Kaum noch Mehl ist für die Kunden in diesem Lebensmittelmarkt zu bekommen. Die Regale für manche Produkte sind weitestgehend leer gekauft infolge des Ukraine-Konfliktes.
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Seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 neigen Verbraucher zu Hamsterkäufen. Durch die aktuelle Lage in der Ukraine wird das noch verstärkt.

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Sonnenblumenöl und Mehl: Die Psychologie hinter dem Hamsterkauf

Aus Angst vor Lebensmittelknappheit kaufen die Kunden derzeit die Regale leer - obwohl mehr als genug Lebensmittel vorhanden sind. Doch warum kommt es zu Hamsterkäufen und massenhaften Bestellungen von Notvorräten?

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Wer in diesen Tagen zum Einkaufen geht, steht nicht selten vor teils leeren Regalen. Vor allem bestimmte Lebensmittel wie Sonnenblumenöl und Mehl werden enorm stark nachgefragt - und von einigen Verbrauchern geradezu "gehamstert". Ein Phänomen mit sehr konkreten Folgen.

Kunden bestellen massenweise Notvorräte

Im Lager der Firma Feddeck Dauerwaren arbeiten normalerweise 20 Mitarbeiter. Aktuell sind es doppelt so viele. Trotzdem schaffen sie es kaum, die Massen an Bestellungen abzuarbeiten. Denn die Beschäftigten verpacken ein momentan sehr gefragtes Gut: Notvorräte, zum Beispiel Konserven, die zehn Jahre und länger halten.

Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine bestellen Kunden massenhaft Notrationen. Und zwar so viel, dass die Geschäftsführer schließlich die Reißleine ziehen mussten. Sie schlossen die Verkaufskanäle, um erstmal den Rückstand abzubauen. Zum ersten Mal überhaupt musste das Unternehmen seine Verkaufsaktivitäten einstellen.

  • Zum Artikel: Leere Regale im Supermarkt: So hamstert Bayern

Die Psychologie hinter dem Hamsterkauf

Die Menschen haben Angst vor Lebensmittelknappheit und leeren Regalen. Doch warum? "Hier in diesem Fall ist es so, dass natürlich durch diese ganzen Kriegsereignisse, die so präsent in den Medien sind, die Ängste geschürt werden, dass es demnächst irgendetwas weniger gibt", erklärt Hirnforscher Professor Christian Elger die Verhaltensweisen. "Und das heißt, es tritt ein Schmerzgefühl ein. Ich verliere etwas, was ich eigentlich in meinem Leben brauche. Das sind ja auch Dinge, die im Alltag relativ wichtig sind. Und dann kommt es zu diesen Hamsterkäufen."

Kundin kauft 70 Liter Sonnenblumenöl

Wie fast jeder Lebensmittelhändler derzeit erlebt auch der Marktleiter des Amper-Einkaufszentrums in Puchheim bei München, Markus Auer, Hamsterkäufe. Zum Beispiel beim Sonnenblumenöl. Obwohl er seine Regale voll mit verschiedenen Sorten Öl hat, wollen die Kunden derzeit fast nur Sonnenblumenöl. Der Grund: Die Verbraucher fürchten hier Engpässe, weil die Ukraine einer der Hauptlieferanten ist.

Um Hamsterkäufen vorzubeugen, wurde das Öl rationiert auf drei Flaschen pro Person. Seitdem erlebt Markus Auer abenteuerliche Geschichten. "Wir hatten eine Kundin im Haus. Die hat bei mir angefragt, ob sie mehr als vier Flaschen Öl kaufen kann. Ich habe das dann verneinen müssen, schließlich wollen wir alle unsere Kunden bedienen. Und die Dame meinte dann zu mir, sie sei froh, dass sie die letzten Wochen schon gut eingekauft hat. Sie hat jetzt – Stand letzte Woche – 70 Liter Sonnenblumenöl im Haus", berichtet Auer.

Auch Mehl tragen die Verbraucher derzeit vorsorglich kiloweise aus dem Supermarkt. Dabei drohen keine Produktionsengpässe, wie Auer betont: "Es gibt immer weiterhin noch Mehl. Das Problem ist, dass viele Leute glauben, sich bevorraten zu müssen und einen Bedarf an Mehl kaufen, den sie eigentlich die nächsten Wochen und Monaten nicht benötigen. Somit ist die Lieferkette etwas schwierig, weil der Lieferant nicht mehr hinterherkommt."

Knappheit, weil Knappheit befürchtet wird

Die Wirtschaftspsychologin Mira Fauth-Bühler von der Hochschule für Ökonomie und Management in Stuttgart kennt die gravierenden Folgen dieser Verhaltensweisen. Ein Lebensmittel wird deshalb knapp, weil die Menschen befürchten, dass es knapp wird. "Im Sinne der selbsterfüllenden Prophezeiung kommt es dann tatsächlich zu den Befürchtungen aufgrund unseres eigenen Verhaltens und nicht aufgrund der Tatsachenlage", erklärt Fauth-Bühler.

