In der Augsburger Apotheke von Ulrich Koczian werden eigene Fiebersäfte hergestellt.
Bildrechte: BR/ Veronika Scheidl

In der Augsburger Apotheke von Ulrich Koczian werden eigene Fiebersäfte hergestellt.

  • Artikel mit Audio-Inhalten

Knappe Medikamente: Apotheken stellen eigene Fiebersäfte her

Seit Wochen gibt es eine starke Infektionswelle mit Atemwegserregern, der Bedarf an Medikamenten ist groß. Aber: In den Apotheken sind die nötigen Medikamente kaum noch vorhanden. Deswegen behelfen sich viele Apotheken nun selbst, etwa in Augsburg.

Aufgrund des anhaltenden Medikamentenmangels bei gleichzeitiger Krankheitswelle ergreifen viele Apotheken nun die Initiative und stellen ihre eigenen fiebersenkenden Medikamente her - so auch der Augsburger Apotheker UIrich Koczian. "Wir stellen zurzeit Paracetamol-Zäpfchen und Ibuprofen-Säfte her. Mit der eigenen Herstellung wollen wir eine Basisversorgung sicherstellen", sagt der Augsburger Apotheker. Gerade sei man zudem dabei, an einer Rezeptur für einen Antibiotikum-Saft zu arbeiten, einem Amoxicillin-Saft.

Das sei ein Saft, der sehr häufig vor allem in der Kindermedizin verschrieben, aber auf absehbare Zeit nicht erhältlich sein werde. Das Problem beim Amoxicillin sei, dass der Wirkstoff schlecht schmecke. "Und wenn die Kinder den über mehrere Tage zwei bis dreimal täglich nehmen sollen, dann muss er akzeptabel schmecken. Und jetzt geht es darum, dass man den Geschmack so hinkriegt, dass der tolerabel ist für Kinder“, erklärt der Apotheker.

Fiebersaft nur gegen Rezept

Die anhaltende Medikamentenflaute sorgt für Unsicherheiten, gerade auch bei Eltern. Denn Kinder und Jugendliche haben oft Fieber, wenn sie krank sind. Viele Eltern würden deswegen gerne fiebersenkende Mittel auf Vorrat kaufen - doch das geht nicht, sagt Apotheker Koczian. Er verkauft seine selbst hergestellten Fiebersäfte und Zäpfchen nur gegen Vorlage eines Arztrezeptes. So will Koczian Hamsterkäufen und einer weiteren Knappheit an Medikamenten vorbeugen.

Um die 20 Euro kosten Fiebersäfte aus der eigenen Herstellung, ein industriell gefertigter Saft koste etwa vier bis fünf Euro, sagt der Apotheker. Der Preisunterschied resultiere aus dem Arbeitsaufwand und den teuren Ausgangsmaterialien. Zudem könne seine Apotheke nicht in großen Mengen herstellen, bis zu 50 Säfte am Tag seien möglich – das reiche aber aus, diejenigen zu versorgen, die das Medikament unbedingt benötigten.

Die Apotheke könne allerdings nicht jedes Medikament selbst herstellen: "Es muss natürlich der Arzneistoff verfügbar sein. Wir können alle halbfesten Formen wie Cremes, Salben sowie alle flüssigen Formen wie Säfte und Tropfen und auch feste Formen wie Kapseln und Zäpfchen herstellen“, sagt Koczian. Aber bei Tabletten sei das anders, da brauche es bestimmte Maschinen, auch seien bestimmte Mengen erforderlich, damit sich so eine Maschine rentiere.

