Während der ersten beiden Pandemie-Jahre konnte Monika Kortus nur telefonisch beraten. Mittlerweile kann die Fachberaterin der Schuldner- und Insolvenzberatung der Caritas in Regensburg aber wieder Termine in Präsenz anbieten. Damit stößt sie auf großes Interesse: "Wir nehmen aktuell einen deutlichen Anstieg wahr", sagt Kortus: "Die Menschen kommen nach der ersten Pandemiephase wieder in Aktivität und man merkt, dass sich viele verkrochen hatten."
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Nachfrage um 25 Prozent gestiegen
Allein bei der Schuldnerberatungsstelle der Caritas in Regensburg ist die Nachfrage im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent auf aktuell knapp 750 Hilfesuchende gestiegen. Von einem ähnlich starken Anstieg berichten auch die Beratungsstellen der Diakonie – zum Beispiel in Landshut oder Neumarkt.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Generell war und ist Jobverlust ein entscheidender Faktor – vor allem auch krankheitsbedingt. Aktuell sind es aber auch wirtschaftliche Folgen der Pandemie: eine gescheiterte Selbständigkeit etwa. Mietschulden betreffen mittlerweile ein Drittel der Ratsuchenden. Persönliche Schicksalsschläge wie eine Trennung oder Scheidung können häufig auch ein Loch in die Haushaltskasse reißen.
Hohe Energiepreise verschärfen die Situation
Und die aktuelle Entwicklung verschärft die Situation noch einmal, sagt die Regensburger Fachberaterin Monika Kortus: "Wir haben die steigenden Energiepreise, wir haben die steigenden Lebenshaltungskosten. Da wird's immer enger, das ist ja ganz klar." Laut Caritas Deutschland hat sich die Zahl der Hilfesuchenden mit Energieschulden im Vergleich zu Vor-Pandemie-Jahren sogar verdoppelt. Monika Kortus erwartet die Spitze des Eisbergs allerdings erst nächstes Jahr, wenn hohe Nebenkostenabrechnungen der Energieversorger eintrudeln.
Monika Kortus, Schuldnerberaterin bei der Caritas in Regensburg, erwartet im kommenden Jahr eine noch größere Nachfrage.
Betroffen vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen
Diesen Kostendruck spürt Kim Blum, Kreisgeschäftsführerin des Sozialverbands VdK in Landshut, bereits jetzt. Viele Personen, die Jobcenterleistungen oder Sozialhilfeleistungen beziehen, hätten sehr große Angst, dass sie ihre Energiekosten selbst nicht mehr stemmen können: "Es ist auch so, dass viele Menschen, die zuvor keine Leistungen bezogen haben, durch die Energiekosten in den Bezug rutschen."
Auch die Mehrzahl der Hilfesuchenden bei der Caritas in Regensburg hat ein niedriges Einkommen. Viele von ihnen könnten ihre Situation aktuell gerade noch so händeln, sagt Kortus. "Da wird es im kommenden Jahr etliche Menschen betreffen, die bisher noch ihren Alltag gut gemeistert haben." Verschulden kann sich theoretisch aber jeder. Unter den Hilfesuchenden sind auch viele Rentner oder Berufstätige. Zudem immer mehr Menschen mit Migrationsgeschichte, weil sie z.B. Behördenbriefe oder Rechnungen nicht verstehen.
Vermehrt auch junge Menschen verschuldet
In vielen Fällen können Schuldnerberatungsstellen derzeit dafür sorgen, dass die Freibeträge auf Pfändungsschutzkonten erhöht werden. Damit wird aktuell oft verhindert, dass zum Beispiel verschuldete Rentner die kürzlich erhaltene Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro nicht sofort wieder an ihre Gläubiger weiterreichen müssen.
Neu ist, dass sich vermehrt auch Anfang-20-Jährige beraten lassen, die z.B. online auf Rechnung einkaufen und sich verkalkulieren. Laut der kürzlich veröffentlichten Trendstudie "Jugend in Deutschland" haben 20 Prozent der jungen Menschen in Deutschland zwischen 14 und 29 Jahren Schulden. Um junge Menschen aufgeklärter in die Wirtschaftswelt zu schicken, wünscht sich Monika Kortus mehr Präventionsarbeit bereits in Schulen.
Zwei Monate Wartezeit für eine Beratung
Da viele Menschen aus Scham erst sehr spät eine Beratungsstelle aufsuchen würden, erwartet Monika Kortus die große Welle Hilfesuchender erst im kommenden Jahr. Die Kontaktaufnahme zur Caritas kann telefonisch erfolgen, per Mail, oder über das Online-Portal – das geht alles auch anonym. Jeder aus der Stadt und aus dem Landkreis Regensburg kann das Angebot wahrnehmen. Ähnlich ist es bei anderen Beratungsstellen.
Das Ziel lautet immer: die Menschen zu befähigen wieder selbständig mit ihrem Einkommen auszukommen. Eine Alternative sind Verbraucher-Insolvenzverfahren. Dabei wird ein Teil des Einkommens über drei Jahre an die Gläubiger verteilt, am Ende ist man schuldenfrei. Für akute Notsituationen hat die Caritas in Regensburg täglich ein Zeitfenster für Sprechstunden. Ansonsten muss man derzeit ca. zwei Monate auf einen Termin warten.
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