Person hält Schild mit Aufschrift "Zeitenwende"
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Zeitenwende - 2022 wird als Jahr der geballten Krisenreaktionen auch in die Wirtschaftsgeschichte eingehen

    Was für ein Jahr! Der Wirtschaftsrückblick 2022

    Corona und Ukraine – das Wirtschaftsjahr 2022 stand im Bann dieser Mega-Krisen. Sie spiegelten sich überall, wo Wirtschaft stattfindet: in Betrieben, beim Einkauf, im Steuer- und Sozialrecht, auf den Finanzmärkten. Rückschau auf ein Zeitenwende-Jahr.

    "Wir befinden uns in einem Energiekrieg um Wohlstand und Freiheit", sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am 29. September in Berlin über die Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. "Man kann sagen, das ist hier ein Doppelwumms", erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 29. September bei der Vorstellung des neuen "Abwehrschirms" gegen die hohen Energiepreise. Er erinnerte dabei an seinen Ausspruch zu zurückliegenden staatlichen Hilfen in der Coronakrise, dass es darum gehe, mit "Wumms" aus der Krise zu kommen.

    Diese zwei am selben Tag gemachten Aussagen reichen aus, um den Paradigmenwechsel zu verstehen, den die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg in der Ukraine verursacht haben. Wirtschaft findet spätestens seit diesem Jahr 2022 nicht mehr nur in der Wirtschaft statt, Wandel durch Handel wurde erkennbar abgelöst durch Außen- und Sicherheitspolitik. Die Auswirkungen haben wir alle zu spüren bekommen.

    Verbraucher im Preis-Stress

    "Teuerschock" wurde zum Begleitwort für alle, die Einkaufen gehen. Mit bangen Augen starrten die Verbraucher auf die monatlichen Steigerungen des Verbraucherpreisindex. Am 11. November meldete das statistische Bundesamt den Rekordwert von 10,4 Prozent. Die Inflation der Erzeugerpreise lag am 20. Oktober bei noch nie in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik da gewesenen 45,8 Prozent – was als ganz negatives Vorzeichen für die Endverbraucherpreise im kommenden Jahr interpretiert werden kann.

    Dabei startete das Jahr am 1. Januar mit guten Vor- und Ansätzen. Seitdem dürfen an Ladenkassen in Deutschland keine leichten Kunststofftragetaschen mehr angeboten werden. Auch das Kükentöten in der Legehennenhaltung ist seitdem verboten. Doch gute Nachrichten hatten wenig Chancen im laut ADAC "teuersten Tankjahr aller Zeiten". Am 3. November wurde an deutschen Zapfsäulen ein Negativrekord geknackt: Noch nie war Tanken im Durchschnitt so teuer wie in diesem Jahr. Wer in Bayern tankte, musste sich sogar an weit überdurchschnittliche Preise gewöhnen.

    Durch internationale politische Verwerfungen verzerrte Marktpreise animierten die Politik, als Krisenretter aufzutreten. Am 1. Juni 2022 wurde daher im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) das 9-Euro-Ticket eingeführt. Arbeitnehmer, die für ihren Arbeitsweg Bus und Bahn nutzen, konnten davon bis Ende August profitieren. "Inflationsausgleichsgesetz" (Eckpunktepapier vom 10. August), "Energiekostendämpfungsprogramm" (gültig bis 31. August), "Inflationsausgleichsprämie" (ab 26. Oktober noch bis Ende 2024) waren drei weitere Beispiele für im Schnellverfahren entstandene Gesetze und Verordnungen zum tatsächlichen oder vermeintlichen Schutz vor Preisschocks.

    Wie machtpolitisch die Märkte im Krisenjahr 2022 sabotiert wurden, zeigte sich überdeutlich am 26. September, als Explosionen große Löcher in die Erdgaspipelines Nord Stream 1 und 2 rissen und vorerst unbenutzbar machten.

    Steuerzahler im Immobilien-Stress

    Auch das Steuerjahr 2022 begann zunächst mit guten Nachrichten. So stieg der Grundfreibetrag für die Einkommensteuer, der zur Absicherung des Existenzminimums dient, ab 1. Januar auf 9.984 Euro, bei Zusammenveranlagung auf 19.968 Euro. Der Unterhaltshöchstbetrag stieg ebenfalls. Ab 2022 beträgt er 9.984 Euro. Ihn können beispielweise Steuerpflichtige in ihrer Steuererklärung geltend machen, wenn sie ihre Kinder finanziell unterstützen, für die sie jedoch keinen Anspruch auf Kindergeld haben.

