Rauchender Schornstein
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CO2-Kompensation – Warum sie oft mehr schadet als nutzt

Klimaneutral, das ist ein großes Werbeversprechen: Paketdienste, Fluganbieter, Kraftstoffmarken, selbst die WM in Katar werben damit. Erkauft wird die Klimaneutralität über Emissionsgutschriften. Doch das kann dem Klima mehr schaden als nutzen.

Die Idee ist bestechend: Fürs Klima kann man an vielen Orten auf der Welt was tun: Bäume pflanzen, Biogasanlagen einrichten, einen Windpark bauen. Nur fehlt oft das Geld dazu. Wenn man aber die Leute, die zum Beispiel auf Flugreisen CO2-Emissionen erzeugen, dazu bringt, pro Flugkilometer Geld für genau solche Projekte zu spenden – dann geht es woanders auf der Welt im Klimaschutz voran. Das ist die Idee der CO2-Kompensation.

Kyoto-Protokoll als Geburtsstunde der CO2-Kompensation

Das Modell stammt aus den 1990er Jahren. Die Klimarahmenkonvention in Kyoto hatte erstmals Ziele für den internationalen Klimaschutz festgelegt. Verpflichtungen, CO2-Emissionen zu senken, gab es damals nur für die Industrieländer - nicht aber für Entwicklungsländer. Und die Industrieländer hatten die Idee, dass sie sich Klimaschutz-Engagement in anderen Ländern anrechnen lassen. Ihr Argument: Wenn man mit 100.000 Euro in einem Land wie Indien oder Peru womöglich sogar mehr CO2 einsparen kann als in einem Industrieland, könnte ein Handel mit CO2-Gutschriften den weltweiten Klimaschutz sogar voranbringen.

Großer Markt für Emissionsgutschriften

Über die ganze Welt verteilt sind eine Vielzahl von Projekten entstanden: Windparks in Indien oder Biogasöfen für Kleinbauern in Nepal. Oder auch umweltfreundliche Technik in der Industrie, um zum Beispiel Lachgas in Chemiefabriken zu vermeiden. Über die Jahre ist ein großer Markt entstanden. Auf der Käuferseite stehen Staaten, die sich Zertifikate besorgen, um ihre nationale CO2-Bilanz zu verbessern, oder auch Unternehmen und Privatkunden, die so das CO2 ihres Langstreckenfluges oder ihrer Zementfabrik kompensieren wollen.

Pariser Klimaabkommen ändert die Spielregeln

Allerdings: Die weltweiten Regeln für den Klimaschutz haben sich inzwischen geändert. Seit 2015 gilt das Pariser Klimaabkommen - ein Meilenstein im weltweiten Klimaschutz. Es verpflichtet alle Länder, sich Einsparungsziele zu geben, nicht nur die reichen Industrienationen. Jedes Land muss durch Gesetze, Grenzwerte oder Anreize für Unternehmen dafür sorgen, dass es seinen CO2-Ausstoß senkt. Bis Mitte des Jahrhunderts möglichst auf Null. Und kaum einem Land fällt das CO2-Sparen so leicht, dass es noch für andere mitsparen kann.

Gerade Entwicklungsländer haben finanziell ja nur begrenzte Möglichkeiten, erklärt Carsten Warnecke vom New Climate Institute: "Wenn ich denen die günstigsten Emissionsreduktionen klaue, dann können die ihr eigenes Ziel nicht erreichen. Und dann ist, global gesehen, für das Klima nichts passiert. Zugleich behauptet irgendein Unternehmen im Industrieland, es hätte keinen negativen Einfluss. Und dann ist diese Behauptung einfach nicht wahr."

Zusätzlicher Klimaschutz schwer zu beweisen

Denn Klimazertifikate gibt es nur für Projekte, die zusätzlich sind. Das heißt, die zusätzlich zu dem entstehen, was gemäß der Klimaschutzpolitik eines Landes oder gemäß der Nachfrage auf dem Markt ohnehin passieren würde. In den meisten Fällen reicht es nicht mehr, einfach in Indien oder Chile einen neuen Windpark zu finanzieren. Denn diese Technologie ist erprobt und erschwinglich. Stattdessen müssen man dafür sorgen, dass es Klimaschutzmaßnahmen sind, die das Entwicklungsland auf keinen Fall selber hätte umsetzen können, erklärt Carsten Warnecke: "Es geht hier um die teuersten Emissionsminderungen in dem Land. Da reden wir wirklich über Nischentechnologien, wo man nicht wirklich weiß, ob das funktioniert." Das kann zum Beispiel ein Mini-Kraftwerk in der Mongolei sein, das Solarthermie und Photovoltaik kombiniert – und auch bei eisiger Winterkälte funktioniert. Solche Projekte aber gibt es nicht in großer Anzahl und auch nicht ohne Risiko. Die Möglichkeiten, neu CO2-Gutschriften zu erzeugen, werden immer weniger.

