Fast die Hälfte aller Pkw in Bayern ist über neun Jahre alt. Den Trend zu immer höheren Altersdurchschnitten bestätigt die Langzeitstatistik des Kraftfahrtbundesamtes auch für Gesamtdeutschland. So stieg die durchschnittliche Haltedauer seit 2013 von acht auf zehn Jahre. Stichhaltige Gründe finden sich im jährlich erscheinenden Report der Deutschen Automobiltreuhand, der repräsentativ erhebt, was Deutschlands Autofahrer wollen oder ablehnen.
Entscheidung gegen Auto-Neukauf vor allem eine Kostenfrage
2022 wird dort als Jahr multipler Mangellage, langer Lieferzeiten, zweistelliger Inflationsraten sowie hoher Anschaffungspreise beschrieben. Der Durchschnittspreis für einen Neuwagen durchbrach 2022 erstmals mit 42.700 Euro die 40.000-Euro-Schwelle, eine Steigerung innerhalb der vergangenen zehn Jahre von 58 Prozent! Ein besonders schwieriges Umfeld also für jene 80 Prozent der Pkw-Halter, die im DAT-Report 2023 das eigene Auto "unverzichtbar" nannten.
Dabei wurde deutlich, dass viele der Befragten in wirtschaftlich unsicheren Zeiten eher bei ihrem eigenen Fahrzeug bleiben und dieses weiter reparieren lassen würden. Besonders Halter von Pkw, die zehn Jahre und älter sind, bestätigten dies zu 54 Prozent. Daraus geht auch hervor, dass vor allem Kosten und Preise von Neu-und Gebrauchtwagen die Treiber dieser Entwicklung sind. "Money matters" gilt auch für Elektroautos. Sie werden aus finanziellen und technischen Gründen weiterhin mehrheitlich abgelehnt, unter anderem auch, weil die Inspektionskosten laut DAT-Report häufig auf dem Niveau von Verbrennern lägen.
Mit dem alten Pkw auf ausgereifte Technik warten
So wundert es nicht, dass sich immer mehr Pkw-Halter für eine Überbrückungszeit entscheiden, in der das alte Fahrzeug nochmal flott gemacht werden soll. 63 Prozent der Befragten wollen den nächsten Technologiesprung abwarten. Knapp zwei Drittel der Befragten hielten in diesem Zusammenhang auch E-Fuels für eine Option, ihren alten Verbrenner klimaneutral weiter betreiben zu können.
Eine Entwicklung, die Benjamin Urbansky bestätigen kann. Als Standortleiter des Dortmunder Kompetenzzentrums von ZF Aftermarket beobachtet er seit etwa zwei Jahren das steigende Durchschnittsalter der Fahrzeuge, die dort zur Reparatur kommen. ZF, viertgrößter Autozuliefer der Welt, bündelt am Standort Holzwickede seine Expertise in Getriebetechnik von der Prüfung über die Reparatur bis hin zum Austauschgetriebe. Aber wie wirtschaftlich ist das aus Kundensicht?
Reparieren statt austauschen
Instandsetzungsprofi Urbansky nennt das aktuelle Beispiel eines BMW 525i, Baujahr 2005 mit Kilometerstand 210.000. Der Hersteller verlangt für ein neues Getriebe rund 6.000 Euro, zuzüglich Kosten für Aus- und Einbau. Mit einer zeitwertgerechten Reparatur konnte ZF das Getriebe für 3.300 Euro instand setzen. "Wir können in der Regel 70 bis 90 Prozent der Teile wiederverwenden und tragen somit auch einen Anteil zur Reduzierung der Altlasten bei", bilanziert Urbansky.
Getriebeinstandsetzung in Holzwickede: ZF Aftermarket setzt auf zeitwertgerechte Reparaturen
Behalten kann auch nachhaltig sein
Wiederverwertung und Aufbereitung gebrauchter Teile ist grundsätzlich nachhaltig. Warum sollte das beim Auto anders sein, wie der Blick nach Frankreich nahelegt. Dort sind die Werkstätten seit 2017 gesetzlich verpflichtet, zunächst eine Remanufacturing-Lösung zu prüfen, bevor sie neue Teile einbauen. Reparatur sei klimafreundlicher als Austausch, dem Thema widmete die Allianz-Versicherung 2022 einen ganzen "Autotag", verbunden mit der Forderung, mit mehr Reparaturen weniger CO2 zu produzieren.
