Das deutsche Mietrecht gilt als eher mieterfreundlich und bietet einen umfangreichen Kündigungsschutz. Zudem sorgten freiwillige Kündigungsschutz-Ankündigungen großer Wohnungsbaugesellschaften zuletzt für Beruhigung. Der Freistaat Bayern will Mietern seiner 16.770 Wohnungen zudem bis mindestens April 2025 die Miete nicht erhöhen, wie Bauminister Christian Bernreiter (CSU) Ende September angesichts deutlich gestiegener Energiekosten verkündete.
Dennoch sollten solche Absichtserklärungen ohne rechtlich bindende Wirkung nicht zu Missverständnissen oder gar Leichtfertigkeit auf Mieterseite führen. Denn auch unverschuldete Zahlungsschwierigkeiten (wie beispielsweise durch die momentan mangelbedingten Preissteigerungen) sind aus rein rechtlicher Sicht kein Zahlungsverzugs-Grund, den ein Vermieter einfach hinnehmen muss.
Nebenkosten: 2023 wohl hohe Nachforderungen an Mieter
Denn auch Vermieter sind vergleichbar mit Dominosteinen in einer Kette von Leistungen und Gegenleistungen auf dem Immobilienmarkt: Bezieht der Energieversorger beispielsweise dreimal teureres Erdgas, wird er die Preissteigerung auf seine Kunden wälzen. Das sind meist zunächst die Vermieter, die erst einmal zahlen müssen und ihrerseits diese Kosten dann vom Mieter einfordern. Üblicherweise wird die Preiserhöhung einmal im Jahr mit den monatlichen Abschlagszahlungen des Mieters in einer Jahresabrechnung verrechnet, was mutmaßlich im Laufe des kommenden Jahres zu hohen Nachforderungen führen wird. Besonders Vermietern, die ihre Immobilie auf Kredit finanzieren, bleibt oft gar nichts anderes übrig, als die gesamten Nebenkosten einzufordern.
Den Kreislauf aus Leistung und Gegenleistung aufrecht zu erhalten, ist ein Kerngedanke des bürgerlichen Rechts. Daran ändert grundsätzlich die besondere soziale Fuktion der Mietwohnung als Lebensmittelpunkt nichts. Andererseits droht in der nahen Zukunft ganz real eine wohnungspolitische Notlage, wenn zahlungsunfähige Mieter in großer Zahl durch fristlose oder ordentliche Kündigung ihr Dach über dem Kopf verlieren. Das Problem kann durch das bestehende Recht alleine nicht gelöst werden. Politik, Mietrechtsexperten, Vermieter- und Mieterverbände arbeiten daher an kurzfristigen und langfristigen Lösungen.
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Mietrückstände sind "erhebliche schuldhafte Verstöße"
Personen, die privat zur Miete wohnen, betrifft das Mietwohnrecht, das im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt ist (§§535 ff.). Grundsätzlich gilt für private Mieter einer Wohnimmobilie folgendes:
1. Der Vermieter darf dem Mieter nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat (§573 BGB). Mietrückstände sind jedoch erhebliche schuldhafte Verstöße gegen Vertragspflichten und damit gesetzlich anerkannte Kündigungsgründe. Auch Nebenkosten gehören zur Miete, obwohl sie mit der jährlichen Betriebskostenabrechnung nicht monatlich, sondern nur einmal vor Jahresende vollständig bezahlt werden müssen.
2. Vermieter können fristlos kündigen oder ordentlich mit dreimonatiger Kündigungsfrist, wenn sie ein berechtigtes Interesse haben. Zahlt ein Mieter seine Nebenkosten nicht und übersteigt diese Summe die Brutto-Miete von zwei Monaten, ist eine fristlose Kündigung möglich. Beträgt die Nebenkosten-Schuld weniger als zwei Monatsmieten, kann eine ordentliche Kündigung erfolgen. Der Vermieter muss den Mieter aber zuvor abmahnen und Zahlung verlangen. Zahlt der Mieter dann immer noch nicht, kann der Vermieter eine Mahnklage einreichen.
3. Nach gegenwärtiger Rechtslage dürfen Vermieter Nebenkostenvorauszahlungen nur einmal pro Betriebskostenabrechnung einseitig auf die angemessene Höhe anpassen. Eine neue Anpassung ist demnach erst nach Vorlage einer neuen Betriebskostenabrechnung zulässig (§560 Abs.4 BGB).
Mieter: Wer doch noch zahlt, macht Kündigung unwirksam
Aus Zivilrecht und Rechtsprechung ergeben sich wichtige Folgen, die Mieter kennen sollten:
1. Wegen Rückstand bei Nebenkostenzahlungen fristlos Gekündigte können den Mietrückstand nachzahlen. Durch diese "Schonfristzahlung" (§569 Abs.3 Nr.2 BGB) wird die Kündigung unwirksam. Dabei sind jedoch sämtliche Mietrückstände zu begleichen und nicht nur die aufgelaufenen Nebenkosten, auch wenn dies im Kündigungsschreiben nicht erwähnt wurde. Es ist Sache des Mieters, die Gesamtsumme zu ermitteln. Wer Nachzahlungen trotz Aufforderung nicht begleicht, muss übrigens auch für die anwaltlichen Mahnkosten zahlen, die er dadurch verursacht.
