Eine entsprechende Betriebsvereinbarung hat der Audi-Zulieferer Scherm am Donnerstag mit seinem Betriebsrat geschlossen. Betroffen sind vor allem Betriebe, die unmittelbar vor den Werkstoren Autoteile fertigen oder als Logistiker direkt die Bänder beliefern. Das Zeitfenster für die Kurzarbeit läuft von Anfang August bis Ende des Jahres. Mit Kurzarbeit rechnen rund zwei Drittel der rund 3.000 Beschäftigten bei den Zulieferern im sogenannten Güterverkehrszentrum GVZ.
"Wir laufen ins Messer"
"Wir sehen das Messer vor uns und laufen direkt rein" - so beschreibt ein Unternehmenssprecher die Lage. Vor Kamera und Mikrofon will er nicht treten, denn so - Zitat - "unser Kunde", sprich Audi, "bestimmt unsere Kommunikation".
Bei der Arbeitsagentur Ingolstadt hat bereits "eine niedrige zweistellige Zahl von Zulieferern" Kurzarbeit angezeigt. Weitere Beratungen mit der Agentur laufen. Anlass für die aktuelle Kurzarbeit von Anfang August bis Ende des Jahres ist, dass Audi nur für einen Teil seiner Modellvarianten über eine Zulassung nach dem ab 1. September geltenden Abgasprüfstandard WLTP verfügt.
Audi muss die Produktion drosseln
In der Folge drosselt der Autobauer die Produktion. Offiziell stehen die Bänder über den Sommerurlaub hinaus bis in den September hinein (7.9.) still. Das gilt für den A5 und den sich nur schleppend verkaufenden A4, für den Insidern zufolge keine WLTP-Zulassung vorliegt.
Die anderen Bänder ruhen schichtweise. Dazu kommt, so Insider, dass Audi auch die Produktion des so genannten "Brot-und Butter-Autos“ A4 über die Stillstandsphase hinaus drosselt: im Schnitt sollen ab September bis Jahresende jeden Tag rund 300 Autos weniger vom A4- und A5-Fließband laufen. Außerdem sollen die Weihnachtsferien nach Auskunft dem Vernehmen nach um eine Woche früher beginnen und damit bereits Mitte Dezember.
Krise bis weit ins Jahr 2019?
Insider schätzen, dass sich die WLTP-Krise bei Audi und damit auch bei den Zulieferern bis weit ins nächste Jahr 2019 ziehen wird. Prekär ist die Lage vor allem für die rund 800 Leiharbeiter. Ihnen droht teilweise die Kündigung durch ihre Zeitarbeitsfirmen, fürchtet der Betriebsratsvorsitzende von Scherm, Lothar Klartisch. Allein Scherm wird wohl bis zu 150 seiner Leiharbeiter vorübergehend abbestellen.
Betriebsräte kämpfen für Abfederung
In einer Betriebsvereinbarung haben das Scherm-Management und der Betriebsrat am gestrigen Donnerstag festgehalten, dass die abbestellten Leiharbeiter namentlich festgehalten und wenn möglich wieder in den Betrieb geholt werden sollen. Für die fest bei Scherm angestellten schreibt die Betriebsvereinbarung eine Zuzahlung zum Kurzarbeitergeld fest, sodass die Mitarbeiter auf 79 Prozent ihres ursprünglichen Netto-Gehalts kommen.
Christian Daiker von der IG Metall Ingolstadt rechnet damit, dass viele andere Zulieferer ähnliche Regelungen treffen werden. Möglich wird das, weil in den vergangenen Jahren bei den meisten Zulieferern im GVZ Betriebsräte eingesetzt wurden. Nur noch eine Handvoll Betriebe hat noch keine organisierte Arbeitnehmervertretung.
Wie teuer wird es für Audi?
Über die wirtschaftlichen Folgen der Produktionssenkung für Audi selbst, aber auch für die Zulieferer und für die Region wird derzeit heftig spekuliert. Jeder Tag, an dem im Werk Ingolstadt alle Bänder stehen, kostet Audi einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag, meinen Insider.
Das erste Halbjahr 2018 lief für Audi noch sehr gut. Der Autobauer meldete Anfang Juli ein Absatzwachstum von 4,5 Prozent und weltweit rund 950 000 Auslieferungen seit Januar. Das zweite Halbjahr könnte deutlich schlechter ausfallen.
Zulieferer kämpfen schon länger mit der Dieselkrise
Für manche Zulieferer wird es wirtschaftlich jetzt schon schwierig. Ein Betrieb rechnet von August bis Jahresende mit über 30 Tagen Kurzarbeit. Viele Betriebe kämpfen schon seit Jahren mit der im Oktober 2015 publik gewordenen Dieselkrise. Die Zahl der Beschäftigten bei den Zulieferern im GVZ ist seither von rund 4 000 auf 3 000 zurückgegangen. Sie haben schon im vergangenen Jahr massiv Kurzarbeit gefahren.
Keine Parkflächen mehr für nicht verkaufte Autos
Das WLTP-Problem bei Audi ist auch durch eine Produktion auf Halde kaum zu lösen. Wie Insider berichten, sucht das Unternehmen händeringend nach Parkflächen für Neuwagen, doch im Großraum Ingolstadt ist alles schon vollgestellt, so zum Beispiel beim Logistiker Scherm, der auf seinem Gelände im Kreis Neuburg-Schrobenhausen Raum hatte für gut anderthalb Wochen Produktion. Auch ein weiterer kleiner Parkplatz in Neuburg, den Audi kürzlich gemietet hat, bringt kaum Entlastung; denn dort können gerade einmal 1 000 Audis abgestellt werden, nicht einmal eine halbe Tagesproduktion von Audi, die bei 2. 400 Autos liegen kann.
Ingenieure wegen Dieselkrise überlastet
Als einen Grund, warum Audi und VW von der WLTP-Problematik offenbar stärker als andere Autobauer betroffen sind, nennen Experten die Dieselkrise. Deren Aufarbeitung beschäftigt viele der rund 10.000 Audi-Ingenieure so sehr, dass für die Bewältigung der WLTP-Zulassung zu wenig Kapazität vorhanden ist.