Die Umweltminister der EU-Länder einigten sich in der Nacht zum Mittwoch unter anderem auf eine gemeinsame Position zur Reform des Emissionshandels und zu einem Verbot von Verbrennungsmotoren. Verbraucher sollen durch den Klimasozialfonds entlastet werden. Die Gesetze wurden von der EU-Kommission vorgeschlagen, um die Klima-Ziele einzuhalten, und können nun mit dem Europäischen Parlament verhandelt werden. Zuvor hatte das EU-Parlament mehrheitlich für neue Emissionsregeln bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen gestimmt. Bis zum Jahr 2035 soll demnach die Neuwagenflotte der Autobauer 100 Prozent weniger Emissionen als 2021 ausstoßen. Damit folgten die Abgeordneten einem Vorschlag der EU-Kommission in Brüssel, die sich im Juli vergangenen Jahres im Rahmen ihres "Fit for 55"-Klimapakets für ein Verbrenner-Aus bis 2035 ausgesprochen hatte.
Der EU-Ministerrat folgt diesem Plan grundsätzlich, hat nun aber eine Hintertür offengelassen. Die EU-Kommission soll einen Vorschlag unterbreiten, wie nach dem Jahr 2035 Fahrzeuge zugelassen werden können, die dann exklusiv mit klimaneutralen Kraftstoffen betrieben werden können. «Das bezieht sich nach dem gemeinsamen Verständnis der Bundesregierung auch auf Pkw und leichte Nutzfahrzeuge», sagte ein Regierungssprecher. Damit bleiben sogenannte E-Fuels weiter eine Alternative, an der die Hersteller planungssicher forschen und entwickeln können. Diese Möglichkeit hatte zuvor die FDP koalitionsintern durchgesetzt und der Bundesumweltminsiterin Steffi Lemke(Grüne) mit in die EU-Verhandlungen gegeben.
Insgesamt bieten die Positionen der EU-Staaten ein Spiegelbild der gesamten Debatte, in der es kein eindeutiges "richtig" oder "falsch" gibt.
Politische Logik: Tempo und "klare Kante"
Politische Entscheidungen können Technologiewandel erzwingen. Beispiele in der Europäischen Union dafür gibt es genug, im Automobilbereich etwa ist seit 1993 der Katalysator gesetzlich vorgeschrieben. Was inzwischen selbstverständlich ist, war damals umstritten. Solche Erfahrungswerte veranlassen verantwortliche Politiker zu möglichst klaren Vorgaben, wenn es um Epochales, Globales und Grundsätzliches wie den Beitrag des Straßenverkehrs zur Erderwärmung geht.
Egal, wie man dazu steht, machen die Entscheidungen auf EU-Ebene deutlich: Die politische Mehrheit in Europa setzt auf Dekarbonisierung und sucht daher nach alternativen Antriebsarten zum Verbrennen von Benzin und Diesel. Getrieben von Umweltaktivisten, denen es nicht schnell genug gehen kann, und warnenden Stimmen aus Industrie, Gewerkschaften und Autofahrer-Verbänden hat die Politik nun über das "Wann" und "Wie" zu entscheiden.
Mit der Vorgabe "Bis 2035" hat sie dem Prozess einen zeitlichen Rahmen gegeben. Mit dem "Emissionsverbot" hat sie auch das "Wie" beantwortet: Künftig ohne Verbrenner. Dieses Vorgehen ist politisches Handwerk und entscheidungstheoretisch nicht zu beanstanden. Doch in den künftigen Beratungen wird abzuwägen sein, ob diese Vorgaben angemessen, detailliert genug und vor allem so durchführbar sind. Genau dagegen gibt es jedoch erhebliche Einwände.
Einwand Nummer 1: Aber woher kommt der Strom ?
Das Verbrenner-Verbot würde vor allem der E-Mobilität zum Siegeszug mangels erwünschter Alternativen verhelfen. Zumindest bei PKW und leichten Transportern soll gelten: Wer von A nach B will, fährt in der Regel elektrisch. Weitgehend unbemerkt gibt es auch dafür schon ein Abkommen, dem Deutschland auf dem Pariser Klimagipfel 2015 beigetreten ist. Bis 2050 haben sich die Mitgliedsstaaten der sogenannten ZEV-Allianz (zero-emission vehicle) verpflichtet, alle Fortbewegungsmittel, die nicht emissionsfrei fahren, von den Straßen zu verbannen.
Doch dazu braucht es genug Strom und genügend Stromtankstellen. Das energiereiche Norwegen hat sie, wie Befürworter argumentieren. Unbestritten ist jedoch auch: Genau da hat das viel größere Deutschland noch erheblichen Nachholbedarf. Strombedarf, Strominfrastruktur und Versorgungssicherheit bis 2035 so unter einen Hut zu bringen, dass der theoretische Übergang vom Verbrenner zum Elektromobil nicht in der Praxis chaotisch wird, ist jedenfalls eine höchst anspruchsvolle Aufgabe, bei der alle aktiv mithelfen müssen: Staat, Energiewirtschaft, Autobauer und Verbraucher. Fazit: Ob das bis 2035 zu schaffen ist, bleibt sehr unklar.
