Eine Schaumkrone schiebt sich über den Rand des Kruges, der Kellner zapft frisches Bier. Im Wirtshaus Riegele in Augsburg finden häufiger Hochzeiten statt. Doch solche Feiern stellen Wirt Phillip Schaffer vor ein Problem. Die gesetzlichen Arbeitszeiten seiner Mitarbeiter passen nicht immer mit den Wünschen der Gäste zusammen. "Die Feiernden wollen oft gerne länger bleiben als ursprünglich vereinbart", sagt Schaffer: "Dann muss man den Leuten aber sagen, tut uns leid, ihr müsst jetzt leider gehen."
Gesetz regelt Höchstarbeitszeit
Das Arbeitszeitgesetz schreibt eine Beschäftigungsdauer von acht Stunden pro Tag vor, im Ausnahmefall kann sie auf bis zu zehn Stunden ausgeweitet werden. Eine Hochzeit samt Vorbereitung und gut gelaunten Gästen dauert allerdings hin und wieder länger. "Die Gastronomen können nicht so einfach eine zweite Schicht buchen, das gibt der Jobmarkt derzeit nicht her", sagt Jochen Deiring vom Hotel- und Gaststättenverband, der sich eine Lockerung des Gesetzes wünschen würde.

Zeitmodelle: Auch in Schwaben werden sie ausprobiert. Mitarbeitende besprechen sich
Auch Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) will liberalisieren und die Arbeitszeiten flexibel auf bis zu zwölf Stunden täglich anheben: "Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fordert uns heraus. Wenn jemand beispielsweise auch bei einem Teilzeitarbeitsplatz die Arbeit konzentriert erledigen kann, um pflegende Angehörige zu versorgen, dann bringt das einen riesigen Vorteil." Die maximale Arbeitszeit pro Woche soll allerdings gleich bleiben, betont Scharf.
Der Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Arbeit & Soziales, der SPD-Abgeordnete Bernd Rützel aus Gemünden am Main, ist ebenfalls für die Vier-Tage-Woche. Das habe beispielsweise auch Vorteile für Berufspendler, die oft weite Wege zu ihren Arbeitsstellen zurücklegen müssten, aber auch auf für Beschäftigte in der Produktion, die nicht die Vorzüge der Arbeit im Homeoffice genießen könnten. Demnach könne die neue Arbeitszeitregelungen die Work-Live-Balance verbessern, so Rützel.
Gewerkschaften sehen Gesundheitsgefahren
Gewerkschaften stehen der Idee trotzdem eher skeptisch gegenüber. "Studien zeigen, dass mit zunehmender Arbeitsdauer auch die Gefahr von Unfällen steigt, weil die Konzentration der Beschäftigten bei langen Arbeitstagen abnimmt", sagt Silke Klos-Pöllinger vom Deutschen Gewerkschaftsbund und findet: "Der Beschäftigte hat nichts davon und der Unternehmer am Ende auch nicht."

In Schwaben experimentieren einige Unternehmen mit der Vier-Tage-Woche.
Den Mangel an verfügbaren Mitarbeitern durch längere Tage auszugleichen, hält sie für keine gute Idee. Die Rahmenbedingungen müssten sich ändern, dann würden wieder mehr Menschen in Arbeit gehen, betont die Geschäftsführerin des DGB Schwaben und meint damit auch den Abschluss von Tarifverträgen. Denn Arbeitnehmer und Arbeitgeber können damit schon jetzt Ausnahmen bei den Zeiten vereinbaren. Allerdings ist die Tarifbindung in den vergangenen Jahrzehnten stark rückläufig, gerade bei kleineren Firmen. "Die Tarifpartner müssen das fair aushandeln können, das ist uns wichtig. Die Arbeitszeit darf nicht einfach per Gesetz erhöht werden", sagt Klos-Pöllinger.
Vier-Tage-Woche in Neuburg
In Schwaben machen sich derzeit einige Unternehmen Gedanken, wie sie Mitarbeiter für ihre Firma gewinnen können. Der Metallbearbeiter Mörz in Neuburg an der Kammel wirbt auf großen Plakaten für eine Vier-Tage-Woche. Seit Oktober wird täglich neuneinhalb Stunden gearbeitet, der Freitag ist frei. Bei den Mitarbeitern kommt das überwiegend gut an. Mehr Zeit für Freizeit und Familie, Arzttermine könne man besser planen, sagen die Beschäftigten. "Wir wollen einfach etwas für die Work-Life-Balance unser Beschäftigten tun. Viele haben ja Kinder zuhause und möchten sie aufwachsen sehen und mehr Zeit mit ihnen verbringen", betont Geschäftsführerin Christine Mörz. Ganz nebenbei sparen sich die Mitarbeiter am freien Tag die Spritkosten.
Eine andere Firma im Landkreis Günzburg, die das Konzept vor Monaten ausprobiert hatte, ist hingegen wieder zum Normalbetrieb mit fünf Tagen zurückgekehrt. Zu anstrengend seien die langen Arbeitszeiten für die Mitarbeiter gewesen, heißt es aus der Unternehmensleitung.
Experte: "Arbeitnehmer wollen mehr Möglichkeiten"
Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg plädiert für mehr Flexibilität. Eine Lösung passe nicht für alle Mitarbeiter. "Die Menschen wollen heute die Arbeitszeiten an ihr Leben anpassen und nicht umgekehrt", so Weber: "Sie wollen das individuell bestimmen und ich denke, das wird das Standardarbeitsmodell immer mehr ersetzen."
Die Verhandlungsposition der Beschäftigten dürfte sich in Zukunft verbessern. Denn durch den Fachkräftemangel müssen Unternehmen attraktiv sein, um gute Beschäftigte langfristig zu halten. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will das Arbeitszeitgesetz im kommenden Jahr reformieren. Den Acht-Stunden-Tag als Fixpunkt abzuschaffen, wie von Arbeitgebern gefordert, lehnt Heil allerdings ab.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!