In der aktuellen Energiekrise hat die Bundesregierung vergangene Woche entschieden, die umstrittene Gasumlage zu stoppen und dafür einen Gaspreisdeckel einzuführen. Das sei ein klares Signal und ein "Befreiungsschlag für kleine und mittlere Unternehmen sowie die energieintensive Industrie", sagt Christian Hartel, Vorstandsvorsitzender des Münchner Chemie-Konzerns Wacker. Jetzt komme es darauf an, die Preisbremse "schnell und wirkungsvoll umzusetzen."
Schon vor der aktuell angespannten Lage auf dem Energiemarkt sei die Industrie bereits seit Jahren in einer Transformation. "Wir wollen weg vom CO2-Austoß", sagt Christian Hartel in der BR24-Gesprächsreihe zur Energiekrise. Um das zu schaffen, elektrifiziere das Unternehmen zunehmend seine Prozesse, "wo man früher petrochemische Produkte verbrannt hat", erklärt Hartel.
Laut dem Vorstandschef spart das Unternehmen damit zwar Emissionen ein, was es aber braucht ist viel Strom. Der solle natürlich grün sein, "nur so geht die Rechnung am Ende des Tages auf."
Erneuerbare Energien: Hartel fordert einen europäischen Stromverbund
Um grünen Strom möglich zu machen, appelliert der Top-Manager an Politik und Gesellschaft, die erneuerbaren Energien auszubauen. Im privaten Bereich könnten Photovoltaik-Anlagen auf Hausdächern installiert werden. Für die Industrie könnte Offshore- und Onshore-Windkraft Energie liefern. Jedes Bundesland und jeder einzelne müsse mitmachen, um so viele Erneuerbare auszubauen wie nur möglich, fordert Hartel.
Der Ausbau in Deutschland sei eine Maßnahme. Eine zusätzliche Möglichkeit sei es, die europäische Zusammenarbeit auf dem Markt der erneuerbaren Energien zu stärken. "Wir haben in Europa gesegnete Regionen bezüglich der Sonneneinstrahlung – viel besser als in Deutschland – Spanien oder Portugal etwa. Da kann ich mir ja ganz tolle Geschäftsmodelle vorstellen.
Damit grüner Strom, der in Südeuropa produziert wurde, in Deutschland genutzt werden kann, müsste der gesamte Kontinent stärker miteinander verbunden und die Leitungsnetze ausgebaut werden. "Deswegen der, aus unserer Sicht, ganz wichtige Appell an die Politik: Ihr müsst endlich in die Umsetzung kommen!"
Hartel: Atomkraftwerke am Netz lassen und Kohle nutzen
Der Ausbau der erneuerbaren Energien werde vermutlich noch Jahre dauern. In der aktuellen Energiekrise sind aber auch akute Lösungen nötig. Neben dem Sparen von Energie müssen aus Hartels Sicht so schnell wie möglich alle Kapazitäten in den Markt gebracht werden, um die Versorgungssicherheit mit Energie über den Winter zu sichern.
Deswegen befürwortet der Top-Manager, die deutschen Atomkraftwerke länger als geplant am Netz zu lassen. Er sei persönlich "kein Freund der Atomkraft, weil sie eine sehr komplizierte und damit sehr teure Technologie ist". Aber sie habe sich in den vergangenen Jahrzehnten bewährt.
Außerdem sollten die freien Kapazitäten auf Seiten der Kohle genutzt werden. "Auch das dauert überraschend lange aus Unternehmenssicht", sagt der Konzernchef. Wenn mehr Kapazitäten an verschiedenen Energie-Arten auf den Markt seien, hätten sie einen positiven Effekt auf die Versorgungssicherheit und gleichzeitig eine dämpfende Wirkung auf den Preis. Wenn zum Beispiel mehr Atom- und Kohlestrom genutzt werden könnte, müsste weniger teures Gas eingekauft werden, was alle Preise sinken ließe.
Wacker-Chef: Hoher Energiepreis befeuert Inflationsspirale
Die hohen Energiepreise seien eine Herausforderung für Privathaushalte und für die Industrie. Der Wacker-Konzern stellt vor allem Kunststoffe wie Silikone her, die in der Automobilindustrie, in der Elektronik und in Textilien eingesetzt werden.
Wacker produziert den Grundstoff, der momentan bereits teurer wird. Das Produkt, das der Wacker-Kunde daraus mache, zum Beispiel Dichtungen für das Auto oder Computer-Chips, werde dann natürlich auch teurer, erklärt Hartel. Das sei eine Preisspirale, die wiederum die Inflation anheize. Deshalb sei es wichtig, darauf zu achten, dass die Energiepreise in Deutschland wettbewerbsfähig bleiben.
VCI: Chemiebranche besonders von Energiekrise betroffen
Die Chemie- und Pharmaindustrie ist nach eigenen Angaben besonders hart von der Energiekrise betroffen. Laut dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) ist die Branche der größte industrielle Gasverbraucher Deutschlands, knapp ein Drittel des Industrieverbrauchs entfällt auf sie.
Dabei dient ihr Gas als Energiequelle und als Rohstoff zur Weiterverarbeitung, zum Beispiel in Kunststoffen oder Düngemitteln. Der Branche machen auch gestörte Lieferketten sowie die schwächelnde Wirtschaft zu schaffen. Gerade die Chemieindustrie ist als Lieferant etwa für die Auto-, Konsumgüter- und Bauindustrie konjunkturabhängig.
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