Waldprojekte viel zu optimistisch beurteilt

Besonders problematisch als Kompensationsprojekte sind außerdem Waldprojekte – und die sind gleichzeitig besonders beliebt. Sie liefern schöne Bilder für Werbebroschüren. Aber die Bilanz geht oft nicht auf, wie Juliette de Grand Pre vom WWF knapp formuliert: "Mit ihrem Flug erzeugen Sie Emissionen, die bis zu 1.000 Jahre in der Atmosphäre bleiben. Sie kompensieren das mit einem Baumprojekt, wo die Permanenz nur für 30 Jahre garantiert ist." Und selbst für 30 Jahre liegt die Garantie nicht bei hundert Prozent: In Kalifornien sind 2021 mehrere Waldflächen abgebrannt, die eigentlich für Kompensationsprojekte bewirtschaftet wurden. Das ist ein Grundproblem bei Waldprojekten anderen sogenannten naturbasierten Lösungen. Aufforstung, Bewirtschaftung von Wäldern und Feuchtgebieten sind zwar wichtig, um auf lange Sicht den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu begrenzen. Aber wie dauerhaft sie das tun, ist nicht zu garantieren.

Seriöse Kompensationsanbieter wie atmosfair, über den Privatkunden zum Beispiel ihre Flugmeilen kompensieren können, haben deswegen entschieden, Klimazertifikate aus Waldprojekten nicht mehr zu nutzen. Auf dem globalen Markt für solche Zertifikate erleben solche Projekte allerdings gerade einen regelrechten Boom, berichtet Lambert Schneider vom Öko-Institut: "Über die Hälfte der Zertifikate machen Waldprojekte aus." Ein Riesenproblem:

Zu viele Klimazertifikate, die kein CO2 einsparen

Der Beweis, dass Kompensationsprojekte zusätzlich und dauerhaft sind, ist schwer zu erbringen. Lambert Schneider vom Öko-Institut hat den Handel mit Klimazertifikaten über Jahre aus nächster Nähe beobachtet. Er war als Mitglied der deutschen Delegation bei Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen und hat die UN beraten, welche Regeln der zwischenstaatliche Handel mit Klimazertifikaten braucht. Für ihn ist klar: "Nicht hinter jedem Zertifikat steht eine Tonne eingespartes CO2."

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY schätzt, dass in den nächsten Jahren drei Milliarden Klimazertifikate auf den Markt kommen, obwohl sie mit keiner zusätzlich eingesparten Tonne CO2 hinterlegt sind. Im Dschungel der Kompensationsanbieter helfen bestenfalls Zertifikate weiter: Der Goldstandard, vom WWF entwickelt, gilt als das strengste Gütesiegel. Ein anderes: Der Verified Carbon Standard. Doch solange die Käufer von Zertifikaten nicht auf Qualitätsstandards bestehen, können sie sich auf dem Kompensationsmarkt mit sehr billigen Zertifikaten eindecken.

Nachfrage wächst rasant, aber gute Kompensationsprojekte sind rar

Dass es bei der Qualität der CO2-Zertifikate ein Problem gebe, sei den Marktteilnehmern bewusst, sagt Lambert Schneider. Aber gleichzeitig wachse die Nachfrage: "Der Markt ist in den letzten zwei, drei Jahren sehr schnell gewachsen. Die Hauptnachfrage kommt von Unternehmen, denn immer mehr Unternehmen setzen sich Klimaneutralitätsziele."

Am Ende aber schade die CO2-Kompensation dann sogar mehr, als sie nutze, sagt Carsten Warnecke vom New Climate Institute: "Wir kommen dann in eine Situation, wo alle behaupten, sie hätten Netto-Null-Emissionen. Die globalen Emissionen sind aber gleichgeblieben. Und wenn wir das in zehn Jahren realisieren, dann haben wir ein riesengroßes Problem, das können wir uns definitiv nicht noch mal erlauben."

Emissionsverantwortung statt Kompensation

Die Probleme beim Handel mit Emissionsgutschriften zeigen: Grundsätzlich müssen wir uns verabschieden vom Gedanken, wir könnten Emissionen, die wir verursachen, wieder ungeschehen machen. "Klimaneutral" bleibt ein falsches Werbeversprechen, so lange unsere gesamte Wirtschaft noch nicht klimaneutral ist. Viel wichtiger als windige Versprechen zu Netto-Null-Zielen bei den CO2-Emissionen ist laut Warnecke: Hauptsache alle – Unternehmen, Privatleute und auch Staaten – legen offen Rechenschaft ab, wieviel CO2 sie noch erzeugen. Auf diese transparente Rechnung muss dann noch ein Schritt folgen: Verantwortung für die Restemissionen übernehmen. "Zum Beispiel in Projekte investieren, die theoretisch auch Zertifikate generieren können. Aber das führt dann eben nicht dazu, dass wir sagen können, wir sind CO2-neutral", so Warnecke.

An solchen Konzepten arbeiten auch Kompensationsanbieter, gehandelt werden sie unter dem Stichwort "Contribution Claim". Damit könnten Unternehmen belegen, dass sie Klimaschutzprojekte finanzieren. Aber ihre Klima-Bilanz würde ihren tatsächlichen CO2-Ausstoß widerspiegeln. Denn nur eine ehrliche CO2-Bilanz bringt den Klimaschutz voran.

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