Eigentlich herrscht in Deutschland Tarifautonomie: Arbeitnehmer und Arbeitgeber handeln die Lohnhöhen aus. Der Staat darf sich nicht einmischen. Beim gesetzlichen Mindestlohn wurde deshalb eine eigene Kommission eingerichtet, die ein Plus aushandelt.
Ein kräftiges Plus per Gesetz
Der Mindestlohn stieg seit Einführung 2015 von 8,50 Euro auf zuletzt 10,45 Euro. Zu wenig angesichts der Lebenshaltungskosten – so die Kritik. Die SPD, aber auch die Grünen setzten in den Koalitionsgesprächen dann 12 Euro durch. Das entspricht nicht ganz 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland. Wer weniger verdient, gilt laut der gebräuchlichen Definition von Organisationen als armutsgefährdet.
Die Regierung verspricht, nur ausnahmsweise eingegriffen zu haben, um das soziale Gleichgewicht wiederherzustellen. Nächstes Jahr soll dann die Mindestlohnkommission wieder ihren Auftrag ausführen und über ein Plus für 2024 beraten. Die Kommission legt die allgemeine Lohnentwicklung der Vorjahre zu Grunde.
Ein Muss mit Ausnahmen
An die 12 Euro die Stunde müssen sich alle Arbeitgeber mindestens halten, auch die ausländischen Firmen, die hierzulande ihre Dienste anbieten. Es gibt aber Ausnahmen. Die bestimmt das Gesetz: Vorher Langzeitarbeitslose zum Beispiel können in den ersten sechs Monaten im Job weniger erhalten genauso wie Praktikanten, wenn ihre Ausbildung diesen Praxisteil vorsieht. Auszubildende erhalten eine Vergütung. Für die gibt es eigene gesetzliche Mindesthöhen je nach Lehrjahr. Zudem gelten in einigen Branchen tarifliche Untergrenzen wie in der Pflege oder bei Gebäudereinigern. Auch die müssen jetzt auf 12 Euro mindestens angehoben werden.
Die Profiteure der Untergrenze
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil spricht von über sechs Millionen Beschäftigten, denen der neue Mindestlohn zu Gute kommt. Genannt werden vor allem die Branchen mit eher niedrigem Verdienst wie der Einzelhandel, das Hotel- und Gaststättengewerbe oder die Gebäudereiniger. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung kommt in einer aktuellen Studie auf bundesweit 6,6 Millionen, die bisher weniger als zwölf Euro verdienten.
Für Bayern verzeichnet die Studie gut 930.000 – das wären fast 15 Prozent aller Beschäftigten, hauptsächlich in Minijobs. Damit aber liegt der Freistaat genauso wie Baden-Württemberg weit unter dem Bundesdurchschnitt. Gerade im Süden der Bundesrepublik lässt sich besser verdienen als im Norden oder gar Osten.
Der gesetzliche Mindestlohn zwing jetzt viele Unternehmen, die Arbeitsverträge zu korrigieren. Unter 12 Euro in der Stunde darf nicht mehr gezahlt werden, auch wenn im Vertrag etwas anderes steht.
Die Kritik am neuen Mindestlohn
Müssen Firmen einigen Beschäftigten nun kündigen, weil sie den neuen Mindestlohn nicht mehr zahlen können? Einige Fachleute befürchten das – wie schon 2015, als der erste Mindestlohn per Gesetz in Deutschland in Kraft trat. Damals führten aber - anders als vorausgesagt - die 8,50 Euro nicht zu einer Kündigungswelle.
Das IAB, das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit, beruft sich auf die Agenturen vor Ort. Die erwarten weniger Folgen für den Arbeitsmarkt trotz Konjunkturkrise. Sie verweisen auf den Kräftemangel in vielen Branchen.
Das ifo Institut sieht eine andere Gefahr und beruft sich auf eine Umfrage unter Betrieben: Die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes könnte die Inflation zusätzlich anheizen. Fast 60 Prozent der befragten Firmen wollen ihre Preise hochsetzen, wenn die Personalkosten steigen.
Die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, BdA, übt nicht am Mindestlohn selber, sondern an der Regierung und dem Bruch mit der Tarifautonomie Kritik. Sie fürchtet ein wiederkehrendes staatliches Tarifdiktat und droht mit einer Verfassungsklage. Ein Jahr lang hätte sie Zeit, diese einzureichen.
Die mangelnde Kontrolle
Was die Tarifverträge anbelangt, so wurden die meisten schon angepasst und die dort vorgesehenen Untergrenzen teils auf über 12 Euro angehoben. Doch nicht einmal die Hälfte der Beschäftigten in Bayern können sich auf einen solchen Vertrag berufen. Die anderen werden ihren Anspruch auf den neuen gesetzlichen Mindestlohn im Einzelfall durchsetzen müssen. "Tricksen" ist laut DGB nicht erlaubt. Das Trinkgeld oder Kosten für Verpflegung und Unterkunft dürften zum Beispiel nicht verrechnet werden.
Für Verstöße gegen das Mindestlohngesetz ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit zuständig. Dort können sich Betroffene auch anonym hinwenden. Allerdings sei diese – so die Kritik der Gewerkschaften – für eine effiziente Kontrolle unterbesetzt.
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