Für den Fall, dass die Gaspipeline Nord Stream 1 nach den nun begonnenen Wartungsarbeiten nicht wieder am 21. Juli ihren Betrieb aufnehmen sollte, befürchten Ökonomen einen Konjunktureinbruch in Deutschland.
"Augen der Welt werden auf Lubmin gerichtet sein"
"Es wird befürchtet, dass die russische Seite das Gas als strategische Waffe benutzt", sagte Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank: "Die Augen der Welt werden am 21. Juli auf den Pipeline-Knotenpunkt in Lubmin gerichtet sein."
Volkswirt befürchtet Lockdowns der Wirtschaft wegen fehlendem Gas
Falls dann das Gas ausbleibt, werde zwar nicht sofort der Gas-Notstand herrschen, doch eine weitere Befüllung der Gasspeicher für den Winter wäre schwierig, und spätestens 2023 müsste das Gas dann rationiert werden. "Es käme damit erneut zu Lockdowns der Wirtschaft", sagt Gitzel: "Die deutsche und die europäische Wirtschaft würden in eine tiefe Rezession abrutschen." Dies sei zwar ein Worst-Case-Szenario, zeige aber "wie entscheidend der 21. Juli in diesem Sommer werden wird", betonte Gitzel.
Sollte der Gashahn auch danach geschlossen bleiben, müsste Deutschland wohl in absehbarer Zeit die dritte Stufe des Gasnotfallplans ausrufen, warnte auch Commerzbank-Experte Bernd Weidensteiner. "Schließlich würde es dann kaum mehr ohne staatlich verordnete Rationierungen ausgehen - es drohen damit erhebliche wirtschaftliche Schäden."
Der Staat könnte den Einbruch nur abfedern
Viele Firmen müssten dann ihre Produktion herunterfahren und die noch belieferten Abnehmer sähen sich wohl ebenso wie die privaten Haushalte mit sprunghaft steigenden Preisen konfrontiert. "Die in diesem Fall zu erwartenden massiven staatlichen Transferzahlungen würden möglicherweise zwar eine Pleitewelle der Unternehmen verhindern und das Einkommen der Haushalte stützen", fügte Weidensteiner hinzu. Dies würde einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts aber nicht verhindern, sondern nur dessen Folgen abfedern.
Folgen schwer einschätzbar, starke Rezession realistisch
"Das Ausmaß eines solchen Einbruchs lässt sich kaum abschätzen, da es einen derart drastischen Eingriff in die Wirtschaft in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben hat", erläuterte Weidensteiner. Ökonomen könnten sich deshalb nicht auf Erfahrungswerte stützen, sondern müssten auf modelltheoretische Schätzungen zurückgreifen.
Diese Ergebnisse seien "mit äußerster Vorsicht zu genießen", räumte Weidensteiner ein: "Eine schwere Rezession wie nach der Weltfinanzkrise ist aber sicherlich ein realistisches Szenario." Die Wirtschaft in Deutschland war in der Finanzkrise 2009 um 5,7 Prozent eingebrochen. Im ersten Corona-Jahr 2020 ging es um 4,6 Prozent bergab.
Bundesnetzagentur-Chef zur aktuellen Gas-Versorgung
Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur, skizziert die aktuelle Situation nach der Abschaltung der Gaspipeline Nord Stream 1:

Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur
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