Vergangenes Jahr gab es in Bayern keinen einzigen Antrag auf Genehmigung einer Windkraftanlage. Im ersten Halbjahr 2022 kamen insgesamt lediglich drei neue Windräder dazu – das geht aus der schriftlichen Anfrage des Landtagsabgeordneten Martin Stümpfig vom Juli hervor. "Diese Zahlen sind lächerlich", sagt der Grünen-Politiker. Für ihn ist Windkraft - wie auch für die Bundesregierung - ein wichtiger und unersetzlicher Pfeiler, um eine unabhängige und klimaneutrale Energieversorgung zu erreichen. Aber der Ausbau in Bayern ist quasi zum Erliegen gekommen. Woran liegt das?
10H-Regel und Klagen des VLAB
Stümpfig sagt, Schuld sei nicht allein die 10H-Regel, die festlegt, dass ein Windrad mindestens zehnmal so weit von einer Siedlung entfernt sein muss, wie es hoch ist. Für Planer komme erschwerend hinzu, dass Naturschutzorganisationen häufig gegen neue Anlagen klagen. "Im Ländervergleich haben wir wahnsinnig hohe Klagequoten", so Stümpfig.
In vielen Fällen stecke der VLAB dahinter, der "Verein für Landschaftspflege, Artenschutz und Biodiversität". Mit rund 8.000 Mitgliedern eine vergleichsweise kleine Initiative mit Hauptsitz in Erbendorf in der Oberpfalz. Während sich große Naturschutzverbände wie der Bund Naturschutz und der LBV inzwischen pro Windkraft positionieren und den Klimawandel als viel größere Bedrohung für den Artenschutz betrachten, kämpft der VLAB immer wieder gegen Windenergieprojekte.
Aktuell gegen einen Windpark im oberbayerischen Pfaffenhofen an der Ilm, der von einer Bürgerenergiegenosssenschaft getragen wird, also von Anwohnern der Stadt. Der Grünen-Abgeordnete Stümpfig wirft dem VLAB vor, Klagen gegen Windkraft zu seinem Hauptzweck zu machen.
VLAB: "Wir klagen nur gelegentlich"
Johannes Bradtka, Vorsitzender des VLAB, widerspricht dem vehement. Windkraft und erneuerbare Energien würden nur etwa 15 bis 20 Prozent der Vereinsarbeit ausmachen, sagt er dem BR. "Rechtsmittel gegen Windenergie legen wir nur gelegentlich ein, wenn wir den Artenschutz gefährdet sehen", so Bradtka. Eine Auflistung der bisherigen Klagen könne er aber nicht zur Verfügung stellen.
Die hauptsächlich ehrenamtlichen Vereinsmitglieder engagierten sich auch für Biodiversität oder nähmen etwa Stellung zu Straßenbauprojekten und Flächenversiegelung. Bradtka zufolge unterstützt der Verein die Energiewende und betrachtet den Klimawandel als ernsthafte Gefahr. Diese könne aber nicht durch Windenergie bewältigt werden. Vielmehr seien Geothermie, Photovoltaik und Biogasanlagen für organische Abfälle der Schlüssel dazu.
VLAB: 10H-Regel ist "umweltpolitisches Meisterstück"
Neben Argumenten für den Artenschutz könnte auch die Geschichte des VLAB dessen ablehnende Haltung gegenüber Windkraft erklären. Spiritus Rector war der Dirigent Enoch zu Guttenberg, der den Verein 2009 gründete und ihm - nach Angaben des Vorsitzenden Bradtka - auch finanzielle Mittel zur Verfügung stellte. Guttenberg machte sich in seinen späten Tagen den Kampf gegen Windkraft zur Aufgabe. Aus dem BUND trat er aus, weil dieser die Windenergie befürwortete und den Naturschutz in seinen Augen vernachlässigte.
Unter Ministerpräsident Horst Seehofer wurde der VLAB 2015 als Naturschutzverband anerkannt. Zunächst in Bayern, 2019 aber auch bundesweit, womit er in ganz Deutschland Verbands-Klagerecht bekam.
Anfang Juli hat der VLAB erstmals die Enoch-zu-Guttenberg-Medaille verliehen: Ausgezeichnet wurde Horst Seehofer wegen seiner Verdienste für den Umweltschutz. Die 10H-Regel, die der Ex-Ministerpräsident 2014 einführte, sei sein "umweltpolitisches Meisterstück", wie es in der Laudatio hieß.
Osterpaket schafft einen neuen Rechtsrahmen
Wie geht es weiter? Das sogenannte "Osterpaket" von Bundeswirtschaftsminister Habeck (Grüne) könnte es dem VLAB schwerer machen, den Windkraftausbau durch Klagen zu behindern. Die Gesetzesnovelle gibt verbindliche Ziele für Windenergie in den Bundesländern vor. Wenn sie nicht eingehalten werden, können auch Abstandsregeln wie 10H außer Kraft gesetzt werden.
Der Grünen-Abgeordnete Martin Stümpfig sagt, entscheidend sei die Formulierung, dass die Nutzung erneuerbarer Energien künftig im "überragenden öffentlichen Interesse" liegt. Damit würden Artenschutzklagen schneller abgelehnt und hätten weniger Aussicht auf Erfolg.
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