Leere Regale also, weil Verbraucher leere Regale befürchten. Ein Zustand, den Müllermeister Rudolf Sagberger aus dem bayerischen Bruckberg nicht verstehen kann. Auch er spürt die deutlich gestiegene Nachfrage. Mehl und Getreide habe er genug, bestätigt Sagberger. "Mein Getreidesilo ist halb oder dreiviertel voll. Ich bin sehr, sehr gut versorgt mit Getreide."

Deutschland droht keine Knappheit

Eine Knappheit droht den Deutschen also nicht. Denn in vielen Bereichen produziert Deutschland mehr als es benötigt und ist somit nicht auf andere Länder angewiesen: Beim Fleisch decken heimische Bauern den Bedarf zu 118 Prozent. Das heißt, es gibt sogar eine Überproduktion.

Ebenso bei Milch und Milchprodukten. Bei Gemüse ist Deutschland auf Importe angewiesen, dafür stehen genügend Kartoffeln und Zucker zur Verfügung. Auch bei Weizen produziert Deutschland mit 125 Prozent mehr als genug. Deshalb wird laut dem Verband Deutscher Mühlen auch kein Weizen aus der Ukraine oder Russland benötigt. Und dennoch hat das angstgetriebene Verhalten der Marktteilnehmer deutliche Auswirkungen auf den Preis.

"Durch den schrecklichen Krieg in der Ukraine ist die Börse nach oben gegangen", sagt Rudolf Sagberger vom Verband Deutscher Mühlen. Die Spekulanten haben das Getreide teurer gemacht. Das heißt, wenn ich als Mühle jetzt nachkaufen muss, muss ich einen hohen Preis bezahlen. Denn der Landwirt schaut wie der Preis in Paris an der Börse notiert ist, und den will er natürlich haben."

Steigende Preise an den Zapfsäulen

Auch in anderen Bereichen treiben Anbieter die Preise seit Kriegsbeginn nach oben. Zum Beispiel an den Tankstellen. Gleich nach dem Angriff auf die Ukraine schraubten die Mineralölkonzerne die Preise enorm hoch. Die gängige Begründung war der gestiegene Rohölpreis. Doch das stimmte nur anfangs. Denn seit Kriegsbeginn am 24. Februar sind die Rohölpreise erst in die Höhe geschnellt, doch dann wieder gesunken. Die Spritpreise gingen mit dem Ölpreis in die Höhe, blieben aber dann auf hohem Niveau.

"Woran das liegt, ist eine offene Frage. Aber der Verdacht liegt natürlich nahe, dass auf dem Weg von der Quelle bis zur Zapfsäule der eine oder andere die Hand aufhält und ordentlich mitverdient", sagt Katrin van Randenborgh vom ADAC.

Günstige Preise als Marketing-Instrument

Doch es geht auch anders wie ein Beispiel aus dem oberbayerischen Reischenhart zeigt. Dort gab es an einer Tankstelle vor wenigen Tagen ein besonderes Angebot: Während der Diesel im nahen München teilweise über 2,30 Euro kostete, konnte man dort für 1,99 Euro tanken – mehr als 30 Cent billiger. Innerhalb weniger Stunden sprach sich das Sonderangebot in der Region herum, es kam zu Wartezeiten an der Zapfsäule.

"Das war für uns natürlich eine gute Möglichkeit, unseren Bekanntheitsgrad in der Region noch mal zu steigern", erklärt Georg Dettendorfer vom Inntaler Autohof Raubling. "Warum haben wir es gemacht? Man muss vielleicht am Anfang sagen: Wir sind eine freie Tankstelle und unser großes Plus ist, dass wir ein eigenes Lager haben. So konnten wir die Mengen, die wir noch im Tank hatten, mit neuen Einkäufen mischen und haben es so geschafft, dass wir an der Tankstelle einen guten Preis machen konnten."

Doch solche Angebote mit vergleichsweise sehr günstigen Spritpreisen dürften eher die Ausnahme bleiben. Laut Experten wahrscheinlicher: Die Preise klettern weiter und damit steigt auch die Inflation.

  • Zum Artikel: Özdemir appelliert an Bürger: Bitte keine Hamsterkäufe

Selbsterfüllende Prophezeiungen

"Experten diskutieren auch hier das Phänomen der selbsterfüllenden Prophezeiung. Also, wenn ich die Erwartung habe, dass Produkte teurer werden, neigen Unternehmen dazu, geplante Käufe vorzuziehen. Das heißt, der Absatz steigt, es werden mehr Produkte nachgefragt. Damit steigt auch der Preis. Und die Folge ist dann, dass die Inflationsrate tatsächlich zunimmt", erklärt Wirtschaftspsychologin Fauth-Bühler.

Auch Erwartungshaltungen führen also schon zu höheren Preisen und zu leeren Regalen. Psychologische Effekte und Abläufe im menschlichen Gehirn spielen somit eine wichtige Rolle im Marktgeschehen – vor allem in Krisenzeiten.

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