Russland will ISS 2024 verlassen
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Russland will ISS 2024 verlassen

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2024 ist Schluss: Russland steigt aus dem ISS-Programm aus

Moskau will in zwei Jahren die ISS verlassen und eine eigene Raumstation aufbauen. Die NASA möchte sie eigentlich erst 2030 außer Dienst stellen. Welche Konsequenzen das hat, dazu äußerte sich der ehemalige Astronaut und Physiker Reinhold Ewald.

Der Ausstieg Russlands aus der ISS nach 2024 ist gefallen. So formulierte es der neu ernannte Chef der russischen Weltraumorganisation Roskosmos, Juri Borissow, am Dienstag. Doch was bedeutet das? Gehen am 31. Dezember 2024 die Lichter der Internationalen Raumstation aus? Der ehemalige Astronaut und Professor für Astronautik und Raumstationen an der Universität Stuttgart, Reinhold Ewald, bezweifelt das. Man habe eher mal ausloten wollen, was die Aussage "Wir beenden den Betrieb 2024" eigentlich heißt. Diese Ansicht wird unterstützt von der hochrangigen NASA-Managerin Kathy Lueders. Sie sagte der Nachrichtenagentur reuters, dass Russland sich bis mindestens 2028 weiter an der ISS beteiligen werde. Dies habe man von den russischen Kollegen erfahren. "Auf Arbeitsebene gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass sich etwas geändert hat", so Lueders.

"Niemand im Westen will, dass Russland aus dem Weltraum-Projekt aussteigt"

Reinhold Ewald, der 1997 auf der russischen Raumstation MIR war, ergänzte im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk: "Wenn Verträge noch irgendetwas zählen, müsste Russland zumindest Teil der Kampagne bleiben, die Internationale Raumstation sauber aus dem Orbit zu entfernen." Und weiter: "Wenn man da einfach sagt, wir machen die Luke zu und den russischen Teil betritt keiner mehr, ist das natürlich ein weiterer Bruch eines Vertrages." Ein solches Vertragswerk und ein solches miteinander verzahntes, kompliziertes System aufzulösen, gehe nicht per Ankündigung im Kreml. Außerdem wolle keiner im Westen, dass die Russen aus dem Projekt aussteigen. "Die Partnerschaft ist ein Wert für sich", bekräftigte Ewald.

Russlands Aufgabe: Weltraumschrott ausweichen und die ISS auf Kurs halten

Vor allem der frühere Roskosmos-Chef, Dmitri Rogosin, hatte die ISS des Öfteren als Druckmittel benutzt und unter anderem mit ihrem Absturz gedroht. Was wäre also, wenn sich die Russen tatsächlich aus dem Projekt verabschieden würden? Reinhold Ewald, der bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA auch den ISS-Missionsbetrieb leitete, sagte, dass die Station theoretisch trotzdem weiter betrieben werden könnte.

Eine zentrale Aufgabe der Russen ist es, die Station hin und wieder aus dem Kollisionskurs mit Weltraumschrott zu bugsieren. Außerdem bremst Restatmosphäre die ISS langsam ab und sie sinkt – ein russisches Segment sorgt dann dafür, dass die Station hin und wieder etwas angehoben wird. Doch auch diese Aufgabe könnte von einem amerikanischen Raumfrachter übernommen werden, betonte Ewald: "Mit den Tests, die die amerikanische Seite jetzt mit der Cygnus-Kapsel gemacht hat, den Orbit der Raumstation auch anheben zu können, haben wir sozusagen eine Alternative zu dem, was die Russen als Hauptleistung für die Raumstation tun."

Die Korrektur der ISS-Umlaufbahn sei zudem nicht immer Aufgabe der Russen gewesen. Eine Zeitlang habe ein europäischer Raumfrachter, das sogenannte ATV (Automated Transfer Vehicle), diese Aufgabe übernommen: "Es waren fünf ATVs an die Raumstation nacheinander angekoppelt und sie haben genau diesen Dienst verrichtet, den die Russen jetzt sozusagen in die Partnerschaft einbringen."

Internationale Partnerschaft garantiert unabhängige Systeme, die bei Ausfällen greifen

Würde der russische Teil der Raumstation nicht mehr weiter betrieben, würden insgesamt Redundanzen reduziert werden, sagte Weltraumexperte Ewald. Es würden also Systeme fehlen, die beim Ausfall eines anderen Systems einspringen könnten. "So stellen wir uns eine Partnerschaft vor, dass wir unabhängige Systeme haben, die einen Weiterbetrieb garantieren." So habe man die Internationale Raumstation auch durch kritische Phasen der vergangenen 22 Jahre bugsiert. Zusammengefasst würde ein Weiterbetrieb "theoretisch funktionieren, ist aber dann immer einen Schritt vom Totalausfall entfernt und das ist in der Raumfahrt natürlich immer auch ein Risiko."

Neue Raumstation: Was anfangen mit den restlichen russischen Modulen?

Noch dramatischer wäre es, wenn Russland eines oder mehrere seiner Module von der ISS abkoppeln und für eine eigene Raumstation verwenden würde. Auch das war immer wieder im Gespräch. Es werde in der Fachwelt jetzt viel diskutiert, welche Teile der russischen Raumstation man dann noch sinnvoll nutzen könne, um etwas Neues zusammenzubauen, sagte Ewald. Das betreffe vor allem die neueren Module, wie das erst im vergangenen Jahr angedockte russische Forschungsmodul Nauka. Eine weitere theoretische Möglichkeit wäre das russische Wohn- und Navigationsmodul Swesda, aber "da sehen wir mit hochgezogenen Augenbrauen, dass da doch das Material jetzt ermüdet, dass wir also zunehmend auch mit Lecks zu tun haben." Diesem Teil eine zentrale Rolle bei der nächsten Raumstation zu geben, berge ein hohes Risiko.

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