Blick auf Isar II
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Blick auf Isar II

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Atomlaufzeiten: Regierung lässt Türspalt wieder offen

Das Nein der Bundesregierung zu einer Laufzeit-Verlängerung der verbliebenen drei Atomkraftwerke klingt nicht mehr ganz so hart: Das Wirtschaftsministerium verweist auf den neuerlichen Stresstest für die Stromversorgung - und will dann entscheiden.

Das kategorische Nein der Grünen und der SPD zu einer AKW-Laufzeit-Verlängerung wackelt offenbar. Das Wirtschaftsministerium will den zweiten Stresstest für die Stromversorgung abwarten. "Auf der Basis dieser Ergebnisse wird dann entschieden, was zu tun ist", sagte eine Ministeriums-Sprecherin auf die Frage nach einer möglichen Laufzeitverlängerung. Ein erster Stresstest für das Stromsystem hatte laut Ministerium ergeben, dass eine Verlängerung nicht nötig sei. Jetzt aber habe man die Stromnetz-Betreiber zu einem zweiten Test unter verschärften Annahmen aufgefordert, das Ergebnis soll in einigen Wochen vorliegen.

"Wir rechnen jetzt nochmal und entscheiden dann auf der Basis von klaren Fakten." Die FDP sprach von einem richtigen Schritt. In der SPD wurde betont, weiter spreche vieles gegen eine Verlängerung.

Gutachten TÜV-Süd löste AKW-Debatte aus

Derzeit laufen noch drei Atomkraftwerke, Emsland Niedersachsen, Neckarwestheim II in Baden-Württemberg sowie Isar II in Bayern. Sie erzeugen noch gut fünf Prozent des deutschen Stroms. Ihre Laufzeit ist bis Ende des Jahres gesetzlich begrenzt. Dann stünden neue Sicherheitsüberprüfungen an und auch die Brennstäbe wären weitgehend aufgebraucht.

Im Frühjahr kam die Regierung nach einer Prüfung aus einem Bündel von Gründen zu dem Schluss, dass eine Laufzeitverlängerung keine Lösung sei. Dennoch hielt ein Gutachten des TÜV-Süd einen begrenzten Weiterbetrieb etwa über den gesamten Winter für möglich und befeuerte die Debatte.

Zuletzt waren die Rufe nach einem Rückgriff auf in Deutschland produzierte Atomenergie für die Stromerzeugung lauter geworden, als Ausgleich für fehlende Gas-Lieferungen aus Russland. Sie kamen unter anderem aus der oppositionellen Union, aber auch von der mitregierenden FDP. Anders als die AfD, stellen FDP und Union den Beschluss zum Ausstieg aus der Atomenergie bislang aber nicht grundsätzlich infrage.

Trotzdem warfen die Union und Teile der FDP den Grünen eine ideologische Blockade vor. Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann betonte mit Blick auf den nun neuen Stresstest für die Stromversorgung, die Frage der Laufzeitverlängerung sei nie eine ideologische, sondern immer eine fachliche für die Regierung gewesen.

Zweiter Stresstest soll insbesondere Bayern in den Blick nehmen

Laut einem Papier des Wirtschaftsministeriums soll der zweite Stresstest unter nochmals verschärften Annahmen von den Übertragungs-Netzbetreibern umgesetzt werden. Dazu gehören zum Beispiel noch höhere Preisannahmen für Gas, was Rückwirkungen auf den Strompreis hat. Zudem wird ein "noch gravierenderer Ausfall von Gaslieferungen und ein stärkerer Ausfall von französischen Atomkraftwerken" angenommen. Zudem werde die Sondersituation im Süden Deutschlands noch stärker in den Blick genommen, insbesondere in Bayern, heißt es in dem Papier. Dort gebe es zwar Gaskraftwerke, aber wenig Kohlekraftwerke und die letzten Kernkraftwerke würden abgeschaltet. Gleichzeitig habe Bayern wenig Windenergie.

Bayern für Verlängerung der AKW-Laufzeiten

Insbesondere die bayerische Staatsregierung dringt schon seit Wochen auf eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Ende Juni hatte Ministerpräsident Markus Söder gewarnt: "Wir werden im Winter ab dem 1. Januar neben einem echten Gasproblem noch eine zusätzliche Stromlücke erhalten. Es gibt keine Argumente, außer rein ideologischen Basta-Argumenten, die Kernkraft nicht zu verlängern." In einem BR-Interview beklagte der CSU-Chef, es sei "völliger Unsinn", die Kernenergie nicht weiterlaufen zu lassen.

Auch Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) fordert, Isar II voll am Netz zu lassen. Außerdem spricht er sich für die Wiederinbetriebnahme des bayerischen Atomkraftwerks Gundremmingen aus. Ein Gutachten des TÜV Süd vom April besagt, dass eine Wiederinbetriebnahme des Blocks C "aus technischer Sicht möglich" wäre. In der Region dagegen zweifelt man an der Machbarkeit.

AKW für Tempolimit: FDP gegen Deal mit Grünen

FDP-Energieexperte Michael Kruse lobte das Vorgehen der Bundesregierung: "Der nun angekündigte aktuelle Stresstest ist notwendig, um die Gefahren der Versorgung im Vorhinein realistisch zu bewerten und noch rechtzeitig reagieren zu können." Er verwies auf einen möglichen massenhaften Einsatz von Heizlüftern, sollte Gas noch knapper und teurer werden. "Mit dem befristeten Weiterbetrieb der laufenden Kernkraftwerke können wir uns zusätzlich für den kommenden Winter wappnen und aktiv einer Strommangellage entgegenarbeiten", sagte er Reuters.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sprach sich zwar erneut für längere Laufzeiten aus, lehnt aber einen Deal gegen ein Tempolimit mit den Grünen ab. Das nütze im Winter nichts, da Sprit nicht Teil des Strommarkts sei. "Was bringt es denn, etwas zu machen, wenn es in der Sache nicht hilft, sondern nur politisch vermeintlich schick aussieht?", sagte er "Bild-TV".

SPD-Energieexpertin: Ausbau erneuerbarer Energien bleibt wichtiger

Die SPD-Energieexpertin Nina Scheer nannte den Stesstest richtig, warnte aber: "Es fehlen Sicherheitsüberprüfungen, Atomenergie ist schwer regelbar, die teuerste Form der Energiegewinnung, sie bleibt Risikotechnologie und produziert hochradioaktiven Müll." Wichtiger sei der Ausbau erneuerbarer Energien.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte noch vor kurzem etwa auf Fragen aus der bayerischen Wirtschaft gesagt, er sehe keinen Anlass für eine Laufzeitverlängerung. Auch Umwelt- und Reaktorsicherheitsministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte sie mit Hinweis auf das Risiko der Atomkraft strikt abgelehnt. Die bisherige Rechtslage sieht ein Abschalten der Anlagen bis Jahresende vor. Auch die Betreiber hatten überwiegend erklärt, sie hätten kein Interesse daran, die Meiler weiterlaufen zu lassen.

Mit Material von Reuters

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