Noch läuft die Beweisaufnahme im Wirecard-Prozess gar nicht, doch es geht bereits permanent um Details: Wann wusste Markus Braun von dieser oder jener Entwicklung? An wen hat sich der ehemalige Vorstandschef in welchem Fall gewandt? Wer war wofür zuständig?
In dieser Woche waren es der dritte und vierte Prozesstag, an denen Braun zu Wort kam – diesmal musste er sich vor allem den vielen Fragen des Vorsitzenden Richters Markus Födisch stellen. Im Mittelpunkt dabei: das strittige Drittpartnergeschäft in Asien. Dort war 2020 die Lücke von 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz aufgetaucht, was den Betrug ans Licht gebracht und Wirecard in die Insolvenz getrieben hatte.
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Braun: Kannte keine Details des Wirecard-Drittpartnergeschäfts
Wenn es um das Drittpartnergeschäft geht, malt Markus Braun weiter an dem bekannten Bild des unwissenden CEO. Er habe natürlich die Grundzüge und den Mehrwert des Geschäfts gekannt, bei dem Wirecard für die Zahlungsabwicklung auf Drittfirmen zurückgriff – überall dort, wo der Konzern über keine eigene Lizenz verfügte. Aber wenn es um technische Details geht, habe er nur eine "grobe Vorstellung" gehabt, sagt Braun: "In die direkte Vertriebsansprache war ich nicht involviert."
Sein heutiges Wissen darüber hat er nach eigener Aussage aus den Akten gewonnen. Basierend darauf hält Braun einen mehrstündigen Vortrag über die Feinheiten des Drittpartnergeschäfts: Firmennamen und -gründungen, Zahlungsbelege, interne E-Mails, Schaubilder – eine Präsentation mit 63 Seiten.
Zusammengefasst läuft es darauf hinaus, dass das Drittpartnergeschäft existiert habe und die Gelder daraus veruntreut worden seien. "Für mich ist die Beweislast erdrückend, dass hier Nettoerträge ausgeleitet werden", sagt Braun und beschuldigt unter anderem den Mitangeklagten Oliver Bellenhaus. Die Staatsanwaltschaft und Bellenhaus sind dagegen der Ansicht, dass dieses Geschäft erfunden war.
Braun gibt sich im Bilanzskandal unschuldig
Braun bleibt damit bei seiner Sicht, die er bereits zu Anfang seiner Einlassung vor zwei Wochen präsentiert hatte: Hier sitze der Falsche auf der Anklagebank. Ein Opfer, das selbst vom Betrug überrascht worden sei. Warum sonst habe er beispielsweise noch kurz vor Bekanntwerden des Bilanzskandals Aktien nachgekauft? Eines der Argumente, auf das Braun und sein Verteidiger immer wieder zu sprechen kommen.
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Vorwurf der Marktmanipulation gegen Braun
Auch die Ad-hoc-Mitteilung von Wirecard vom 22. April 2020 nimmt noch einmal Raum ein. Darin hatte der Konzern zur laufenden Sonderuntersuchung des Wirtschaftsprüfers KPMG mitgeteilt: "Belege für die öffentlich erhobenen Vorwürfe der Bilanzmanipulation wurden nicht gefunden."
Die Staatsanwaltschaft nennt die Ad-hoc-Mitteilung "irreführend" und wirft Braun Marktmanipulation vor. Denn zu diesem Zeitpunkt habe nicht festgestanden, ob der KPMG-Bericht den Konzern tatsächlich entlasten würde. Vielmehr mussten noch weitere Unterlagen geprüft werden.
Braun verteidigt umstrittene Wirecard-Ad-hoc-Meldung
Braun erklärt vor Gericht dazu, alle Beteiligten hätten ihm ausreichend Spielraum eingeräumt, welche Formulierung er für die Mitteilung wählt. Und zu diesem Zeitpunkt sei er überzeugt gewesen, dass alle Zweifel ausgeräumt werden. "Man muss auf dem Spielfeld sein, man nutzt das Spielfeld aus. Aber man geht niemals über den Spielfeldrand", beschreibt Braun seinen Leitsatz, nach dem er stets gehandelt habe. "Aus meiner Sicht war die Ad-hoc-Meldung auf dem Spielfeld."
Richter Födisch stellt dagegen zur Diskussion, ob die Mitteilung nicht anders formuliert werden hätte müssen. Etwa: "Bisher wurden Prüfungshemmnisse geltend gemacht. Es wurden Unterlagen nachgereicht, die aus unserer Sicht, die Hemmnisse beseitigen werden."
Aus Sicht von Braun drängt jedoch bei einer Ad-hoc-Mitteilung derart die Zeit, dass auf solche Details nicht eingegangen werden könne. Zudem hätte "der Markt das ohne Kontext nicht verstanden". Die Antwort des Richters: "Oder der Markt hätte damit vielleicht nicht das anfangen können, was Sie wollten."
Gericht ist bei manchen Braun-Aussagen sichtlich skeptisch
Es sind Momente wie diese, in denen Richter Födisch durchblicken lässt, wo er offenbar Zweifel an Brauns Aussagen hat. "Dazu werden wir in der Beweisaufnahme auch noch die Zeugen befragen", ist so ein typischer Födisch-Satz. Oder: "Sind wir mal gespannt, was die Beweisaufnahme ergibt – was die Aktenlage hergibt, wissen wir beide."
Bis zu dieser Beweisaufnahme wird sich aber voraussichtlich erst einmal noch drei weitere Prozesstage alles um Braun drehen. Die ersten Zeugen sind nach Auskunft des Gerichts für den 16. März geladen. Um die Aussagen des ehemaligen Vorstandschefs zu hinterfragen und einzuordnen, mangelt es auch dann nicht an Zeit: Von den insgesamt 100 Verhandlungstagen ist noch nicht einmal ein Sechstel vorbei.
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