Es war der Vorsitzende Richter, der bisher einen der zentralen Sätze im Wirecard-Prozess geprägt hat: "Sind wir mal gespannt, was die Beweisaufnahme ergibt", hatte Markus Födisch gesagt, als er den angeklagten Ex-Chef Markus Braun befragte. Denn auch wenn die Befragung von Braun und den anderen Angeklagten nun abgeschlossen ist, bleiben viele Fragen offen.
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Die genauen Vorgänge rund um den Milliardenbetrug bei dem Zahlungsdienstleister sind auch nach 19 Verhandlungstagen im unterirdischen Gerichtssaal der Münchner JVA Stadelheim noch immer schwer zu greifen. Im Raum stehen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft und sehr unterschiedliche Aussagen der Angeklagten, die sich gegenseitig belasten. Bevor nun die Beweisaufnahme beginnt, hier ein Überblick:
Vorwürfe im Wirecard-Prozess: Wer hat was gesagt?
- Staatsanwaltschaft: 474 Seiten umfasst die Anklageschrift, die sich in vier Bereiche unterteilen lässt: Gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Untreue, Marktmanipulation und unrichtige Darstellung. Auf die Spur brachten die Ermittler rund 1,9 Milliarden Euro, die in der Konzernbilanz gefehlt und im Juni 2020 zur Insolvenz von Wirecard geführt hatten. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass dieses Geld niemals existierte, Banken und Anleger getäuscht wurden und hat deshalb drei Personen angeklagt.
- Markus Braun: Der frühere Wirecard-Chef sieht sich selbst als Opfer und damit zu Unrecht auf der Anklagebank. Die Vorwürfe weist er alle zurück: "Ich hatte keinerlei Kenntnisse von Fälschungen oder Veruntreuungen." Er habe sich mit niemandem zu einer Bande zusammengeschlossen. Der Zusammenbruch von Wirecard sei auch für ihn ein "Schockerlebnis" gewesen. Die Schuld sucht Braun unter anderem bei dem flüchtigen Ex-Vorstand Jan Marsalek und dem Mitangeklagten Oliver Bellenhaus.
- Oliver Bellenhaus: Der ehemalige Dubai-Statthalter von Wirecard gilt als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft, weil er sich den Ermittlern früh gestellt und die Vorwürfe eingeräumt hatte. Er belastet Braun und beschreibt ihn als wichtigen Teil der Bande. Zahlen seien bewusst manipuliert worden, um Wirecard nach außen als erfolgreiches Unternehmen zu präsentierten. Bellenhaus spricht von "einem System des organisierten Betrugs" und beschreibt Wirecard als "Krebsgeschwür".
- Stephan von Erffa: Er ist der ehemalige Chefbuchhalter von Wirecard und anders als Braun und Bellenhaus nicht in Untersuchungshaft. Bislang schweigt er zu den Vorwürfen. Seine Verteidigerin Sabine Stetter hat aber bereits mehrfach deutlich gemacht, dass sie Bellenhaus für unglaubwürdig und als Kronzeugen für ungeeignet hält – so sieht es auch die Braun-Verteidigung.
Wie es im Wirecard-Prozess in der Beweisaufnahme weitergeht
Noch gibt es keinen vollständigen Ablaufplan für die nun beginnende Beweisaufnahme. Klar ist nur, dass mindestens noch 81 weitere Verhandlungstage angesetzt sind. Richter Födisch hat bereits durchblicken lassen, dass sich der Prozess bis ins Jahr 2024 hineinziehen dürfte.
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Zunächst werden in der Beweisaufnahme nun Beamte der Polizei einen ersten Überblick der Ermittlungen geben. Danach folgen ehemalige Wirecard-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Vertrieb und der Compliance-Abteilung. So wird es die nächsten Monate mit Sachverständigen, Wirtschaftsprüfern und anderen Zeugen weitergehen, viele davon aus dem Ausland.
Viele Zeugen und Daten zum Milliardenbetrug bei Wirecard
Welchen Umfang das Verfahren hat, lässt sich an den Ermittlungen im Vorfeld ablesen: Bereits vor dem Prozess wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft 450 Personen vernommen, 90 Europäische Ermittlungsanordnungen oder Rechtshilfeersuchen gestellt und 42 Terabyte an Daten durchforstet. Schon vor Verhandlungsbeginn beliefen sich die Akten auf über 700 Bände und sind inzwischen deutlich angewachsen, weil weiter ermittelt wird.
Selbst wenn nur ein Teil aus den Ermittlungen als Beweise in den Prozess eingebracht wird, liegen noch viele Puzzleteile auf dem Tisch des Vorsitzenden Richters und seiner Kolleginnen und Kollegen. Markus Födisch scheint dabei inzwischen in seinem Element zu sein. Ein anderer prägender Satz von ihm: "Das habe ich nicht verstanden, können Sie das noch einmal erklären?" So lange und so oft, bis das Wirecard-Puzzle vielleicht irgendwann gelöst ist.
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