Markus Braun faltet im Verhandlungssaal des Landgerichts München I in Stadelheim die Hände.
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Ex-Wirecard-Vorstandschef setzt im laufenden Wirecard-Prozess auf zwielichtige Porno-Firmen.

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Wirecard-Prozess: Braun setzt auf zwielichtige Pornofirmen

War das Wirecard-Geschäft teilweise erfunden? Der angeklagte Ex-Konzernchef gibt sich überzeugt: Alles war real. Im Prozess stützt sich Markus Braun auf mutmaßlich kriminelle Porno-Firmen. Dabei war das Erotik-Geschäft angeblich lange vorbei.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Im September 2018 betreibt Markus Braun mal wieder Imagepflege: Der Erotikbereich spiele für den Konzern keine Rolle mehr, behauptet der Wirecard-Chef in einem Interview, kurz bevor der Aschheimer Zahlungsdienstleister in den erlauchten Kreis der Dax-Unternehmen aufgenommen wird. Tatsächlich hat Wirecard seine Wurzeln in den Schmuddelecken des Internets. Doch die Abwicklung von Zahlungen für Porno- und Glücksspielanbieter habe der Konzern hinter sich gelassen, so der ehemalige Wirecard-Chef damals. Dieser Argumentation folgen Braun und seine Anwälte auch in dem seit Dezember vergangenen Jahres vor dem Landgericht München laufenden Prozess. Die Zahlungsabwicklung von solchen Hochrisiko-Kunden hätte Wirecard an sogenannte Drittpartner in Asien abgegeben.

Braun-Verteidigung stützt sich auf Porno-Geschäft

Die Staatsanwaltschaft München wirft dem ehemaligen Wirecard-Chef unter anderem gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor, das gesamte Geschäft mit den angeblichen Drittpartnern und auch die sagenhaften Gewinne des Konzerns seien erfunden. Der ebenfalls angeklagte einstige Statthalter von Wirecard in Dubai, Oliver Bellenhaus, stützt diese Version. Er gilt als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft. Markus Braun und sein früherer Chefbuchhalter Stephan von Erffa, der dritte Angeklagte, bestreiten das. Die Geschäfte von Drittpartnern habe es sehr wohl gegeben. Allerdings seien die Erlöse von einer Bande um den flüchtigen Jan Marsalek und Oliver Bellenhaus veruntreut worden. Als Beleg führen die Anwälte von Braun zahlreiche Überweisungen auf Konten unter anderem bei der Wirecard-Bank an. Insgesamt gehe es um fast zwei Milliarden Euro.

BR-Recherchen zeigen nun: Der ehemalige Wirecard-Chef stützt sich dabei auch auf Unternehmen, die bis heute als "Big Player" im Porno-Bereich gelten. Deren Geschäfte wickelten aber nicht Drittpartner in Asien ab, sondern Wirecard selbst oder mit Wirecard geschäftlich verbundene sogenannte "White-Label-Acquirer" aus Europa. Das zeigen mehrere interne Händlerlisten mit über 8.000 aufgeführten Porno-Webseiten, deren Zahlungen über das Wirecard-System liefen.

Pikant ist: Gegen mehrere dieser Unternehmen, auf die Braun seine Verteidigung aufbaut, laufen in den USA und in Europa polizeiliche Ermittlungen oder Gerichtsverfahren. Es geht dabei unter anderem um den Vorwurf der Verbreitung von Kinderpornographie.

Pornhub-Inhaber in der Top-Kunden-Liste von Wirecard

Eine dieser Firmen ist Mindgeek. Bis 2013 hieß das kanadische Unternehmen Manwin. Mit "Pornhub" betreibt es eine der weltweit erfolgreichsten Internetseiten. "Mindgeek ist eine Art Monopolist im Bereich der Online-Porno-Plattformen", sagt Haley McNamara, Vize-Präsidentin des amerikanischen "National Center on Sexual Exploitation" (NCOSE), im Interview mit dem BR. Die US-Organisation kämpft seit Jahren gegen sexuelle Ausbeutung und die illegale Verbreitung von Pornographie im Netz. "Alleine in den USA gibt es aktuell fünf vergleichbare zivilrechtliche Klagen gegen Mindgeek", sagt Haley McNamara weiter. Mehrere Personen wehren sich juristisch dagegen, dass auf Porno-Plattformen des Konzerns Videos von ihnen veröffentlicht worden sind. Es geht unter anderem um Vorwürfe wie Vergewaltigung und die Verbreitung von Kinderpornographie. Mindgeek äußert sich auf BR-Anfrage dazu nicht.

Das Unternehmen wickelt seine Geschäfte über Dutzende ineinander verschachtelte Firmen ab. Sie haben ihren Sitz zum Beispiel in Großbritannien, Luxemburg oder auf Zypern. Unterlagen, die BR Recherche vorliegen, belegen: Über eine Tochterfirma in Irland war Mindgeek Kunde von Wirecard. "Die Geschäftsbeziehung besteht seit 05/2009 und verläuft einwandfrei", schreibt ein Wirecard-Manager im März 2017 in einer E-Mail, die er unter anderem an Mitglieder des Wirecard-Vorstands schickt. Konkret geht es um die Firma MG Billing Ireland LTD, dem Wirecard-Manager zufolge "der größte Anbieter von digitalen Inhalten 18+ im Internet".

Markus Brauns Verteidiger Alfred Dierlamm führt die Pornofirma MG Billing gleichwohl zur Entlastung seines Mandanten an: Die Firma sei beim Wirecard-Drittpartner Al Alam aus Dubai in der Kundenliste registriert und deshalb "dem Wirecard Drittpartnerbereich zuzurechnen", schreibt er in einem Schriftsatz an das Landgericht München I. Nach wie vor wirft Dierlamm der Staatsanwaltschaft vor, solche Kundenbeziehungen der Drittpartner seien nicht aufgeklärt worden.

