Mit einer Insolvenzwelle am Ende des Winters rechne er nicht: So begann Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in der ARD-Sendung "Maischberger" gestern eine Antwort, die ihm inzwischen viel Kritik eingebracht hat. Vor allem für das, was er danach anfügte: Er könne sich vorstellen, dass bestimmte Branchen einfach erst einmal aufhören zu produzieren – als Beispiel nannte er etwa Bäckereien.
Weltfremd, abgehoben und planlos, meinte dazu unter anderem der CSU-Generalsekretär Martin Huber. Unions-Fraktionschef Friedrich Merz warf Habeck vor, hilflos in Fragen der Krise zu sein.
Viel Spott für Habeck in sozialen Medien
Eine Firma stoppt die Produktion, verkauft keine Waren mehr – muss aber nicht Insolvenz anmelden? Mit seinen Aussagen hat Habeck auch in den sozialen Medien für Spott und Verwirrung gesorgt. Von "absurdem Geschwätz" und "verschwurbelten Schönrednereien" schreiben Nutzerinnen und Nutzer.
Auch Moderatorin Sandra Maischberger zeigte sich irritiert und konnte den Erklärungen offensichtlich nicht folgen. "Wenn ich aufhöre zu verkaufen, dann verdiene ich kein Geld mehr. Dann muss ich die Insolvenz anmelden", hakte sie nach. Die Antwort des Ministers: "Es kann sein, dass sich bestimmte Geschäfte nicht mehr rentieren. Vielleicht werden sie später wieder aufgenommen, das ist dann keine klassische Insolvenz."
Hakle und Görtz: Belege für eine drohende Pleitewelle?
Tatsächlich scheinen Habecks Aussagen wenig mit einer Realität gemein zu haben, in der bereits vor einem Anstieg der Pleiten aufgrund steigender Energiepreise gewarnt wird. Prominente Beispiele aus den vergangenen Tagen wie der Toilettenpapierhersteller Hakle oder der Schuhhändler Görtz scheinen dem Recht zu geben. Dazu kommen regionale Fälle wie die Insolvenz der Bäckerei Goldjunge aus Langenzenn im Landkreis Fürth.
Auch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) stellte am Dienstag aktuelle Zahlen zu den Personen- und Kapitalgesellschaften vor. Demnach wurden im August 26 Prozent mehr Insolvenzen angemeldet (718 Fälle) als vor einem Jahr. Droht nun also tatsächlich die oft beschworene Pleitewelle?
Zahl der Insolvenzen weiter deutlich unter Vor-Corona-Niveau
Das IWH selbst beantwortet diese Frage mit Nein. "Nach lange Zeit niedrigen Insolvenzzahlen hat nun eine Trendwende eingesetzt", sagt Steffen Müller, der die Abteilung Strukturwandel leitet. Auch der Verband Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID) weist auf BR24-Anfrage darauf hin, dass die Zahl der zahlungsunfähigen Unternehmen noch immer deutlich unter dem Vor-Krisen-Niveau von 2019 liege – was den Anstieg von 26 Prozent relativiert.
Nach Einschätzung des VID hätten zu den Insolvenzen in jüngster Zeit auch nicht in erster Linie die Energiepreise beigetragen. Diese würden sich nur in besonders betroffenen Branchen wie bei Lebensmitteln und Logistik niederschlagen. "Tatsächlich beobachten wir in diesen Tagen vermehrt, dass viele Unternehmen mit den hohen Rohstoffpreisen zu kämpfen haben", sagte der Verbandsvorsitzende Christoph Niering BR24. Mit Blick auf Energie sei vor allem der Beratungsbedarf gewachsen, beispielsweise bei energieintensiven Gießereien.
Auch der Handelsverband Bayern rechnet bislang nicht mit einer Pleitewelle, wie Geschäftsführer Bernd Ohlmann kürzlich dem BR sagte.
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Insolvenzstatistik ist nur begrenzt aussagekräftig
Wann immer über eine mögliche Insolvenzwelle diskutiert wird, stellt sich ohnehin die Frage, wie viel die Statistiken dazu über den tatsächlichen Zustand der deutschen Wirtschaft aussagen. Denn sie liefern nur ein begrenztes Bild: Wer sein Geschäft aufgibt, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen, findet sich nicht in den offiziellen Zahlen wieder. Ebenso wenig wird darin erfasst, wenn sich Firmen neu gründen oder jemand ein Gewerbe beantragt. Was auch immer Habeck bei "Maischberger" sagen wollte - bei vielen Menschen hat er mehr Fragezeichen als Antworten hinterlassen.
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