2. Nicht unwirksam durch Schonfristzahlung wird jedoch eine ordentliche Kündigung nach §573 Abs.3 Nr.1 BGB. Vermieteranwälte raten daher dazu, auch hilfsweise mit der fristlosen eine ordentliche Kündigung auszusprechen, wenn der Vermieter das Mietverhältnis unbedingt beenden möchte.
3. Zur Begleichung von Nebenkosten-Rückständen wird eine Frist von maximal 30 Tagen durch die Rechtsprechung eingeräumt.
4. Für eine einseitige Temperaturabsenkung durch den Vermieter fehlt bislang die Rechtsgrundlage. Die in Wohnräumen bereitzustellende Temperatur soll nach Rechtsprechung heute bei 20 Grad Celsius liegen, ist aber Abwägungssache. Bei öffentlichen Gebäuden ist dieser Wert bereits auf 19 Grad durch eine Verordnung heruntergeregelt worden.
Sonderfall "Dezember-Soforthilfe": Mieter-Entlastung später
Letztverbraucher von Erdgas und Wärme sollen bereits im Dezember 2022 einmalig entlastet werden, bevor die eigentliche Gaspreisbremse kommt. Vermieter müssen diesen Entlastungsbetrag jedoch nicht im Dezember 2022 an die Mieter auszahlen, sondern können ihn gesondert in der regulären Heizkostenabrechnung 2022 ausweisen.
Mieter, deren Nebenkosten-Vorauszahlung in den vergangenen neun Monaten erhöht wurde, müssen im Dezember den Erhöhungsbetrag nicht zahlen. Neumieter innerhalb dieses Zeitraumes können die Vorauszahlung um ein Viertel kürzen. Wer sich dabei verrechnet und zu viel kürzt, dem darf nur deshalb nicht gekündigt werden. Kritisch kann es aber werden, wenn bereits andere Mietrückstände bestehen. Sollten diese in Summe eine Monatsmiete übersteigen, könnte doch eine Kündigung drohen. Übrigens: Wer als Mieter nicht selber kürzen möchte, kann für eine Verrechnung innerhalb der kommenden Heizkostenabrechnung optieren.
Vermieter sind bis zum 31.12.2022 verpflichtet, ihre Mieter über die Höhe der Entlastungen schriftlich zu informieren. Wo keine Heizkostenabrechnung rechtlich vorgeschrieben ist (z.B. in Häusern mit nicht mehr als zwei Wohnungen, von denen eine vom Vermieter bewohnt wird) besteht keine Vermieterpflicht, die Entlastungen an den Mieter weiterzugeben.
Kündigungen wegen offener Nebenkosten: Wie geht es weiter?
Ein breites Bündnis von Mieterbund, Sozialverbänden und Verbraucherzentralen fordert vom Gesetzgeber weitreichende Eingriffe in das geltende Mietrecht, um Energiesperren oder Wohnungskündigungen zu verhindern, wenn Menschen ihren Zahlungsverpflichtungen an Versorger oder Vermieter nicht mehr nachkommen können. Im Wesentlichen geht es um ein Kündigungsmoratorium von mindestens 6 Monaten sowie um ein Verbot von Mieterhöhungen.
Auch soll eine ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs durch Ausgleichszahlungen abgewendet werden können. Das Bundesjustizministerium arbeitet nach eigenen Angaben an den "im Koalitionsvertrag vereinbarten mietrechtlichen Vorhaben". Zudem spricht das Ministerium auf BR24-Anfrage von intensiver Prüfung, "ob und gegebenenfalls welche gesetzlichen Regelungen zu Schonfristzahlungen notwendig sind".
Mieterbund: Ministerium agiert "völlig inakzeptabel"
Der deutsche Mieterbund nennt dieses Vorgehen "völlig inakzeptabel". Der Zeitplan des Bundesjustizministeriums gehe bis Ende Oktober 2023, hier werde zu viel Zeit verloren. Aus Sicht des Mieterbunds fehlen zudem Härtefallfonds, um besonders hohe Nachzahlungen unabhängig von der Art des Energieträgers abfedern zu können.
Zusätzlich zum Bund will der Freistaat Bayern mit einem eigenen Härtefall-Fonds einspringen. Und Privathaushalten unter die Arme greifen, die aufgrund der Belastungen der Energiekrise in den Bereich der Sozialhilfe abzurutschen drohen beziehungsweise denen Strom oder Gas abgestellt werden könnten.
Was können Mieter und Vermieter in der Zwischenzeit tun ?
1. Miteinander reden und flexible Ratenzahlungen vereinbaren.
2. Über staatliche Unterstützungsgebote informieren. Dazu gehört auch das Wohngeld, das zum 1. Januar 2023 reformiert werden soll.
3. Vor Zahlung einer Mieterhöhung oder Nebenkostenabrechnung immer erst prüfen, dann zahlen – und rechtzeitig nachfragen.
4. Beratungsleistungen nutzen. Für unterschiedliche Zielgruppen gibt es zum Beispiel energie-hilfe.org.
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