- Zum Artikel: "Mit immer mehr E-Autos zum Blackout?"
Einwand Nummer 2: Der Verbrenner ist ökologischer als sein Ruf
Wird erneuerbarer Strom getankt, sind Elektromobile über ein langes 13-jähriges Autoleben ökologischer als vergleichbare Verbrenner, so eine Studie der EU-Kommission von 2020, die eine Grundlage für politische Entscheidungen bildet.
Was aber, wenn Ökostrom nicht genügend fließt und was, wenn Verbrennermotoren nahezu emissionsfrei weiter entwickelt werden?
Faktum ist: Weniger als 20 Prozent der gesamten verbrauchten Energiemenge in Deutschland stammt aus erneuerbaren Quellen, bemängelt zum Beispiel das Umweltbundesamt und fordert ein schnelleres Wachstum, um die Klimaziele zu erreichen. Denn mehr Öko-Strom im Verkehr bedeutet bislang zwangsläufig weniger Ökostromanteil bei Wärme- und Stromversorgung von Haushalten und Industrie (dazu z.B. Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Treibhausgasminderungs-Quote Drucksache 19/27435, Stand 09.03.2021).
Keine klare Definition von "Ökostrom"
Ökostrom ist auch deswegen ein dehnbarer Begriff. Denn Strom-Anbieter können sogenannte "Herkunftsnachweise" erwerben, um ihr Produkt als "ökologisch" an der Ladesäule zu verkaufen. Die in Deutschland zum Einsatz kommenden Herkunftsnachweise stammen vor allem aus norwegischer Wasserkraft – der Anteil aus Neuanlagen für erneuerbare Energien ist gering.
Somit ergibt sich ein geringer Klimanutzen, weil keine zusätzlichen Erneuerbare-Anlagen gebaut werden. Diese Gefahr belegt ein aktueller Marktvergleich von 78 Ökostrom-Anbietern durch die Zeitschrift "Öko-Test". Ergebnis: Noch immer tragen die meisten Tarife nichts zur Energiewende bei.
Hinzu kommt: Mit zunehmender Marktdurchdringung wächst die Zahl der Elektromobilisten ohne Photovoltaik-Anlagen, Batteriespeicher und/oder eigene Pkw-Stellplätze mit Lademöglichkeiten. Für diese Personen sind die Möglichkeiten begrenzter und der Anteil von Ökostromtarifen könnte sogar sinken, so das Fraunhofer-Institut in einer aktuellen Studie.
Verbrennermotoren umweltfreundlicher weiterentwickeln
Gleichzeitig wäre die umweltfreundliche Weiterentwicklung von Otto-und Dieselmotoren aus technischer Sicht möglich, wenn die Regulierung es zulässt. BMW hält sie sogar für zwingend, um die ambitionierte Gesamtreduktion von Kohlendioxid hinzubekommen. Ökologisches Potenzial bei Verbrennern sehen Entwickler vor allem beim Zylinder-Temperaturmanagement für höhere Wirkungsgrade bei Benzinern und niedrige Stickstoffoxid-Emissionen beim Diesel.
Dies vor allem in Verbindung mit sogenannten synthetischen Kraftstoffen, die dem Verbrenner eine viel bessere Ökobilanz bescheren sollen. Der Verband der deutschen Automobilindustrie, Wissenschaftler aber auch Autofahrer-Verbände wie der ADAC sprechen sich nach wie vor für Technologieoffenheit in diesem Zusammenhang aus.
Durch die nächtlichen Beschlüsse des EU-Ministerrats ist nun der Weg auch für das Massengeschäft mit PKWs frei.
Fazit: Trotz gewisser Perspektiven für den Verbrenner werden sich die Autobauer der neuen Regulierung anpassen und ihre Entwicklungsarbeit auf alternative Antriebe konzentrieren müssen. Ob die normative Kraft des Faktischen dann tatsächlich ökologischere Ergebnisse bringt, bleibt abzuwarten. Klar ist, dass Strom dazu sauberer werden muss, als er momentan angeboten wird und der Wirkungsgrad der Batterien erheblich erhöht wird. Auf diese Karte setzt die Politik.
Einwand Nummer 3: Vielfalt der Antriebsarten hält uns unabhängig
Voraussetzungen für E-Mobilität sind Stromspeicher und Batterien und die dafür benötigten Rohstoffe. Die kommen zum großen Teil aus China und Russland, also Staaten, von denen die EU gerade unabhängiger werden will. Die bayerische Wirtschaft sieht das mit Sorge.