Viele Gründe für anhaltenden Medikamentenmangel

Dass es derzeit einen so extremen Mangel an Medikamenten gibt, hat in den Augen des Apothekers vielerlei Gründe, da die Arzneimittelproduktion äußerst komplex sei. Da sei zum einen die Preispolitik der vergangenen Jahre. "Die Krankenkassen zahlen für bestimmten Arzneistoffe einer bestimmten Stärke und Packungsgröße einen bestimmten Betrag und nicht mehr. Die Folge war, dass immer mehr Hersteller ausgestiegen sind, insgesamt also die Angebotsvielfalt zurückgegangen ist. Und gleichzeitig waren immer weniger Produzenten vorhanden, die den Arzneistoff selbst herstellen, der dann von den Herstellern zu den Endprodukten weiterverarbeitet wird", sagt Koczian.

Das Ganze sei noch mal verschärft worden, als zu den Festbeträgen noch die Rabattverträge kamen. "Beispiel Paracetamol: Da ist nicht das Problem, dass Paracetamol nicht auf dem Markt ist, sondern dass beispielsweise die Produktion von den Glasflaschen durch die Energiekrise teurer geworden ist. Und für den Rabatt-Vertragspreis kann das ein Hersteller einfach nicht mehr anbieten."

Hinzu komme jetzt auch, dass es während der Corona-Pandemie weniger Atemwegs-Infektionen und andere Infektionserkrankungen gab – und die Industrie plane ihren Bedarf immer nach einem durchschnittlichen Verbrauch der letzten Jahre. "Der war natürlich in den letzten Jahren deutlich niedriger. Also denke ich, dass die Industrie insgesamt die Produktion etwas reduziert hat. Und jetzt kam eben dieser vermehrte Bedarf", sagt Apotheker Koczian. Wegen Corona und dem Ukraine-Krieg gebe es zudem anhaltende Lieferkettenprobleme.

Bildrechte: BR/ Veronika Scheidl

Fiebersenkende Ibuprofen-Säfte werden derzeit von vielen kranken Menschen gebraucht.

Apotheker kritisieren Medikamenten-"Flohmarkt"

"Potenziell lebensgefährlich" sei der Vorschlag des Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, eine Art Medikamenten-Flohmarkt zu machen, bei dem Menschen untereinander Medikamente austauschen sollen. "Das ist mir wirklich unbegreiflich, wie man als Fachmann auf so eine Idee kommen kann", zürnt Koczian - und schließt sich damit der Meinung anderer Experten an.

Es gebe bestimmte Arzneistoffe mit einer "engen therapeutischen Breite". Das heißt, der Bereich, in dem diese Stoffe wirksam sind, ist eng. "Wenn die Dosis zu niedrig ist, dann wirkt es nicht mehr, wenn die Dosis zu hoch ist, kann es toxisch sein", sagt der Apotheker. Bei abgelaufenen Arzneistoffen wisse niemand, wie die Wirkung sei. Zudem: "Keiner weiß, wie die Patienten diese Medikamente lagern, da ist keine Garantie da. Ich stelle mir vor: Da kommt jemand mit Kreuzweh und irgendein Nachbar hat zufällig noch ein Fentanyl-Pflaster da, ein Betäubungsmittel. Dann sagt er, hat mir gut geholfen bei Schmerzen, nimm doch mal das Fentanyl Pflaster." Dieses Opioid-Pflaster sei aber potenziell tödlich.

Medikamente: Abhängigkeit von anderen Ländern

Die kurz- bis mittelfristige Lösung, um den Mangel an Medikamenten zu beheben, ist laut Ulrich Koczian, dass Schluss ist mit den Fest- und Rabattverträgen – und dass Apotheken in der momentanen Akutphase selbst Medikamente herstellen im Rahmen ihrer Möglichkeiten, um die Basisversorgung zu sichern. Langfristig fordert der Apotheker, dass Deutschland und Europa die Medikamentenherstellung und auch die Wirkstoffproduktion wieder mehr in die eigene Hand nehmen müssen - und Deutschland somit unabhängiger werde von anderen Ländern wie China. Dort werden zum Beispiel fast alle Antibiotika produziert – eine große und gefährliche Abhängigkeit, so Koczian.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!