Jetzt spricht der Kronzeuge: Oliver Bellenhaus, früherer Statthalter von Wirecard in Dubai, wird heute erstmals ausführlich seine Sicht der Dinge darstellen – in vielerlei Hinsicht anders als geplant. Weil sich der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun vorerst nun doch nicht äußern will, rückt Bellenhaus in der Reihenfolge auf. Da das Gericht wegen eines Krankheitsfalls die Prozesstage am vergangenen Mittwoch und Donnerstag absagen musste, kann das Verfahren erste heute fortgesetzt werden.
Bellenhaus plant mehrstündigen Vortrag
Dem Vernehmen nach will Bellenhaus, der als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft gilt, in einem mehrstündigen Vortrag mehrere Aspekte des Wirecard-Skandals beleuchten. Dabei dürfte es zum Beispiel um das Drittpartnergeschäft des Aschheimer Zahlungsdienstleisters gehen, das in diesem Verfahren eine zentrale Rolle spielt. Während Ex-CEO Markus Braun wiederholt über seinen Verteidiger verbreiten ließ, dass dieses Drittpartnergeschäft existiert habe, hat Bellenhaus zu Protokoll gegeben, dieses Geschäft sei frei erfunden.
Wirecard musste am 25. Juni 2020 Insolvenz anmelden, weil 1,9 Milliarden Euro, die für Wirecard auf philippinischen Treuhandkonten liegen sollten, nicht auffindbar waren. Nach Überzeugung von Staatsanwaltschaft und Insolvenzverwalter hat dieses Geld nie existiert, weil es auch das zugrundeliegende Drittpartnergeschäft nie gegeben hat. Unter anderem deswegen hat die Staatsanwaltschaft Bellenhaus, Braun und den ehemaligen Wirecard-Chefbuchhalter Stephan von Erffa wegen des Verdachts der Untreue, Marktmanipulation, falscher Darstellung der Wirecard-Bilanzen von 2015 bis 2018 und wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs angeklagt.
Gegenseitige Attacken der Verteidigungs-Teams
Braun-Verteidiger Dierlamm hatte Bellenhaus am zweiten Prozesstag heftig attackiert und der Lüge bezichtigt. Bellenhaus-Anwalt Eder konterte, Wirecard sei "Blendwerk" gewesen und Ex-CEO Braun nicht das Opfer, zu dem er sich jetzt stilisiere. Wer waren also die zentralen Akteure im Wirecard-Skandal? Auch dazu will sich Bellenhaus heute äußern. Und nicht zuletzt wird es in seiner Stellungnahme nochmals darum gehen, sich bei den geschädigten Anlegern zu entschuldigen. Das hat sein Verteidiger bereits in der vergangenen Woche zum Auftakt des Prozesses angedeutet. "Ich darf mich für Herrn Bellenhaus bei den Geschädigten entschuldigen. Er entzieht sich nicht seiner Verantwortung, er stellt sich bewusst mit den verbundenen Konsequenzen", so Florian Eder.
Bellenhaus hatte bereits am 19. November 2020 als Zeuge im Wirecard-Untersuchungsausschuss um Entschuldigung gebeten. Am selben Tag war damals auch Markus Braun vorgeladen, der früheren Vorstandschef verweigerte dort aber die Aussage. Sowohl Bellenhaus als auch Braun sitzen nach wie vor in Untersuchungshaft, inzwischen seit über zweieinhalb Jahren.
Die Rolle des Kronzeugen
Dass es sich bei Bellenhaus und Braun in diesem Prozess um die zentralen Gegenspieler handelt, ist an den ersten beiden Prozesstagen deutlich geworden. Braun-Verteidiger Alfred Dierlamm und Bellenhaus-Anwalt Florian Eder attackierten sich gegenseitig und überzogen sich mehrere Stunden lang mit heftigen Vorwürfen. Auch die Verteidigerin des dritten Angeklagten, Stephan von Erffa, schoss sich auf Bellenhaus ein. Sabine Stetter bezeichnete ihn als "zweifelhaften Kronzeugen".
Alfred Dierlamm sieht in Bellenhaus neben dem seit Sommer 2020 untergetauchten Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek einen der zentralen Haupt-Täter in dem Skandal. Beide seien daran beteiligt gewesen, eine "Schattenstruktur" aufzubauen, in die illegal hunderte Millionen Euro aus der Wirecard AG geflossen seien. Bellenhaus Verteidiger Florian Eder führte dagegen aus, dass sein Mandant einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der milliardenschweren Pleite der Wirecard AG geleistet habe. Dafür dürfe er auf Strafnachlass hoffen.
Braun-Anwalt will Prozess kippen
Dierlamm hat seine Verteidigungs-Strategie zudem auf die im Wirecard-Skandal ermittelnde Staatsanwaltschaft München I ausgerichtet, der er mit Blick auf den Verlauf des Verfahrens unter anderem "Geburtsfehler" vorgeworfen hat. Wesentliche Markus Braun entlastende Unterlagen habe diese nicht berücksichtigt oder sogar zurückgehalten. "Ich mache diesen Job seit 30 Jahren, und ich weiß, wovon ich rede. Wir stehen hier vor einem Scherbenhaufen", sagte Dierlamm.
Aus diesem Grund hat der Rechtsanwalt im Namen Brauns die Aussetzung des Verfahrens beantragt. Wann eine Entscheidung darüber fällt, ist unklar. Eine Frist gibt es nicht. Bis dahin kann die Hauptverhandlung normal weiterlaufen. Nach jetzigem Stand finden in dieser Woche insgesamt zwei Verhandlungstage statt, heute und am Mittwoch. Danach geht es in die Weihnachtspause. Zeit für die Prozessbeteiligten, die zum Auftakt ziemlich erhitzten Gemüter etwas runter zu kühlen.
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