Hat Wirecard aber jemals Händler an Drittpartner vermittelt? Eine Insiderin, die bei Wirecard solche Hochrisiko-Geschäfte jahrelang abgewickelt hat, verneint das kategorisch: "Dass die Kunden von Wirecard an die Drittpartner vermittelt wurden, ist eigentlich ausgeschlossen. Wie hätte denn so eine Abwicklung stattfinden sollen, wenn die Händler über Wirecard angebunden sind? Einfach mal rübergeschoben werden auf Drittpartner, das gab's eben nicht."

Wirecards Millionen-Umsätze mit Porno-Firma aus Irland

Tatsächlich handelte es sich bei der Pornofirma MG Billing Ireland bis zuletzt um einen der größten Kunden von Wirecard. So war die Firma einer internen Power Point Präsentation vom 30. September 2019 zufolge mit einem Kreditkarten-Jahresumsatz von 66 Millionen Euro einer der "Top 30 Acquiring-Händler". Laut einer weiteren, kurz vor dem Wirecard-Zusammenbruch im Juni 2020 erstellten Präsentation zählte die Firma nach der Anzahl der abgewickelten Transaktionen zuletzt zum Kreis der Top-10-Kunden von Wirecard.

Auf Anfrage teilt der Anwalt von Markus Braun mit, dieser kenne die Pornofirma "nur aus den Akten. Eigene Erkenntnisse hat er weder zu der MG Billing noch den mit ihr verbundenen Firmen." Dabei hat Braun über Jahre regelmäßig E-Mails mit Übersichten über die Anzahl der Transaktionen von Wirecard-Händlern bekommen. In der Regel kamen diese Übersichten täglich, immer gegen 6.00 Uhr morgens.

MG Billing und weitere Mindgeek-Firmen tauchten in den Excel-Tabellen immer wieder auf. Ein Firmenchef, der einen seiner wichtigsten Kunden nicht kennen will? Für Marc Liebscher, Vorstand der SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V., ist das wenig glaubhaft. Da sich Markus Braun "als großartigsten CEO, der alles weiß", darstelle, müsse er gewusst haben, "in meinen Top-Kunden sind Pornoanbieter."

Festnahmen nach Vergewaltigungsvorwürfen

Ähnlich zweifelhaft ist der Ruf weiterer Firmen aus dem Pornogeschäft, deren Zahlungsverkehr Wirecard abgewickelt hat, darunter Netlook s.r.o.. Das Unternehmen mit Sitz in Prag ist seit mehr als zehn Jahren Eigentümerin und Betreiberin einer Website namens "Czech Casting". Tschechische Ermittlungsbehörden werfen den Anbietern der Pornoseite in einer Pressemitteilung von Juli 2020 Menschenhandel, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung vor. Zehn Personen seien nach Hausdurchsuchungen festgenommen worden. "Der Fall ist noch nicht abgeschlossen", so ein Polizeisprecher. Netlook reagiert auf eine BR-Anfrage nicht. In einer früheren Pressemitteilung hat ein Netlook-Anwalt die Vorwürfe zurückgewiesen.

Netlook betreibt über 20 weitere Pornoseiten. Im Januar 2014 wird die Firma im Wirecard-System nach Recherchen des BR als Kunde aufgeschaltet. Ende 2019 werden einige Pornoseiten von Netlook von Wirecard-Mitarbeitern auch für eine zwischengeschaltete britische Firma namens One Stop Money Manager (OSMM) registriert. OSMM hat zahlreiche weitere Anbieter von Porno-Webseiten an Bord geholt, gegen die ähnlich schwerwiegende Vorwürfe erhoben werden wie gegen Netlook. Die Firma OSMM ist ein sogenannter "White Label Acquirer". Sie nutzt die Infrastruktur von Wirecard, deshalb schalten Wirecard-Mitarbeiter die Händler auf, die Zahlungen laufen über das System von Wirecard.

Nach Berechnungen von Braun-Anwalt Alfred Dierlamm hat OSMM "18 Mio. € an Kommissionserlösen auf ein Konto des Wirecard-Drittpartners PayEasy bei der Wirecard-Bank" überwiesen, schreibt er dem BR auf Anfrage. Es könnte sein, dass ein "Händler sowohl ein direkter Wirecard Kunde war als auch an Drittpartner vermittelt wurde." OSMM äußert sich auf Anfrage nicht. Die britische Finanzaufsicht FCA hat OSMM im Dezember 2019 die Geschäftstätigkeit untersagt. Mittlerweile ist das Unternehmen insolvent. Auf mehrere Anfragen des BR reagiert der Insolvenzverwalter nicht.

Bellenhaus-Verteidiger: "Was nicht passt, wird passend gemacht."

Florian Eder, Verteidiger des Angeklagten und Braun-Widersachers Oliver Bellenhaus, bezeichnet die Argumentation von Braun und seinen Anwälten als "Augenwischerei": "Es ist schlichtweg ein Versuch, irgendwelche Zahlungsströme nach freiem Belieben einmal einem angeblich existierenden Drittpartner-Geschäft zuzuordnen, oder, wenn es gerade passend ist, angeblichen Veruntreuungspraktiken. Verkürzt gesagt: Was nicht passt, wird passend gemacht."

Der Wirecard-Prozess geht heute weiter, mit einem Urteil ist nicht vor Ende dieses oder Anfang des kommenden Jahres zu rechnen. Der Porno-Komplex dürfte im Laufe des Verfahrens noch eine größere Rolle spielen.

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