Es ist eine Konstellation auf der Anklagebank, die schon vor Beginn des Wirecard-Prozesses viel Reibung versprochen hatte: Markus Braun vs. Oliver Bellenhaus – der Ex-Wirecard-Chef gegen den ehemaligen Statthalter, der bei der Staatsanwaltschaft ausgepackt hat und Braun schwer belastet. Der zweite Prozesstag vor dem Landgericht München I bestätigte dann auch die Erwartungen und bot einen Vorgeschmack auf ein Verfahren, das mit viel Schärfe geführt werden dürfte.
Braun-Verteidiger: Mein Mandant ist Opfer, nicht Täter
Auf der einen Seite: Alfred Dierlamm, der Verteidiger von Braun. In seinem zweistündigen Statement holte er zum Rundumschlag aus und griff die Staatsanwaltschaft sowie den Mitangeklagten Oliver Bellenhaus scharf an. "Die Vorverurteilung ist beispiellos wie prägend für dieses Verfahren", sagte Dierlamm.
Für den Verteidiger ist sein Mandant nicht Täter, sondern Opfer. So hatte er es auch vor Beginn des Prozesses immer wieder deutlich gemacht. Es gebe Zahlungsflüsse in Milliardenhöhe und Konten-Analysen, die das Wirecard-Drittpartnergeschäft belegen würden, erläuterte Dierlamm. Die Staatsanwaltschaft habe diese Belege jedoch unberücksichtigt gelassen. Über einen Antrag des Anwalts, den Prozess aufgrund der Menge an Akten auszusetzen, entschied das Gericht zunächst nicht.
Aus Sicht von Dierlamm sei die Staatsanwaltschaft zu einseitig dem Narrativ von Bellenhaus gefolgt – für ihn "nicht Kronzeuge, sondern Haupttäter einer Bande". Er habe Geldflüsse verschwiegen und Transaktionsdaten gelöscht, seine Aussagen seien deshalb weder glaubwürdig noch plausibel. So habe er beispielsweise in seiner ersten Vernehmung Anfang Juli 2020 noch zu Protokoll gegeben, dass Braun nicht über die Manipulationen informiert gewesen sei. Etwa eine Woche später habe er dann das Narrativ einer Bande um Braun präsentiert, auf das sich die Staatsanwaltschaft bis heute stütze.
Bellenhaus-Verteidiger weist Vorwürfe als "hanebüchen" zurück
Vorwürfe wie diesen bezeichnete Bellenhaus-Anwalt Florian Eder in seinem Statement als "unter der Gürtellinie". Warum hätte sich sein Mandat aus dem sicheren Ausland nach Deutschland begeben sollen, um sich den Behörden zu stellen und zu kooperieren? "Nur um Herrn Dr. Braun in die Pfanne zu hauen?" Diese Vorstellung sei völlig hanebüchen und abwegig, sagte Eder.
Die von der Braun-Verteidigung angeführten Belege für das Drittpartnergeschäft seien nichts weiter als "Nebelkerzen". Die Beweisaufnahme werde die Aussagen von Bellenhaus bestätigen. Wirecard habe es immer verstanden, Vorwürfe zurückzuweisen und sich als Opfer darzustellen, so Eder. Doch: "Markus Braun ist kein Opfer."
Welche Rolle spielte der dritte Angeklagte, Stephan von Erffa?
Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Bellenhaus meldete jedoch auch die Verteidigung von Stephan von Erffa an. Der ehemalige Chefbuchhalter soll laut Anklage ebenfalls an dem Milliardenbetrug beteiligt gewesen sein. Doch seine Verteidigerin Sabine Stetter widersprach dieser Ansicht: Ihr Mandat sei kein Bandenmitglied gewesen.
Vielmehr habe Bandenboss Jan Marsalek vermutlich mehrere hundert Millionen versteckt. Marsalek ist seit dem Zusammenbruch von Wirecard auf der Flucht, Sicherheitsbehörden vermuten ihn in Russland. Auch Bellenhaus habe mehrere Millionen in einer geheimen Stiftung geparkt, fuhr Stetter fort. Bellenhaus‘ Erklärungen nannte sie "fadenscheinig". Dennoch habe die Staatsanwaltschaft ihm leichtfertig geglaubt.
Aussage von Ex-Wirecard-Chef Braun frühestens im Januar
Von Erffa selbst will im Verfahren zunächst schweigen. Oliver Bellenhaus dagegen könnte bereits beim dritten Prozesstag an diesem Mittwoch aussagen. Markus Braun ließ über seinen Verteidiger ausrichten, dass er sich frühestens im Januar zu den Vorwürfen äußern möchte. Auch ohne diese Stellungnahmen wird bereits nach zwei Tagen deutlich: Der Kampf um Glaubwürdigkeit und Deutungshoheit im Wirecard-Prozess ist in vollem Gang.
Wirecard-Prozess
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!