhindern." Robert Koch-Institut auf BR24-Anfrage

Fazit:

Durch mehr Tests werden vor allem Fälle registriert, die zuvor womöglich nicht aufgefallen wären. RKI und Gesundheitsminister Spahn werten das als Erfolg: Infektionsketten könnten dadurch effektiver nachvollzogen und durchbrochen werden.

Aus den Aussagen des RKI und der Analyse der Zahlen durch das Team von BR-Data geht hervor, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Ausweitung der Tests und der Zahl der Neuinfektionen gibt.

Die pauschale Aussage: "Mehr Tests führen zu mehr positiven Fällen" ist irreführend.

Die aktuell hohen Corona-Zahlen in den USA und in Deutschland lassen sich nicht durch die Testzahlen erklären, sondern durch das jeweilige Infektionsgeschehen. Aktuell steigen die Corona-Zahlen in Deutschland schneller als die Zahl der Testungen. Je nach Vergleichszeitraum (KW 24-31) nahmen die Tests um 75 Prozent zu, die Neuinfektionen um 104 Prozent. In den vergangenen vier Wochen (KW 28-32) stiegen die Testzahlen um 13 Prozent und die Neuinfektionen um 98 Prozent.

"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!