Unsichere Energieversorgung, gestörte Lieferketten und Rohstoffmangel seien für die Hersteller und Zulieferer ernste Probleme. "In dieser Situation können wir keine erfolgreichen Technologiepfade einfach abschneiden und uns in neue Abhängigkeiten begeben, ohne Wohlstand und Beschäftigung aufs Spiel zu setzen", sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft.
Verringerung, Recycling und Ersatz von nötigen Rohstoffen für E-Mobilität sollen Abhilfe schaffen. Mit dem "Green Deal" hat die EU dazu gerade einen Rechtsrahmen für nachhaltige Batterien und klimaneutrale Kreislaufwirtschaft aufgesetzt. Dennoch wird es weiter erhebliche Engpässe geben, so das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Eine bislang unveröffentlichte Studie des Münchner ifo-Instituts mahnt zur mehr Diversifizierung in der Beschaffung durch mehr Handelsabkommen und Abschaffung von Einfuhrzöllen auf Rohstoffe.
Fazit: Setzt die EU tatsächlich nahezu ausschließlich auf E-Mobilität, müssen Erfolge bei Recycling-und Substitutionslösungen schneller kommen, als der erwartbare Hunger nach Rohstoffen aus Problemstaaten wächst. China selber folgt jedenfalls einem anderen Pfad und fördert neben E-Mobilität auch Methanol, Wasserstoff und E-Fuels.
Einwand Nummer 4: Verbrenner-Aus schlecht für Standort und Jobs
Hier könnten die Meinungen kaum weiter auseinander gehen. Grüne und Umweltorganisationen sprechen von einer Entscheidung "für die Zukunft des Automobilstandorts Europa": "Die zukünftig besten Elektroautos samt neuesten Batterien werden von hier her kommen", sagte der EU-Parlaments-Abgeordnete Michael Bloss, Greens/EFA.
Die Organisation Transport & Environment erwartet massive Investitionen in Ladeinfrastruktur, Batterietechnologie und andere Wirtschaftszweige durch Investitionssicherheit für die deutsche Automobilindustrie. Von verhalten bis ablehnend hingegen die Einschätzung der betroffenen Industriezweige. "Dieser europäische Technologieausverkauf wird nicht spurlos am Autoland Bayern vorbeigehen", urteilt der Präsident und Landesinnungsmeister des bayerischen Kraftfahrzeuggewerbes, Albert Vetterl im "Straubinger Tagblatt".
Die EU-Entscheidung dürfte zu einer Verlagerung der Verbrennertechnologie nach Asien führen und gehe auf Kosten des Mittelstands in Bayern. Der deutsche Maschinenbauerverband VDMA sieht ebenfalls "eine schlechte Nachricht für die industrielle Stärke und Nachhaltigkeit der EU".
Demgegenüber sieht eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group Deutschlands Chancen als weltweiter Vorreiter bei der Elektromobilität. Die Zahl der Arbeitsplätze könnte trotz Verschiebungen demnach konstant bleiben. Und für Rolf Najork, immerhin Chef des Zuliefergiganten Bosch, steht laut Wirtschaftswoche fest: "Die Fabrik der Zukunft ist grün und flexibel. Für eine grüne Zukunft ist vieles vorhanden und bildet ein stabiles Fundament für den großen Wurf."
Fazit: Entscheidend wird für Deutschlands Schlüsselbranchen sein, ob der Strukturwandel bei Autobauern und Zulieferern netto mehr Jobs schafft als vernichtet. Eine Studie des ifo-Instituts von 2021 im Auftrag des Verbandes der Automobilindustrie sieht jedenfalls mindestens 217.000 Jobs durch die Transformation zur Elektromobilität verloren.
Einwand Nummer 5: Viele wollen weiterhin mit Verbrenner fahren
Aktuelle Umfragen belegen die Skepsis der Autofahrer in Deutschland. Laut Meinungsforschungsinstitut Civey sind 57 Prozent gegen ein Verbrennerverbot. Die Meinungsforscher von YouGov ermittelten 51 Prozent. Eine Momentaufnahme, genau wie die Absatzzahlen. Denn trotz anziehender Neuzulassungen ist der Anteil von E-Autos mit lediglich 1,3 Prozent noch verschwindend gering.
Aber das kann sich ändern, denn was Autofahrer wirklich wollen, ist ein Resultat aus Angebot und Nachfrage, technischem Fortschritt, Preisgestaltung und gesetzlichen Hürden und Anreizen.
Fazit: Wie sich die Verbraucherstimmung entwickelt, hängt von der endgültigen Ausgestaltung der kommenden Regulierung und dem tatsächlichen Tempo der Energiewende ab. Nicht unplausibel ist zumindest ein unerwünschter Effekt des Ausstiegsdatums 2035: Es könnte zu einem europaweiten Run auf Verbrenner in den Jahren ab 2030 kommen, weil vielen lohnenswert erscheint, noch einen langlebigen Benziner oder Diesel zu kaufen.
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