    Auch gute Nachrichten für Steuerbürger kamen am 8. Juli vom Bundesrat. Der stimmte einer Änderung der Abgabenordnung zu, die das Bundesverfassungsgericht gefordert hatte. Demnach sind für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nur noch 1,8 Prozent statt bislang sechs Prozent jährlicher Zins fällig. Dies gilt rückwirkend zum 1. Januar 2019.

    Überlagert wurde all dies jedoch durch die Grundsteuer-Feststellungserklärung, die die Finanzämter Immobilieneigentümern seit dem 1. Juli abverlangen. Durch erhebliche Probleme und Unklarheiten bei der Erstellung sowie Informationsdefizite wurde die Abgabefrist mittlerweile bis zum 31. Januar 2023 verlängert.

    Auch für Immobilienerben wurden am 16. Dezember kurz vor Heiligabend vom Gesetzgeber noch Weichen für die Zukunft gestellt. Denn mit dem Jahressteuergesetz wurde die Steuerbemessung stärker daran ausgerichtet, wie sich der Wert der jeweiligen Immobilie entwickelt hat. Das dürfte beispielsweise in Südbayern, wo die Preise für Wohnungen, Häuser und Grundstücke in den vergangenen Jahren besonders zugelegt haben, für Unruhe sorgen unter Immobilienbesitzern und deren Erben.

    Tarifpartner im Lohnfindungs-Stress

    Auch der Nachhall umfangreicher Corona-Schutzmaßnahmen zeigte in 2022 noch Wirkung. So wurde die Auszahlungsfrist für den Corona-Bonus von abgabenfreien 1.500 Euro an Arbeitnehmer bis zum 31. März verlängert. Weitere coronabedingte Regeln im Terminkalender waren das Auslaufen der Überbrückungshilfe IV Ende Juni, das Auslaufen der Homeoffice-Pflicht zum 20. März und das Ende der Maskenpflicht im bayerischen ÖPNV zum 10. Dezember. Auch coronabedingte höchstrichterliche Urteile beeinflussten das Arbeitsleben. So versagte das Bundesarbeitsgericht am 20. November Arbeitnehmern einen Erschwerniszuschlag fürs Tragen einer medizinischen Maske.

    Eine Art Weihnachtsgeschenk für Betriebe und Mitarbeiter kam noch am 14. Dezember. Das Bundeskabinett beschloss, den erleichterten Zugang zu Kurzarbeitergeld bis zum 30. Juni 2023 zu verlängern. Schon während der Corona-Pandemie hat die Bundesregierung die Hürden für Unternehmen deutlich gesenkt.

    Hohe Preise führen zu Insolvenzen und Geschäftsaufgaben

    Überlagert wird all dies durch Schockmeldungen zum Insolvenzgeschehen. Am 5. September beantragte der Hygienepapierhersteller Hakle wegen der stark gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Weniger stark beachtet vollzieht sich das Sterben vieler kleinerer Mittelständler. Bayerische Schlaglichter sind der Automobilzulieferer Borgers mit 750 Jobs im Landkreis Günzburg oder das Aus der Traditionsmetzgerei Holzner in Lenggries. Wie schwerwiegend die befürchtete Insolvenzwelle in Bayern wird, dürfte im 1. Quartal 2023 sichtbarer werden.

    Löhne und Mindestlohn erhöhen sich

    Die durch Energiepreisschock und Lieferkettenprobleme verursachten Verwerfungen kamen natürlich auch in der Lohnfindung zum Ausdruck. So einigten sich am 22. November die Tarifpartner in der bayerischen Metall-und Elektroindustrie auf ein Gesamtpaket. Bei einer Laufzeit von 24 Monaten steigen demnach die Gehälter in zwei Stufen um 5,2 Prozent und 3,3 Prozent, zudem soll es eine steuerfreie Inflationsprämie von 3.000 Euro geben.

    Auch der in Deutschland geltende Mindestlohn erwies sich mit gleich drei Anpassungen in diesem Jahr als inflationsgetrieben. Seit 1. Oktober liegt er bei zwölf Euro. Gleichzeitig erhöhte der Gesetzgeber auch die Minijob-Grenze von 450 auf 520 Euro. Mit der neuen Grenze könnten Minijobber dann immer 43 Stunden pro Monat arbeiten ohne, dass Sozialversicherungsbeiträge anfallen.

    2022: Bürokratieaufbau und -abbau

    Beim Thema Bürokratie und Regulierung gab es in 2022 beides: Erleichterungen und neue Hürden.

    Ab 1. Januar 2023 soll eine elektronische Meldung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) seitens der Krankenkassen an die Arbeitgeber erfolgen. Die elektronische AU (eAU) ersetzt die bisherige AU auf Papier. Arbeitnehmer, die Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse sind, müssen dann selbst nur noch ihre Arbeitsunfähigkeit beim Arbeitgeber anzeigen.