Das Prinzip des ökologischen Kreislaufs begleitete durch sogenanntes "Ausschlachten" die Autowirtschaft seit Beginn. Dazu Steffen Dominsky von der Fachzeitschrift "kfz-Betrieb": "Gerade der als Heilsbringer gepriesene E-Antrieb könnte den Umweltaspekt dieses Kreislaufs sprengen. Denn was passiert mit einem E-Auto nach zehn, zwölf Jahren?" Für Diskussionen in diesem Zusammenhang sorgt aktuell Tesla. Der US-E-Auto-Pionier baut sein Model Y mit Batteriepacks, die als Teil der Fahrzeugkarosserie verbaut werden. Weil es in Großbritannien keine geeigneten Recyclinganlagen gibt, stapeln sich laut Nachrichtenagentur Reuters zunehmend abgeschriebene Unfallfahrzeuge mit beschädigten Batterien in Containern.
Was Wiederherstellung statt Wegwerfen bringt, hat Prof. Rolf Steinhilper von der Universität Bayreuth 2018 einmal am Beispiel eines Starters durchgerechnet: 88 Prozent weniger Materialaufwand, 56 Prozent weniger Energie, 53 Prozent weniger CO2-Ausstoß.
Markt für Wiederaufarbeitung entwickelt sich
Mittlerweile gibt es einen europaweiten Markt für die Wiederaufarbeitung von Autoersatzteilen nach Werksstandards mit Gewährleistung ("Remanufacturing"). Schrotthändler und Internetplattformen bieten mittlerweile eine gut funktionierende Verteilerinfrastruktur. Ein dritter Weg zwischen teuren Original-Neuteilen und dubiosen Fremdprodukten.
Zeitwertgerechte Reparaturen eignen sich für sehr viele Bauteile, die durch den Austausch von Verschleißteilen instand gesetzt werden können (Anlasser, Klimakompressoren, Lenksäulen, Bremssättel). Durch Neuteile ersetzt werden sollten stets Verschleißteile wie Stoßdämpfer oder Bremsscheiben. Kostenersparnis: bis zu 90 Prozent, in der Regel mindestens ein Drittel und mehr. Auch die Auto-Hersteller öffnen sich diesem Thema seit einigen Jahren immer mehr. Volkswagen bietet in ausgewählten Werkstätten für Fahrzeuge über vier Jahre einen "Economy Service" mit reduzierten Preisen an. Daimler hat für gewerbliche Kunden im Internet eine Mercedes-Tauschteileplattform, Ford wendet sich mit der Zweitmarke "Motorcraft" an Halter mit Autos älter als fünf Jahre. Selbst BMW vertreibt unter dem Namen "encory" seit einiger Zeit refabrizierte Autoteile.
Die Qualitätsfrage entscheidet
Gleichzeitig haben sich besonders asiatische Hersteller, allen voran chinesische, auf die Lieferung von neuen Ersatzteilen spezialisiert. Anlasser, Lichtmaschinen, Bremssättel kommen immer öfter sauber und neu aus Asien. Auch das sei ein aktueller Trend, den der Autofahrer aber nicht mitbekommt, so Marktbeobachter Steffen Dominsky. Im Licht der neueren weltpolitischen Konflikte und nach den Lieferkettenproblemen der vergangenen Jahre ist das eine zwiespältige Entwicklung. Qualitätsprobleme, etwa bei elektronischen Bauteilen, sind jedenfalls auf dem Radar des Zentralverbandes Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe ZDK.
Die Bundesfachgruppe Freie Werkstätten hat Kfz-Betriebe aufgerufen, prägnante Beispiel zu melden, bei denen Produkt-und Datenqualitäten nicht passen. Bei Teilen aus Fernost herrsche Skepsis, so Peter Schuler, Bundesgeschäftsführer der Kfz-Sachverständigenorganisation KÜS. An die Werkstätten gerichtet fordert er: In Zeiten von Online-Ersatzteilhandel ist es also wichtiger denn je, die Kunden transparent über Preis- und Qualitätsunterschiede zu informieren. Und hier herrscht Nachholbedarf."
Fazit: Der Markt sucht sich Auswege
Für "Reparieren statt Wegwerfen" gibt es auch auf dem Automarkt Angebot und Nachfrage. Wer seinen Pkw-Lebenszyklus damit verlängern will, braucht eine kundige Werkstatt und keine Scheu vor Marktrecherchen. Wegen hoher Preise und langer Lieferzeiten sind immer mehr Autofahrer dazu bereit.
Dieser Artikel ist erstmals am 23. April 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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