    Seit dem 1. August 2022 lassen sich eine GmbH oder UG (haftungsbeschränkt) online gründen. Geregelt ist das im Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG). Kapitalgesellschaften lassen sich damit in zehn Tagen gründen.

    Erleichterung für Arbeitnehmer und gleichzeitig Mehraufwand für Unternehmen bringt seit 1. März das Hinweisgeberschutzgesetz. Unternehmen müssen Meldestellen einrichten, damit Hinweisgeber Missstände melden können.

    Verschärft hat der Gesetzgeber zum 1. August auch die Anforderungen an Arbeitsverträge. Laut neuem Nachweis-Gesetz müssen Arbeitgeber ihre Vertragsbedingungen zukünftig umfangreicher als bisher schriftlich fassen. Wer sich nicht daran hält, dem drohen Geldbußen bis zu 2.000 Euro. Die Neufassung des Nachweisgesetzes war notwendig, weil Deutschland die EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie umsetzen musste.

    Auch ein Ausfluss europäischer Rechtsfortbildung ist das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes zur Arbeitszeiterfassung in Betrieben. Am 13. September 2022 erklärte das Bundesarbeitsgericht unmissverständlich: "Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann." Was das für Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Deutschland bedeutet, werden wir wohl im kommenden Jahr vom Bundesgesetzgeber erfahren.

    Kapitalanleger im Zins-Stress

    Die Zeitenwende bedeutete auch eine Zinswende. Am 21. Juli hob die Europäische Zentralbank inflationsbedingt erstmals seit elf Jahren den Leitzins an. Und zwar mit 0,5 Prozentpunkten stärker als erwartet. Mit weiteren Erhöhungen – darunter um den Rekordwert von 0,75 Punkten – erreicht der Zins in den Monaten darauf 2,0 Prozent und am 15. Dezember schließlich erhöhte die EZB auf 2,50 Prozent.

    Vorausgegangen war unter anderem ein Wertverfall des Euro. Am 12. Juli war er erstmals seit 2002 wieder lediglich einen Dollar wert. Als Gründe für den sinkenden Euro-Kurs gelten die Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und die Zurückhaltung der Europäischen Zentralbank bei der Bekämpfung der Inflation. Zum Jahresende gibt es für einen Euro wieder etwas mehr als einen Dollar. Das gilt aber nicht für den als Qualitätswährung angesehenen Schweizer Franken. Das Allzeittief vom 22. August lag bei nur noch 0, 9576 Franken für einen Euro.

    In der Schweiz gibt es übrigens keinerlei Bestrebungen, den Gebrauch von Bargeld einzuschränken, anders in Deutschland und EU-Europa. Der Bundestag hat am 1. Dezember ein zweites Gesetz "zur effektiven Durchsetzung von Sanktionen" (Zweites Sanktionsdurchsetzungsgesetz – SDG II) verabschiedet. Immobilien dürfen demnach künftig weder bar noch mit Gold, Silber, Diamanten oder Kryptogeld bezahlt werden.

    "Schreckensjahr" an den Börsen

    Insgesamt kann 2022 durchaus als "Schreckensjahr" für die Anleger bezeichnet werden. Ein besonders krasses Schlaglicht boten dafür die zehnjährige britischen Staatsanleihen, die ebenso wie das britische Pfund unter massiven Druck gerieten. Die Renditen stiegen auf solch hohe Niveaus, dass diese sogar zeitweise höher als in der Europeripherie lagen. Daher führte die Bank of England vom 11. bis 14. November in einer dramatischen Notmaßnahme den Ankauf von Staatsanleihen mit langen Laufzeiten durch.

    Auch andere Anlageklassen mussten mit hohen Schwankungen leben. Im Januar 2022 erzielte der DAX 40 ein knappes, neues Rekordhoch von 16.271 Punkten. Doch anstatt seinen Höhenflug fortzusetzen, ging der Index anschließend in einen Bärenmarkt über. Zu Jahresende kämpft er um die 14.000-Marke. Mit dem Edelmetall Platin ließen sich in diesem Jahr rund elf Prozent, mit Silber 10,6 Prozent und mit Gold 6,5 Prozent Wertzuwachs erzielen (Stand 21. Dezember 2022).

    Einen Mega-Crash erlebten hingegen sogenannte Kryptowährungen. Der Wertverlust des Bitcoin am 15. Dezember betrug rund 60 Prozent seit Jahresbeginn. Dass dann auch noch mit der Kryptobörse FTX die weltweit drittgrößte Handelsplattform betrügerisch kollabierte und am 11. November Gläubigerschutz anmelden musste, hat den Markt zusätzlich in schwere Turbulenzen gestürzt.

    Fazit aus ökonomischer Sicht: 2022 – Was für ein Stress!

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